Eine absolut vollständige Ausgabe des Diario war deshalb überfällig.
Sie wurde nun mit der Dissertation von Melissa Conway vorgelegt.
Während die als Kommentar (Commentary) vorgestellte und in vier
Kapitel[2] eingeteilte Dissertation den Vorspann (S. 1 - 81) der
eigentlichen Edition bildet und nur wenig wirklich Neues bietet, gilt
unser Augenmerk vor allem der ersten vollständigen Edition des Diario
selbst, die von Conway als Appendix I (S. 91 - 287) angehängt wurde.
Sieben weitere Appendices folgen, von denen Appendix II mit der
Chronological listing of works published by the San Jacopo di Ripoli
Press ( S. 289 - 303) der wichtigste ist und den Catalogo Nesis von
1903 auch durch die bibliographischen Zitate auf den allerneuesten
Stand zu bringen versucht. Fast überflüssig ist Appendix III (Output
of all Florentine presses, 1476 - 1484), der in absoluter Kurzfassung
die aus Dennis E. Rhodes (Gli annali tipografici fiorentini del XV
secolo, Firenze, 1988) übernommenen Drucke in möglichst
chronologischer Folge auflistet.
Nun zur Edition des Diario, deren philologische Zuverlässigkeit sich
auf Anhieb nicht beurteilen läßt. Zu bemängeln ist von vornherein, daß
Conway nirgends eine exakte physische Beschreibung der Handschrift
bietet und sie nur an fast versteckter Stelle der Introduction (S. 1)
halbwegs mit folgenden Worten beschreibt: "As a 'working document'
written in haste, it is full of abbreviations and orthographical
inconsistencies. Comprised of twelve paper quires of uneven size to
which the final quire of twenty leaves is bound upside down, it is
chronologically inconsistent, it is not uncommon for entries noting
transactions separated by many years to appear consecutively." Die
Kollation wird nur in einer Fußnote (S. 1, Anm. 3) angegeben und nicht
analysiert. Conway weist auch nicht darauf hin, daß es sich bei der
Handschrift um ein, für Geschäftsbücher dieser Art typisches schmales
Hochformat handelt. Sie gibt auch nicht an, daß die Handschrift in
moderner Zählung 150 Blatt umfaßt, von denen Blatt 131v bis 138v leer
geblieben sind. Die letzte Lage ist auch nicht verkehrt eingebunden,
sondern wurde nur umgedreht von der anderen Seite aus beschriftet.
Blatt 139 bis 150 nach der Zählung von der Hauptseite aus werden so
Blatt 12 bis 1 nach der Zählung von hinten aus. Diese Fehleinschätzung
der Anlage der Handschrift hat bei Conway auch Konsequenzen für den
Schlußteil (S. 279 - 287) ihrer Edition, in dem sie den Text der 12
letzten Blätter (Bl. 139 - 150 = 12 - 1 von hinten) in der falschen
Reihenfolge (von 12 nach 1 statt von 1 nach 12) und damit auch der
falschen Chronologie von 1482 nach 1477 (statt umgekehrt) wiedergibt.
Nesi (a.a.O. S. 114 - 121) hat diesen Fehler nicht gemacht und wirkt
auch sonst beim direkten Vergleich zuverlässiger als Conway. Auch über
ihre Editionsprinzipien gibt Conway nur in einer Fußnote (S. 6 - 7,
Anm. 21) gegen Ende ihrer Introduction folgende Auskunft: "Because
Roediger and Nesi, in making orthographical or grammatical
corrections, often imposed a particular meaning on a passage that was
not borne out the by [by the!] original manuscript, I have chosen to
provide a diplomatic transcription instead. The only area in which I
deviated from absolute orthodoxy in my transcription was in following
the exact word division (or lack thereof) of Fra Domenico et al."
Schöne Grundsätze, deren Befolgung durch Conway man in einem Fall
kontrollieren kann. Die Beschriftung des Pergamentumschlags der
Handschrift wurde von Conway gleich am Beginn (S. 91) ihrer
Transcription wiedergegeben. Verglichen mit der Wiedergabe bei Nesi
(a.a.O. S. 121 - 123) ergeben sich natürlich einige Unterschiede und
Widersprüche, die mit den "orthographical or grammatical corrections"
durch Nesi zusammenhängen könnten. Es geht aber auch um abweichende
Zahlen. Nun hat Conway zum Glück die Beschriftung des hinteren
Umschlags am Schluß ihrer Transkription nochmals wiederholt, so daß
man in diesem Fall ihre beiden Transkriptionen miteinander vergleichen
kann (S. 91 und 287). Dabei zeigt sich, daß ihre beiden
Transkriptionen an ein paar Stellen (auch bei Zahlen!) voneinander
abweichen. Der gravierendste Fall betrifft den Namen der Florentiner
Familie Panciatichi. Vorn (S. 91) transkribiert sie 'franciescho
pantiachi' und hinten (S. 287) 'franciescho pantiatichi', während es
bei Nesi (a.a.O. S. 123) wohl richtig 'franciescho panciatichi' heißt.
Die Beschriftung des hinteren Umschlags, bei der eine Zeile 'upside
down' geschrieben ist und sich mit der beigefügten Zahl '12' auf Blatt
12 der hinteren Zählung bezieht, hätte ihr außerdem klarmachen müssen,
daß die letzte Lage der Handschrift nicht falsch eingebunden, sondern
nur von hinten her beschrieben wurde. Ein weiterer Mangel dieses
ansonsten sehr schön auf gutem Papier gedruckten Bandes ist, daß nicht
eine einzige Abbildung beigegeben wurde. Bei einem Dokument der
Bedeutung des Diario hätte man sich mindestens die Abbildung (auch
etwas verkleinert) von drei bis vier charakteristischen Seiten und
einer der beschrifteten Umschlagseiten gewünscht, so daß man sich
selbst ein Bild von der wirklichen Beschaffenheit der Handschrift
machen und wenigstens an diesen Beispielen die Qualität der
Transkription Conways überprüfen könnte. Ein Desiderat für die Zukunft
bleibt eine originalgroße Faksimileausgabe des Diario mit einer
Transkription und philologischem Kommentar durch einen paläographisch
versierten italienischen Philologen.
Abschließend noch ein Blick auf das etwas aufgeblähte
Literaturverzeichnis (S. 83 - 90), das eine kunterbunte Mischung von
Titeln aller Art vom 16. bis 20. Jahrhundert darbietet. Sogar eine
sehr verkürzt beschriebene Handschrift der Biblioteca Palatina in
Parma befindet sich darunter (S. 84: Campanini). Es lohnt nicht, auf
die leicht erkennbaren reinen Druckfehler hinzuweisen. Herausgegriffen
seien nur ein paar Merkwürdigkeiten, die seltsam anmuten. Warum muß in
einem Buch, das vom frühen Buchdruck handelt, der Gesamtkatalog der
Wiegendrucke (GW) unter 'Kommission für den Gesamtkatalog der
Wiegendrucke' und der Indice generale degli incunaboli delle
biblioteche d'Italia (IGI) unter 'Centro nazionale d'informazioni
bibliografiche' aufgeführt werden? Ein Titel von Pietro Bologna ist im
Alphabet vor Bloy eingeordnet statt danach. Die unter Corsten, einen
der Herausgeber, gestellte Bibliographie Der Buchdruck im 15.
Jahrhundert wurde 1993 mit einem Teil 2 (Nachträge und Ergänzungen
sowie die Register) abgeschlossen, während hier nur die nicht als Teil
1 gekennzeichnete Bibliographie von 1988 erscheint.[3] Bei den 1959 in
Turin erschienenen Opera omnia von Marsilio Ficino handelt es sich um
den Nachdruck der Basler Ausgabe von 1576. Weitere Reprints dieser
Ausgabe erschienen ebenfalls in Turin 1962, 1979 und 1983.
Peter Amelung
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