Der Nekrolog gibt neben einer Zeile mit Grundinformationen den Beruf und ggf. verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen in das Lexikon Einbezogenen an. Falls ermittelt, sind auch die wichtigsten mit der Emigration verbundenen Lebensdaten aufgeführt. Bei berühmten Emigranten sind die Angaben bewußt kurz gehalten, so z.B. bei dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Ivan Bunin, dem Philosophen Nikolaj Berdjaev, dem Oberkommandierenden der Freiwilligenarmee General Anton Denikin oder dem Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, Metropolit Antonij (A. Chrapovickij). Die Kürze wird damit erklärt, es befänden sich in anderen Lexika ausführliche Artikel, aber auf diese hätte verwiesen werden müssen. Überflüssig ist die häufige Mitteilung, in welchem Alter jemand gestorben ist, da Geburts- und Todesdaten genannt werden.
Das Werk geht auf das lobenswerte Bemühen einiger russischer Wissenschaftler zurück, die in der gesamten Sowjetzeit verleumdete und weitgehend verschwiegene Emigration ins Bewußtsein der Menschen im Lande zu bringen und Voraussetzungen für die Erforschung ihrer Geschichte und einzelner Schicksale zu schaffen. Dieser auf sechs Bände geplante Nekrolog erhebt nun im Vorwort den Anspruch, "das Andenken an jene Menschen zu bewahren, die nach dem Willen schwerer Schicksale Rußland verlassen haben". Dazu ist er nicht in der Lage. Er wird nach Fertigstellung lediglich 50.000, nach keinem Prinzip ausgewählte Personen verzeichnen (pro Band ca. 8500), also einen unwesentlichen Prozentsatz der mindestens 15 bis 20 Millionen Emigranten. Höchstens zwei Prozent der Aufgeführten dürften von einer wenigstens gewissen historischen Bedeutung sein, während viele wichtige Persönlichkeiten fehlen. Bei der überwiegenden Mehrzahl ist es normal, daß kein "Andenken" bewahrt wird, zumal da 99,9 % der Benutzer des Nekrologs sie nicht kannten.
Aufmachung und Preis stehen in erheblichem Gegensatz zum Nutzen.
Bereits auf zwei Bände hätte man das Werk reduzieren können, wenn man
Spaltendruck und kleinere Schrift gewählt und auf die Einrahmung jeder
Seite mit einer Schmucklinie so wie den breiten Durchschuß zwischen
jeder Eintragung verzichtet hätte, auf einen einzigen Band durch
kritische Durchsicht des Gesammelten auf wissenschaftlich irgendwie
Wesentliches, selbst wenn die Namen der Autoren der Nekrologe und
Gedenkartikel genannt und das notwendige Verzeichnis der ausgewerteten
Zeitschriften beigefügt worden wären. In einem derartigen Einzelband
wäre noch Raum gewesen, auf Nekrologe in westlichen Sprachen zu
verweisen, denn die bedeutenden russischen Emigranten waren in die
westliche Kultur integriert, von den Aufgenommenen beispielsweise der
Philosoph Nikolaj von Bubnov, der 1962 in Heidelberg starb, und der
Dichter Lev Druskin, über den z.B. der Lyriker und Nachdichter
russischer Lyrik Kay Borowsky in der Stuttgarter Zeitung (28.11.1990)
schrieb. Aber es fehlen auch wichtigste russische Nekrologe.[1]
Das Werk ist das Ergebnis jahrzehntelangen, doch recht zufälligen
Sammelns eines russischen Bibliographen. Wissenschaftler, die sich mit
historisch bedeutenden Personen befassen - in dem Buch vielleicht ein
halbes Prozent -, werden in der Regel in ausführlicheren Lexika das
Wesentliche finden, doch oft hier Ergänzendes entdecken. Aber manch
historisch Beachtenswerter ist auch nur hier vertreten. Es bleibt
unverständlich, woher im heutigen Rußland das Geld für die aufwendige
Herstellung kam, und es ist verständlich, wenn westliche Bibliotheken
ihr Geld für andere Lexika ausgeben, zumindest aber vorher prüfen, ob
die neueren Handbücher zur russischen Emigration vorhanden sind.[2]
Wolfgang Kasack
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