Zum Verständnis des Projektes soll kurz der historische Hintergrund
skizziert werden.[1] Der Kontrollrats-Befehl Nr. 4 vom 13. Mai 1946 sah
vor, daß Bibliotheken, Buchhandlungen, Verlage, etc. "... Innerhalb
von zwei Monaten ... a) Alle Bücher, Flugschriften,
Zeitungssammlungen, Alben, Manuskripte, Urkunden, Landkarten, Pläne,
Gesang- und Musikbücher, Filme und Lichtbilddarstellungen
(Diapositive) - auch solche für Kinder jeglichen Alters - , welche
nationalsozialistische Propaganda, Rassenlehre und Aufreizung zu
Gewalttätigkeiten oder gegen die Vereinten Nationen gerichtete
Propaganda enthalten; b) alles Material, das zur militärischen
Ausbildung und Erziehung oder zur Aufrechterhaltung und Entwicklung
eines Kriegspotentials beiträgt, einschließlich der Schulbücher und
des Unterrichtsmaterials militärischer Erziehungsanstalten jeder Art,
ebenso alle Reglements, Instruktionen, Anweisungen, Vorschriften,
Landkarten, Skizzen, Pläne usw. für alle Truppeneinheiten und
Waffengattungen ..." an die Militärbefehlshaber oder sonstigen
Vertreter der Alliierten Behörden abzuliefern hatten, damit dieses
Material vernichtet werden sollte.[2] Nach Einwänden und Protesten von
bibliothekarischer Seite wurde der Befehl dahingehend abgewandelt,
"... eine begrenzte Anzahl von Exemplaren der ... verbotenen Schriften
für Forschungs- und Studienzwecke von der Vernichtung" auszunehmen.
"Diese Schriften sind in besonderen Räumlichkeiten aufzubewahren, wo
sie, jedoch unter strenger Aufsicht der Alliierten Kontrollbehörden,
von deutschen Wissenschaftlern und anderen Deutschen, die die
entsprechende Erlaubnis von den Alliierten erhalten haben, eingesehen
werden können."[3] Auf Grund der Abänderung des Befehls wurde in
Nordrhein-Westfalen ein Englisch-Deutscher Landesausschuß zur
Ausmerzung nationalsozialistischer und militärischer Literatur
gegründet, der die weitere Verfahrensweise zu klären hatte. Dieser
Ausschuß bestimmte 18 Bibliotheken, die die auszusondernde Literatur
aufnehmen sollten (die Universitätsbibliotheken in Bonn, Köln,
Münster, die Bibliothek der Technischen Hochschule Aachen, die
Stadt- und Landesbibliotheken in Detmold, Dortmund und Düsseldorf
sowie die
Stadtbüchereien in Bielefeld, Bochum, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen,
Hagen, Krefeld, Mönchengladbach, Mühlheim/Ruhr, Solingen und
Wuppertal). In einem Umlauf-Katalog sollte dann (seit 1948) die
forschungsrelevante Literatur verzeichnet und schließlich von der UB
Köln in den nordrheinwestfälischen Zentralkatalog aufgenommen werden.
Bevor jedoch dieser Katalog endgültig fertiggestellt war, lief das
Katalogisierungsverfahren 1951 aus, ohne daß ein NS-Gesamtkatalog
zustande kam.[4] 1986 fand Dirk Thies das Katalogfragment (über 20.000
Titelkarten) im Keller der Universitätsbibliothek Köln - die
Fundumstände bleiben jedoch unklar. In einem Gemeinschaftsprojekt der
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft und der
Universitätsbibliothek Bielefeld unter der Leitung von Thies wurde auf
Grundlage dieser Katalogkarten der Katalog der eingezogenen politisch
unerwünschten Literatur erstellt.
Die Datenbank
Glücklicherweise hat man sich beim Retrieval-System für eine bekannte
und bewährte Oberfläche[5] entschieden und keine Eigenlösung fabriziert,
so daß zu den Recherche- und Export-Möglichkeiten nicht viel gesagt
werden muß, da sie von anderen CD-ROM-Produkten bekannt sind (IBZ,
IBR, WISO-Datenbanken). Die erweiterte Spezialsuchmaske bietet
Suchmöglichkeiten nach: Titel-Stichwort; Autor, Herausgeber, etc.;
Körperschafts-Stichwort; Körperschaftsname; Titel; Serien-Stichwort;
Wort im Autorennamen; Erscheinungsjahr; Standort; Schlagwort. Die
Titelaufnahmen wurden nach RAK-WB angefertigt, jedoch nicht immer nach
Autopsie.[6] Unterhalb der Titelaufnahme erscheinen die Bestandsangaben,
sofern noch welche zu ermitteln waren. Eine sachliche Suche ist nur
über das Suchfeld Schlagwort möglich. Die Grundlage für die
Schlagwortsuche bildet eine "Liste, die bei Beginn der Erfassung in
der Bielefelder Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
zusammengestellt wurde. Zu jedem Titel wurden ein bis mehrere
Schlagwörter vergeben."[7] Über die Index-Funktion kann diese Liste
offengelegt werden. Sie enthält 1111 Einzelschlagwörter und
Schlagwortketten, wobei letztere aus zwei bis maximal vier
Schlagwörtern bestehen, Einzelschlagwörter überwiegen jedoch. Die
Schlagwörter aus den Ketten sind noch einmal verstichwortet, so daß
sie auch in einer postkombinierten Suche mit Booleschen Operatoren
suchbar sind. Mißlich ist, daß die Schlagwörter nirgendwo bei der
Titelaufnahme erscheinen, so daß man keine weiteren Anregungen für die
Suche erhält.
Zum quantitativen Umfang des Projektes noch einige Zahlen. Bis zum 1.
März 1948 hatte man in den Depot-Bibliotheken nachweislich ca. 200.000
Bücher angesammelt. Thies schätzt, daß es "gegen Ende der Sammelphase
... zwischen 230.000 oder 250.000 gewesen sein" (Thies, S. 196)
dürften. Nach der Selektion des forschungsrelevanten Materials seien
noch 100.000 Bücher übriggeblieben (Thies, S. 197). Vom
Katalogfragment konnten "über 20.000 Titelkarten" (Thies, S. 198)
wiedergefunden werden, und die CD-ROM schließlich "enthält 26.309 ...
Titel- und Bestandsangaben",[8] also etwas mehr als 25 % dessen, was
damals als forschungsrelevante Literatur erachtet wurde. Die
Diskrepanz zwischen den 20.000 Titelkarten und 26.309 Titelangaben
wird von Thies nicht erläutert. Laut einer Mitteilung des
Hochschulbibliothekszentrums vom 1. März 1999 sind die Daten der
CD-ROM in die HBZ-Datenbank eingespielt worden.[9] Durch diese
Einspielung der Daten ist über die HBZ-R-Datenbank im WWW ein
weltweiter Zugriff gewährleistet und macht für rein formale Suchen die
Anschaffung der CD-ROM überflüssig. In der HBZ-Datenbank findet man
zudem noch weitere Ausgaben bestimmter Werke, die auf der CD-ROM nicht
verzeichnet sind.[10] Der Vorteil der CD-ROM gegenüber der HBZ-Datenbank
liegt nur noch in der Möglichkeit der sachlichen Suche, was aber nicht
unterschätzt werden sollte, da eine vollständige Re-Verschlagwortung
der Titel in der HBZ-Datenbank nicht zu erwarten ist. Man kann davon
ausgehen, daß in vielen (nordrhein-westfälischen) Bibliotheken noch
Bestände lagern, die seinerzeit im NS-Gesamtkatalog Aufnahme gefunden
hätten. Durch Re-Katalogisierungsmaßnahmen in den nächsten Jahren,
werden auch diese Bestände in diversen Datenbanken zugänglich sein,
ohne daß man sich immer der bibliothekshistorischen Bedeutung bewußt
sein wird. Das Verdienst von Dirk Thies und seinen Mitarbeitern liegt
vor allem darin, auf diesen Umstand hingewiesen und das ihm zur
Verfügung stehende Material auf der CD-ROM in komprimierter Form
zugänglich gemacht zu haben. "Der Katalog ist somit zum einen als ein
einmaliges Dokument für die Literaturpolitik der Alliierten im
Nachkriegs-Deutschland von Bedeutung, und er ist ebenso ein in
vergleichbarer Form bislang nicht existierendes Hilfsmittel zur
Rekonstruktion und Erforschung der während der Zeit des "Dritten
Reiches" in Bibliotheken vorhandenden Buchbestände; zum anderen ist er
aber auch ein signifikantes Abbild des NS-Systems selbst, gerade weil
in ihm Texte, Quellen und Materialien aus einer Vielzahl von Bereichen
und Institutionen zusammengeflossen sind."[11]
Kai Heßling
Zurück an den Bildanfang