So nimmt es auch kaum wunder, daß nicht ein gelernter Bibliothekar
oder Bibliograph das dringend erwünschte Gesamtverzeichnis der in
Basel während der Inkunabelzeit gedruckten Bücher vorlegt, sondern mit
Pierre L. van der Haegen ein "Manager,[1] Bibliophiler und
Inkunabelkundler" (Schutzumschlag), der in einem "sabbatical year"
1982/83 die Forschungen zum Basler Buchdruck begonnen[2] und dieses Buch
1995 "in Angriff genommen" hat.
Weitab von Basel lebend, ist der Rezensent höchlichst beeindruckt und
überrascht über die Darbietungsform des Katalogs - ähnliche
Unternehmungen wie Ernst Voulliémes Buchdruck Kölns entschieden sich
für eine alphabetische Ordnung der Drucke oder wie Curt F. Bühler über
Bologna[3] oder Peter Amelung im Ulmer Teil seines Frühdruck im
deutschen Südwesten[4] für eine chronologische Darstellung der
Offizinen. Hier finden wir die Überschriften Die Drucker der ersten
Generation, Der Wegbereiter des Aufschwungs, Die Drucker der späteren
80er Jahre und Die Drucker des letzten Jahrzehnts mit
Produktionsschwerpunkt illustrierte Bücher.
Aber da melden sich Fragen. Johann Amerbach war einer der
bedeutendsten Inkunabeldrucker überhaupt, und in Basel mag er als
Primus gelten. Er war sicher mehr als ein Wegbereiter. Dieses Etikett
dürfte auf Michael Wenssler (Drucker der ersten Generation) passen,
der das Pech hatte, pleite zu gehen, sonst hätte er selbst den
Aufschwung bewirkt. Im letzten Abschnitt sind die neunziger Jahre mit
dem Produktionsschwerpunkt illustrierte Bücher verbunden, und darunter
finden sich Basler Randgestalten wie Adam von Speyer und Kilian
Fischer, deren erster wenigstens einen Titelholzschnitt besessen hat,
beim zweiten ist keine Illustration erwähnt.
Im Grunde gehörten derartige Urteile in eine verbale
Gesamtdarstellung, die wir im Band vermissen. Zumal er neue
Druckerzuweisungen enthält, muß (und soll) er das Bild vom Basler
Buchdruck, wie wir es z.B. aus den Handbüchern Ernst Voulliémes oder
Ferdinand Geldners kennen, verändern. Ich wäre gern auf diese Punkte
hingewiesen worden, und natürlich bin ich interessiert zu lesen, warum
Amerbach nur ein Wegbereiter gewesen sein soll (aus der Optik des 16.
Jahrhunderts für seine Frühzeit?). Bei den Druckern des letzten
Inkunabeljahrzehnts, die ihren Produktionen verstärkt Bilder beigaben,
hätte man die Verbindungen zur zeitgenössischen Kunstszene beleuchten
und vielleicht Meister nennen können, die das Buchgewerbe bedienten.
Haben aber nicht auch die älteren Offizinen die Ausstattung ihrer
Bücher verbessert? Sie sollten wegen ihrer Erfahrung und vielleicht
angesammelter Kapitalien dazu eher in der Lage gewesen sein. Sicher
hätte man auch (wie Peter Amelung im Ulmer Teil seines
Ausstellungskatalogs) das Vorkommen der Typen dokumentieren können.
Wenn man das kurze Geleitwort des Direktors der UB Basel liest,
verstärkt sich der Eindruck, daß dieses Verzeichnis als interne Basler
Angelegenheit gedacht ist. Da wird von einem "wichtigen Stück Basler
Geschichte" und dem "Nachweiskonzept der Bibliothek" gesprochen. Als
Außenstehender muß ich dem "schade" entgegnen, vor allem wegen der
Mühen des Autors! Hätte man nicht doch die Einblattdrucke einbeziehen
können, auch wenn "die meisten" (S. XIII) im Stadtarchiv lagern und
(1909!) ausführlich beschrieben sind? Ja, und selbst der
Provenienzaspekt kommt zu kurz. Das Bemerkenswerte an der Basler
Buchlandschaft des ausgehenden 15. Jahrhunderts ist die enge
Kooperation der Druckereien mit der Basler Kartause und dem
Augustiner-Chorherrenstift St. Leonhard, denen die Drucker ihre
Novitäten schenkten und von denen sie Vorlagen für ihre Drucke
erhielten, sowie so mancher Besitzeintrag der in der Stadt wirkenden
Humanisten. Ich hätte diese Provenienzen gern in einem Register
erschlossen gefunden, und da es sich um den abgegrenzten UB-Bestand
handelt, wäre das machbar gewesen. Auch hätte es mich interessiert zu
erfahren, wo sich außerhalb Basels Geschenke an die Kartause befinden
oder befanden.[5]
Es gibt nur wenige Städte, an denen man die Symbiose zwischen
Buchdruck und Universität so detailliert beobachten kann wie in Basel.
Die Entwicklung der folgenden Jahre, von Erasmus bis über Jacob
Burckhardt hinaus, ist zu einer bestimmenden Komponente europäischer
Geistesgeschichte geworden, und man darf wohl behaupten, daß der
humanistische Geist der Stadt zumindest in Buch-Menschen Sympathie
erweckt. Diesen hätte man mit mehr und genauerer Information einen
Dienst erwiesen, ihre Neugier hätte man reichhaltiger befriedigen
können.
Aber natürlich können wir dem Autor auch für die vielen, vielen
Nachrichten, die wir erhalten, dankbar sein. Wir besitzen nun eine
moderne Liste der Basler Inkunabeln mit Umfängen, Blattzahlen,
benutzten Typen und Holzschnittschmuck. Wir erfahren, wo wir die
Drucke einsehen können, ob in Basel (Kapitel mit den zitierten
Überschriften) oder auswärts. Im Anhang können wir Nachweise in der
Schweiz ermitteln, nur bei CH:- müssen wir andere Nachschlagewerke
konsultieren. Es folgen Register nach Autoren, nach dem Druckjahr und
nach den Druckern (Hauptteil und Anhang ineinandergeordnet). Den
Schluß bilden die Konkordanzen.
Bei der Solidität und Umsicht, die wir in diesem Hauptteil des Buches
beobachten, tröstet es - denn doch - den oft vor den Basler Typen
ratlosen Inkunabelbibliothekar, daß auch van der Haegen Fragezeichen
setzen mußte. Wahrscheinlich sind diese Probleme nicht zu lösen, und
wenn die Drucker handwerklich-solidarisch zusammengearbeitet haben und
nicht in Konkurrenz gegeneinander, müssen wir neue Methoden
entwickeln, den Austausch der Druckmaterialien zu verfolgen.
So haben wir uns über ein wichtiges Nachschlagewerk zu freuen, das
unsere Kenntnis des Basler Buchwesens deutlich voranbringt. Die Monita
betreffen einige Ungeschicklichkeiten[6] sowie den Überbau literarischer
und geistesgeschichtlicher Schlußfolgerungen. Hoffen wir, daß uns bald
eine Gesamtdarstellung, die die Ergebnisse des Buches nutzt, beschert
sein wird. Pierre L. van der Haegen sei Dank, daß er sich der
Kärrnerarbeit der Materialsammlung unterzogen hat.
Holger Nickel
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