Die Unterschiede der beiden Bilderbuchtypen sind in der präzisen Definition der Struwwelpetriade und der Max-und-Moritziade bezeichnet. "Bei der Struwwelpetriade liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung kindlicher Fehler und Laster, eine Struwwelpetriade zeigt kindliches Fehlverhalten grundsätzlicher Art mit der darauffolgenden Strafe, die in der Natur der Sache liegen kann, oder von Erwachsenen vollstreckt wird." Bei Max und Moritz ist das Fehlverhalten schwerwiegender. "Eine Max-und-Moritziade enthält einen oder mehrere Streiche unartiger Kinder, die diese aus Übermut oder Boshaftigkeit anderen (meist Erwachsenen, aber auch anderen Kindern oder Tieren) spielen, und die Strafe, die sie dafür trifft, entweder als Rache der Opfer oder aus dem Vorgang des Streiches resultierend ... oder durch Dritt-Personen bzw. Staat und Gesellschaft (häufig durch Polizei) vollzogen."
Die klare Abgrenzung ermöglicht es, die Nachfolgen beider Werke getrennt aufzuführen. Für die Struwwelpetriaden sind es allein 1577 durchnumerierte, vollständige Titel, wobei zusätzliche Auflagen oder veränderte Ausgaben sowie Übersetzungen noch mit einer Buchstabenuntergliederung der Nummer der Titelaufnahme angeschlossen sind. Verzeichnet wurden "alle bildlich oder textlich veränderten Ausgaben des Struwwelpeter (bzw. von Max und Moritz) sowie alle Nachahmungen, Parodien und Bearbeitungen." Dabei ist es "gleichgültig in welchem Land, in welcher Sprache und Schrift sie veröffentlicht wurden." Grundsätzlich ist nur gedrucktes Material berücksichtigt worden, darunter auch unselbständig erschienene Bildgeschichten aus Sammelbänden, Jahrbüchern, Kinderbeilagen von Zeitungen, Zeitschriften und Werbeheften sowie aus satirischen Zeitschriften. Außerdem wurden, soweit zugänglich, Bilderbogen aufgenommen.
Die Titel sind systematisch geordnet. Begonnen wird mit den Vorläufern (24) und dem Original-Struwwelpeter. Da eine Bibliographie der Struwwelpeter-Ausgaben des Originalverlages Rütten & Loening von Ute Liebert in Arbeit ist, wurde die Entstehung und Entwicklung der Ausgaben bis zum Ende der Urheberschutzfrist 1925 (539. Aufl.) nur skizziert. Ebenso wurde auf die Verzeichnung der Übersetzungen verzichtet, da eine entsprechende Bibliographie von Walter Sauer angekündigt ist. Unter dem Original-Struwwelpeter werden sodann originalgetreue deutschsprachige Ausgaben anderer Verlage (104), Dialekt-Ausgaben (34), Blindenschrift-Ausgaben (2) sowie Neuzeichnungen (deutschsprachige und Übersetzungen) teils mit inhaltlichen Veränderungen (90) aufgeführt. Es folgen die eigentlichen Struwwelpetriaden, also Bilderbücher in der Nachfolge zum Struwwelpeter für Kinder geschrieben. Bis 1993 sind es 200 Voll-Struwwelpetriaden (die Geschichten haben nur eine Hauptperson) und 25 Gegenüberstellungs-Struwwelpetriaden (dem "bösen" Kind wird ein vorbildlich braves gegenübergestellt) verzeichnet. Diesen "Normalen Bilderbuch-Struwwelpetriaden" schließen sich "Besondere Bilderbuch-Struwwelpetriaden, nach dem Inhalt (76 Mädchen-, 26 Tier-Struwwelpetriaden) sowie nach der Erscheinungsweise (50 Teil-Struwwelpetriaden, 30 in Zeitschriften enthaltene, 128 auf Bilderbogen) an. Das sind über 600 Struwwelpetriaden. Nun folgen aber noch 187 Struwwelpeter-Verwandte, das sind ähnliche moralische Bilderbücher und Warnungsgeschichten. also dem Struwwelpeter-Buch verwandt. Hier finden sich Halbstruwwelpetriaden (d.h. die Strafe fehlt) oder ausreißende und ungeschickte Kinder, Tierkinder u.a. aber auch Bilderbücher mit modernerer Pädagogik, in denen die Vergehen der Kinder als kindgerecht toleriert werden. Weitere Gruppen sind Pseudo-Struwwelpetriaden, Anti-Struwwelpetriaden, Struwwelpeter-Parodien (nach Themen geordnet), sowie Struwwelpeter-Bearbeitungen (Theaterstücke, Vertonungen, Spiele u.a.). Bei der jeweiligen Untergliederung sind genaue Definitionen und Erläuterungen zum Inhalt der Gruppe angegeben. Die ausführliche Gliederung gibt eine gute Übersicht über die Vielfalt der Nachfolgen. Sie ist aber auch notwendig, um überhaupt der Titelmassen Herr zu werden. Sieht man sich nur das Titelregister an, erkennt man das Problem. In sieben etwa sechszeiligen Spalten beginnen die Titel mit Strubbel- oder Struwwel-. Die vielen gleich oder ähnlich lautenden Titel, Verballhornungen und Komposita mit den Namen der Titelhelden ließen eine formale Gliederung nicht sinnvoll erscheinen.
Die Max-und-Moritziaden sind in ähnlicher Ausführlichkeit systematisch
gegliedert. Da es für die Originalausgaben bereits eine Bibliographie
von Ute Liebert gibt,[1] werden nur die Anfänge skizziert. Ebenso wird
für die Übersetzungen auf die Bibliographie von Manfred Görlach[2]
verwiesen.
Die Numerierung der Titel ist interessant. Die fortlaufende
Numerierung bezieht sich auf alle Titel (2208) mit vollständiger
Titelaufnahme. Das ist für die Auffindbarkeit vom Personen-,
Titel- oder Verlagsregister her notwendig. Hinter dieser Titelnummer
gibt es in runder Klammer noch zwei Zählungen. Die erste zählt die
Struwwelpetriaden (884) bzw. Max-und-Moritziaden (349) fortlaufend
durch, die zweite nur die Titel der jeweiligen Untergruppe. So ist es
mühelos möglich, den Umfang einer bestimmten Sachgruppe zu erkennen.
Die Bibliographie ist "von einem Sammler und in erster Linie für
Sammler geschrieben" worden. Für so spezielle Sammler genügen die
Titelaufnahmen der Bibliotheken nicht, deren enge Regeln es nicht
ermöglichen, das Titelblatt genau zu rekonstruieren. So sind hier die
Titel fast dokumentarisch genau mit Zeilenbruch wiedergegeben. Es
folgen bibliographische Quellen, Standortangaben, Beschreibung der
Illustrierung und Ausstattung sowie Angaben zum Inhalt, "knappe
Kommentare und subjektive Bewertung". Die Inhaltsangaben waren bei den
vielen gleichlautenden oder ähnlichen Titeln erforderlich. Die
Annotationen bergen eine Fülle von Angaben, denn: "Es ist das erklärte
Ziel dieser Bibliographie, eine größtmögliche Zusammenstellung von
Informationen einschließlich biographischer Angaben zu den beteiligten
Personen zum Untersuchungsgegenstand mit dem derzeitigen Stand
abzugeben." So konnten bei der Hälfte der beteiligten Personen die
Lebensdaten angegeben werden. Insgesamt ist diese Bibliographie eine
Fundgrube für Angaben zu Kinderbuchautoren und -illustratoren sowie zu
Verlagen und zur Verlagsgeschichte, die gerade für den Bereich der
Kinderliteratur sonst sehr schwer zu ermitteln sind.
Am Ende der jeweiligen Bibliographie werden "Struwwelpeter-Kataloge
(bzw. Max-und-Moritz-Kataloge) und andere Spezialliteratur"
verzeichnet. Dort ist aber nur die ganz spezielle Literatur aufgeführt
(zum Struwwelpeter 39 Titel, zu Max und Moritz 9 Titel). Ein großer
Teil der wichtigen Sekundärliteratur findet sich nur in den
Annotationen. Das ist schade, da man dort nur zufällig auf sie stößt.
Sehr verdienstvoll ist die Auflösung von über zwanzig Verlagssignets
im Anhang. Für Kinderbuchverlage gab es so ein nützliches Hilfsmittel
bisher noch nicht. Böse Kinder ist für diese Bibliographie der
treffende Titel, denn unter den Begriffen Struwwelpetriaden und
Max-und-Moritziaden werden alle moralischen Bilderbücher,
Warnungsgeschichten und Benimmbücher mit Negativbeispielen erfaßt. Der
Umfang der Titelzusammenstellung überrascht und läßt erstaunen, für so
vielfältig hielt man das Gebiet nicht! Die hohe Titelzahl belegt die
Beliebtheit des Themas, aber auch die Mühe, Kenntnis und Findigkeit
des Bearbeiters, diese Titel alle aufgespürt, verzeichnet und
entsprechend der Buchinhalte eine adäquate Gliederung erarbeitet zu
haben. Somit liegt für ein interessantes Teilgebiet der
Kinderliteratur eine mustergültige Bibliographie mit
Standortnachweisen und vielen Abbildungsbeispielen vor.
Heinz Wegehaupt
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