Der Katalog besteht aus drei jeweils alphabetisch angelegten Teilen, deren umfangreichster die heute noch in Greifswald in öffentlichem Besitz vorhandenen Inkunabeln verzeichnet (Nr. 1 - 627). Darauf folgt das Verzeichnis der Inkunabel-Fragmente (Nr. 628 - 678), von denen die meisten erst bei der Erarbeitung dieses Katalogs erfaßt und identifiziert wurden. Darunter befinden sich einige bisher unbekannte oder sehr seltene (vor allem Lübecker) Drucke. Im dritten Teil, dessen Druckbeschreibungen genauso ausführlich sind wie in den beiden ersten, sind die hauptsächlich als Folge des Zweiten Weltkriegs entstandenen Verluste aufgeführt (Nr. 679 - 752). Sie betreffen bis auf einen Band (Nr. 746), der sich einst im Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald befand und der 1996 nicht mehr auffindbar war, ausschließlich die UB Greifswald. Es handelt sich im wesentlichen um die Inkunabeln, die im Zweiten Weltkrieg ins Schloß Pansin (im ehemaligen Landkreis Saatzig bei Stargard) ausgelagert worden waren und 1945 von den polnischen Behörden der neugegründeten UB Thorn (Torun) überlassen wurden. Die heute noch in Greifswald in öffentlichem Besitz nachweisbaren Inkunabeln sind auf drei Institutionen verteilt. Der größte Bestand ist der der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums mit ca. 330 ganzen Inkunabeln und 11 Fragmenten. Danach folgt die UB Greifswald, die vor dem Zweiten Weltkrieg noch 350 Inkunabeln ihr eigen nannte, aber durch die erwähnten Kriegsverluste an die zweite Stelle gerückt ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte ihre Inkunabelsammlung nur um fünf Inkunabeln erweitert werden. Davon stammen allein vier aus der 1950 aufgelösten LB Neustrelitz. Als dritte Institution verwahrt das Vorpommersche Landesarchiv in Greifswald als Dauerleihgabe des Stadtarchivs Anklam insgesamt sechs ganze Inkunabeln und fünf Inkunabelfragmente.
Der große Vorzug des Greifswalder Inkunabelbestands ist sicher die Tatsache, daß ca. 90 % dieser Frühdrucke seit dem ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert in der Region zwischen Stettin und Stralsund aufbewahrt wurden und daß sogar die meisten Käufer und Erstbesitzer in dieser Region beheimatet waren. Das Verzeichnis der Provenienzen (S. 381 - 384) legt davon ein deutliches Zeugnis ab. So sind die spätmittelalterlichen Bibliotheken des Greifswalder Dominikaner- und Franziskanerklosters nahezu vollständig bis heute in der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums erhalten geblieben. Die UB Greifswald konnte im Herbst 1830 fast die gesamte Wolgaster Kirchenbibliothek erwerben. In ihr befanden sich seit der Reformation in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts u.a. die Bibliotheken der damals aufgehobenen Klöster Eldena (bei Greifswald) und Jasenitz (bei Ueckermünde). Viele der frühen Besitz- und Kaufvermerke geben interessante Aufschlüsse über Vertrieb und Handelswege der Frühdrucke. Die frühe Verankerung der meisten Bände in einer eng umgrenzten Region erwies sich auch bei der Bestimmung der Einbände als großer Vorteil, wie sich bei der Betrachtung des Einbandregisters zeigen wird.
Da der Greifswalder Inkunabelbestand zum größten Teil aus ehemaligen Kirchen- und Klosterbibliotheken gespeist ist, dominiert inhaltlich natürlich die theologisch-scholastische und kirchenrechtliche Literatur in lateinischer Sprache. Außerdem enthält der Bestand eine kleine Anzahl lateinischer Klassikerausgaben und von Büchern für den (lateinischen) Schulunterricht wie z.B. das Latinum idioma pro parvulis editum des Paulus Niavis (Nr. 447). Die kleinformatige Ausgabe der Anatomia (Nr. 445) des oben erwähnten Bologneser Mediziners Mondino de'Luzzi fällt hier fast schon etwas aus dem Rahmen. Sie steckt mitten in einem umfangreichen Sammelband aus der Wolgaster Kirchenbibliothek. Die mit Abstand wertvollste Inkunabel in Greifswald ist das vollständige Exemplar der 36zeiligen Bibel (Nr. 139) in zwei Bänden. Es gelangte 1830 mit der Wolgaster Kirchenbibliothek an die UB. Wie es nach Wolgast kam, ist nicht eindeutig geklärt.
Ausgesprochene literarische Raritäten enthält der Greifswalder Inkunabelbestand nicht, dafür aber eine größere Zahl sehr seltener Drucke und sogar einige Unikate. Auf sie weist Wilhelmi in seiner Einleitung (S. 18 - 19) eigens hin. Allerdings liegen die meisten Unikate nur als Fragmente vor, die sich als Einbandmakulatur in den Spiegeln der Bände fanden. Das gilt auch für drei bisher unbekannte Varianten eines Lübecker Einblattdrucks (Nr. 564 - 566), die sich zusammen mit einer bereits bekannten Variante (Nr.563) dieses Bruderschaftsbriefs in den Spiegeln eines in Greifswald gebundenen Sammelbands der Bibliothek des Geistlichen Ministeriums befanden und im Zuge der Katalogisierung der Inkunabeln im Januar 1996 abgelöst wurden und seither separat aufbewahrt werden. Zwei Drucke aus Deventer (Nr. 356 und 623) sowie je einer aus Hamburg (Nr. 372) und Leipzig (Nr. 447) waren bisher ebenfalls bibliographisch unbekannt und sind vollständig erhalten.
Interessante Beobachtungen lassen sich bei der Durchsicht des Registers der Drucker und Verleger (S. 385 - 388) machen. Da sich - wie schon erwähnt - der größte Teil des Greifswalder Bestands an Inkunabeln schon seit dem ausgehenden Mittelalter in dieser Region befindet, zeigt die Zusammensetzung der hier vertretenen Druckorte, woher die Buchführer dieser nordöstlichen Küstenregion damals ihre Bücher bezogen bzw. welche Fernhandelsströme diese Gegend erreichten. Daß die niederländischen und norddeutschen Druckorte (allen voran Lübeck und Deventer), deren Bedeutung im europäischen Rahmen nicht überragend ist, hier natürlich besser als im südlichen Deutschland repräsentiert sind, verwundert nicht. Auffällig ist jedoch, daß hier die meisten Drucke aus Druckorten entlang der sogenannten "Rheinschiene" stammen - von Basel über Straßburg, Hagenau, Speyer, Mainz und Köln bis in die Niederlande, wobei Basel, Straßburg und Köln eindeutig dominieren. Noch erstaunlicher ist jedoch die Tatsache, daß die absolut größte Zahl von Frühdrucken in Greifswald (nämlich 93) aus Nürnberg stammt und davon allein 76 aus der Offizin Anton Kobergers, dessen Buchhandelsimperium - wie man daran sieht - auch ganz Nordeuropa abdeckte. Die anderen süddeutschen Druckorte abseits der "Rheinschiene" sind mit Ausnahme von Augsburg (11 Drucke) nur sehr schwach vertreten. Die Bedeutung und Qualität der italienischen Buchproduktion jener Zeit kann man daran ablesen, daß in Greifswald Inkunabeln aus 13 italienischen Druckorten vorhanden sind mit Mailand und Venedig an der Spitze. Beachtlich ist dabei, daß sechs heute ziemlich seltene lateinische Aristoteles-Ausgaben von 1472 - 1474 (Nr. 54 - 59) des Paduaner Druckers Lorenzo Canozzi schon damals den Weg nach Greifswald fanden und wohl von einem einheimischen oder zumindest deutschen Buchbinder in zwei Sammelbänden zusammengefaßt wurden. Ebenfalls bemerkenswert ist, daß ein 1491 in Sevilla gedrucktes umfangreiches Werk (Nr. 604) des spanischen Theologen Alfonso Tostado schon kurz nach Erscheinen in Rohbögen (wie damals üblich) nach Greifswald gelangte und hier gebunden wurde. Frankreich ist nur mit den beiden größten Druckorten Lyon (11 Drucke) und Paris (4 Drucke) im Greifswalder Bestand präsent.
Nun zum Register der Provenienzen. Wie schon oben festgestellt, stammen die meisten der frühen Vorbesitzer aus der Region zwischen Stettin und Stralsund. In einigen Fällen hat der Bearbeiter auch frühe Erwerbungsorte (wie z.B. Bologna) in dieses Register aufgenommen. Leider übergangen wurde ein Pariser Kaufvermerk von 1497 in einem Lyoner Druck vom August 1496 (Nr. 173). Im einzelnen ist noch zu folgenden Einträgen etwas anzumerken:
Kamelet, Wifania (?): der lt. Bearbeiter vom Ende des 15. Jahrhunderts stammende älteste Eintrag in einer venezianischen Inkunabel (Nr. 561) von 1480 wurde so transkribiert: "Cardaporia i(n) Wifania Kamelet (?)". Warum wurde nur " Kamelet" ins Register aufgenommen und nicht auch die beiden anderen Wörter, die ebenfalls Namen sein können? Handelt es sich überhaupt um einen Besitzvermerk? Fast zur gleichen Zeit war der Band bereits im Besitz des Priors Michael Knabe im Kloster Eldena, der den Kaufvermerk "Contuli pro iij marcis" anbrachte.
Stygge, Nikolaus: der Schenkungsvermerk (in Nr. 54), in dem Nicolaus Stygge als Schenker oder Beschenkter genannt wird, ist offensichtlich an mehreren Stellen falsch und unvollständig transkribiert worden. Ohne den Eintrag im Original vor sich zu haben, läßt sich der genaue Wortlaut nicht rekonstruieren. Da Stygge, der übrigens dem Dominikanerorden angehörte, seit 1483 Bischof von Borglum in Nordjütland war, kann der undatierte Eintrag frühestens in diesem Jahr entstanden sein. Jedenfalls gelangte der Band noch vor der Reformation ins Dominikanerkloster Greifswald. Der Schluß des Eintrags lautet auf keinen Fall "Episcopo burigamen', sondern höchstwahrscheinlich "Episcopo burglavien[si]', der adjektivischen Bezeichnung für Borglum auf Latein.
Trithemius, Johannes: angeblich hat der berühmte spätere Abt des
Benediktinerklosters Sponheim diesen Band 1475 als Student in Bologna
erworben. So jedenfalls deutet der Bearbeiter folgenden Kaufvermerk,
der sich am Ende einer vorgebundenen Handschrift befindet und der
glücklicherweise im Katalog auch abgebildet ist (Abb. 19): "Liber
fratris Johannis tidrehmi studentis bononie anno dominico 1475 ..."
(Abkürzungen aufgelöst). Selbst wenn man die Metathesis "tidrehmi" für
"Trithemii" akzeptieren würde, gibt es triftige Gründe, diesen "frater
Johannes tidrehmus" nicht mit Trithemius zu identifizieren. Trithemius
wurde am 1.2.1462 als Sohn eines kleinen Winzers in Trittenheim an der
Mosel geboren. Sein Vater starb schon ein Jahr später. Die Mutter
blieb sieben Jahre Witwe und heiratete dann erneut. Mit dem Stiefvater
kam der junge Johannes nicht zurecht und verließ so bald es ging das
Elternhaus. Der Trittenheimer Pfarrer hatte zuvor schon seine
Ausbildung gefördert und ein Onkel väterlicherseits ermöglichte dem
hochbegabten jungen Mann das Studium, das ihn - schon aus
Kostengründen - nicht nach Italien, sondern zunächst ins nahegelegene
Trier dann an den Niederrhein und schließlich nach Heidelberg führte.
Von einem Aufenthalt in Bologna ist nichts bekannt. 1475 (also mit 13
Jahren) war Trithemius auch noch nicht Mönch ('frater'). Er trat erst
im Frühjahr 1482 als Novize ins Kloster Sponheim ein. Den Namen
'Trithemius' nach seinem Geburtsort Trittenheim legte er sich erst als
Abt von Sponheim zu. Er gebrauchte ihn erstmals in einem Brief vom
6.8.1486 und schrieb ihn zeitlebens selbst immer ohne 'h' also
'Tritemius'.[4] Im übrigen hat die Handschrift des 'tidrehmi' nicht die
geringste Ähnlichkeit mit der großen und fast kalligraphischen
Handschrift des Johannes Trithemius.
Tyrbach, Andreas (de Crimeo): nach Wilhelmi trug sich dieser zweite
Besitzer des oben erwähnten Lyoner Drucks vom 20.8.1496 (Nr. 173)
folgendermaßen in den vorderen Spiegel des Bandes ein: "Andream
Tyrbach de Crimeo". Andreas Tierbach ist kein Unbekannter. Er
studierte u.a. in Frankreich und ließ sich im Frühjahr 1503 mit
folgendem Wortlaut in den Liber Procuratorum der 'Natio Germanica' an
der Universität Orléans eintragen: "Magister Andreas Tierbachus de
Coniceo in Prusia, Gnisnensis diocesis, presbyter, artium magister".
Tierbach stammte aus Konitz in Westpreußen.[5] Folglich lautet der von
Wilhelmi als "Crimeo" gelesene und mit Grimmen bei Greifswald
identifizierte Herkunftsort auch hier wohl "Coniceo". Der Eintrag
'Grimmen (?)' ist in den Registern zu streichen und dafür 'Konitz' zu
setzen.[6] Tierbach hat den Band sicher in gebundenem Zustand noch in
Frankreich vom Erstbesitzer Bernhard Schinkel erworben, denn dieser
- ein Lübecker Bürger und ebenfalls 'artium magister' - befand sich im
März 1500 mit seinem Bruder Arnold und einer Gruppe weiterer Lübecker
Bürger und Kaufleute in Rom und ließ sich dort in die Bruderschaft des
deutschen Nationalhospizes B. Marie de Anima aufnehmen.[7] Sein Studium
in Frankreich lag damals schon hinter ihm.
Williana (Bibliotheca) = Georg Andreas Will (1727 - 1798), Professor
in Altdorf bei Nürnberg. Will besaß mindestens zwei gestochene
Exlibris.[8] Um welches der beiden es sich hier handelt, geht aus der
Beschreibung im Katalog (Nr. 115) nicht hervor.
Weder ins Register der Provenienzen noch ins Hauptregister, das auch
alle Provenienzen nochmals enthält, wurde ein Vorbesitzer des 16.
Jahrhunderts aufgenommen, der sich in einer Aldine von 1499 (Nr. 231)
lt. Wilhelmi mit folgendem Besitzvermerk verewigt hat: "Sum ex
bibliotheca Ioh. Georgij à Werdenstien". Statt "Werdenstien" ist
natürlich "Werdenstein" zu lesen. Die beiden Bibliotheken des
Augsburger und Eichstätter Domherren Johann Georg von Werdenstein
(1542 - 1608) gehören zum Grundbestand der heutigen Bayerischen
Staatsbibliothek in München und der 1619 gegründeten UB Würzburg.[9]
Abgesprengte Teile aus diesen Bibliotheken gelangten aber auch in
andere Bibliotheken wie z.B. die Stadtbibliothek Augsburg, die
Schloßbibliothek Pommersfelden oder die WLB Stuttgart. Der
Greifswalder Band dieser Herkunft scheint erst im 19. Jahrhundert
dorthin gekommen zu sein.
Von besonderem Interesse ist das Register der Buchbinder und
Einbandgruppen. Ergänzend ist dazu der Abschnitt Einbände (S. 15 - 18)
der Einleitung heranzuziehen, wo auch ein gesonderter Aufsatz von
Konrad von Rabenau über die Ergebnisse der Untersuchung der
Greifswalder Einbände angekündigt wird. Allein in Greifswald selbst
konnten mindestens acht spätmittelalterliche Werkstätten ermittelt
werden, darunter eine mit dem Namensstempel 'Petrus Kroger' (Nr. 344),
bei dem jedoch nicht sicher ist, ob es sich um den Namen des
Buchbinders oder des Bucheigners handelt. Die Inkunabeln aus der
Bibliothek des Klosters Jasenitz wurden nicht im Kloster selbst,
sondern zumindest teilweise im nahen Stettin gebunden. Weitere
spätgotische Einbände im Greifswalder Bestand stammen aus Lübecker und
Rostocker Werkstätten. Die spätgotischen Leipziger und Magdeburger
Einbände sind über den Fernhandel hierher gelangt ebenso wie die
Nürnberger Einbände, die meist Koberger-Drucke umschließen. Die ganz
wenigen Einbände aus dem südlichsten Deutschland (Augsburg, Eichstätt,
Ulm) sind fast alle erst in späteren Jahrhunderten nach Greifswald
gekommen. Eine Ausnahme bildet eine Augsburger Inkunabel (Nr. 283) im
Augsburger Einband der Zeit, die von einem Stralsunder Juristen schon
gegen Ende des 15. Jahrhunderts dem Kollegiatstift St. Nikolai in
Greifswald überlassen wurde. Ein Nürnberger Druck von 1486 (Nr. 516),
der angeblich im Benediktinerkloster Sponheim (siehe auch oben bei
'Trithemius') gebunden worden sein soll, hat in Wirklichkeit einen
böhmischen Einband (= Kyriss Nr. 185).[10] Der Band befindet sich auch
erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in der UB Greifswald und hat
keinen früheren Besitzvermerk. Ausländische Einbände sind unter den
Greifswalder Inkunabeln praktisch nicht vertreten. Bei dem einzigen
französischen Einband der Zeit handelt es sich um den oben mehrfach
erwähnten Band (Nr. 173) mit dem Pariser Kaufvermerk von 1497. Bei den
folgenden Einträgen, die beide vom Bearbeiter mit einem Fragezeichen
versehen wurden, wird man neugierig und sieht sich die Beschreibungen
im Katalog nochmals sehr genau an:
Florenz ? (Nr. 530): Es handelt sich um einen Basler Druck von
spätestens 1477, der schon im 15. Jahrhundert in eines der
Greifswalder Klöster gelangte. Ein früher Kaufvermerk, der einen Bezug
zu Italien erkennen ließe, ist nicht vorhanden. Die Beschreibung des
Einbands weist ebenfalls keine italienischen Merkmale nach. Trotzdem
schreibt der Bearbeiter: "Unbekannter Buchbinder, vermutlich Florenz".
Mit ziemlicher Sicherheit dürfte es sich jedoch um einen Einband
handeln, der nördlich der Alpen angefertigt wurde.
Warschau ? (Nr. 509): Hier ist der Fall noch klarer als bei dem
angeblichen Florentiner Einband. Der Druck von 1499 stammt aus Lübeck
und befindet sich seit eh und je in Greifswald. Weshalb sollte er zum
Binden den Umweg über Warschau genommen haben? Hier ist der Buchbinder
sogar in der näheren Umgebung zwischen Lübeck und Greifswald zu
suchen.
Abschließend noch ein kurzer Blick auf das umfangreiche
Literaturverzeichnis. (S. 27 - 38), das in abgekürzt zitierte
Literatur und weitere Literatur unterteilt ist, sowie auf die zwischen
S. 40 und 41 eingeschalteten 33 Abbildungen auf Kunstdruckpapier. Bei
der abgekürzt zitierten Literatur fällt auf, daß bei einigen
Nachschlagewerken (Moreau, Piccard, Walsh) nur der erste oder einer
von mehreren Bänden aufgeführt ist, wobei bei Moreau nicht einmal
ersichtlich ist, daß es sich nur um den ersten Band handelt.[11] Der neue
Inkunabelkatalog der Pariser Nationalbibliothek wird (wohl analog zu
BSB-Ink der Bayerischen Staatsbibliothek) als BN-Inc zitiert, obwohl
international und beim Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) inzwischen
die Abkürzung CIBN üblich ist. Mehrfach (z.B. bei Nr. 569, 659, 660,
676 usw.) aber nicht durchgängig wird von Wilhelmi bei einschlägigen
Autoren das Verzeichnis der 'Wiegendrucke der griechischen und
römischen Literatur' (so der Untertitel) von Miroslav Flodr[12] abgekürzt
als Flodr zitiert. Flodr taucht aber nirgendwo im Literaturverzeichnis
auf. Die Zahl der Druckfehler ist sowohl im Literaturverzeichnis als
auch im übrigen Katalog relativ gering.[13]
Unter den teilweise sogar farbigen Abbildungen, von denen übrigens
Abb. 22 auf dem Kopf steht, befinden sich einige interessante
Besitzvermerke (Abb. 19 - 26), darunter der oben besprochene Eintrag
des 'Johannes tidrehmi' (Abb. 19), sowie einige der unikalen
Druckfragmente. Etwas deplaziert in einem Inkunabelkatalog ist die
Abbildung (Abb. 33) einer Druckermarke aus einem der Nr. 339
beigebundenen Rostocker Druck von 1514. Stattdessen hätten einige
typische Einbände aus Greifswalder Werkstätten abgebildet werden
können, die unter den Abbildungen gar nicht vertreten sind. Als
Beispiele für Einbände sind nur der mit Streicheisenlinien und
Beschlägen verzierte Vorderdeckel des ersten Bandes der 36zeiligen
Bibel samt zwei Eckbeschlägen (Abb. 2 - 4 in Farbe) sowie zwei
Rostocker Einbände (Abb. 27 - 28) abgebildet, wobei der zweite
Rostocker Einband wegen des beigebundenen Drucks von 1514 (siehe oben)
nicht vor 1514 angefertigt worden sein kann.
Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des wissenschaftlichen Katalogs der
Inkunabeln in Greifswalder Bibliotheken von Thomas Wilhelmi fand im
Greifswalder Landesarchiv unter dem allgemeinen Titel Schätze der
Schwarzen Kunst eine Ausstellung einer kleinen Auswahl von 35
Exponaten aus dem Greifswalder Inkunabelbestand statt. Die Ausstellung
und das zugehörige Begleitbuch wurden von Irene Erfen konzipiert und
erarbeitet. Ausstellung und Buch richteten sich nicht in erster Linie
an Fachleute, sondern an gebildete Laien. Im Begleitbuch geht der sehr
anschaulichen Beschreibung der Exponate eine allgemeine Einführung in
die Welt des frühen Buchdrucks voraus, in der die Autorin beispielhaft
vor allem auf den Ulmer Drucker Johannes Zainer und seinen
gleichnamigen Sohn sowie auf den Nürnberger Anton Koberger als Drucker
der Schedelschen Weltchronik näher eingeht. Daran schließt sich die
gedrängte Geschichte der in die heutigen Greifswalder Bibliotheken
eingeflossenen vorreformatorischen Bibliotheken und ihr späteres
Schicksal an. Ein längerer Exkurs über das Greifswalder Exemplar der
36zeiligen Bibel beschließt diesen Teil. Im Katalogteil des Buches ist
jedem Exponat eine Doppelseite mit jeweils ein bis zwei Abbildungen
gewidmet. In einer mehr oder weniger kurzen Notiz wird zuerst der
Drucker des betreffenden Exponats vorgestellt. Dann folgt die
Beschreibung des Inhalts der Drucke und ihre Bedeutung für das
mittelalterliche Geistesleben. Statt bibliographischer Angaben wird
bei jedem Druck nur die Nummer im Katalog von Wilhelmi zitiert. Auf
die Beschreibung der Exponate folgt ein Glossar (S. 114 - 120), in dem
die wichtigsten Begriffe des spätmittelalterlichen Buchwesens leicht
verständlich erläutert werden. Dazu nur zwei Bemerkungen: Der Terminus
Kolophon für Schlußschrift ist im Deutschen männlich. Im ganzen Buch
und im Glossar ist immer von 'die Kolophon' die Rede. Beim Begriff
Postinkunabel sollte man den Zeitraum nicht "bis etwa 1550" ausdehnen,
sondern auf 1501 bis ca. 1520 eingrenzen. An das Glossar schließt ein
alphabetisch geordnetes Literaturverzeichnis an (S. 121 - 124), das
eine Mischung aus allgemeiner, inkunabelkundlicher, mediävistischer
und lokalhistorischer Literatur ist und damit die Quellen umfaßt, aus
denen die Autorin für ihr Begleitbuch geschöpft hat. Den Schluß des
Bandes bildet das detaillierte Abbildungsverzeichnis. Von den 90
Abbildungen sind 72 in Farbe. Sie machen den Band zu einer Augenweide
und zu einer echten Ergänzung des in dieser Hinsicht doch recht
nüchternen Katalogs von Wilhelmi.[14]
Peter Amelung
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