Das erste Kapitel nimmt die Diskussion um den Neubau der französischen Nationalbibliothek am Seine-Ufer auf. Bekanntlich hat dieser Großbau weitaus mehr öffentliche Aufmerksamkeit erregt als die anderen "grands projets" der Ära Mitterrand. Nicht nur die Planungsvorgaben für eine Aufteilung der Buchbestände, sondern auch der ungewöhnliche Entwurf des Architekten Dominique Perrault sorgten für Aufsehen, das sich in lebhaften Diskussionen niederschlug, die von der französischen Presse bereitwillig aufgegriffen wurden. Als Ergebnisse dieses Prozesses kam 1994 die Bibliothèque Nationale de France zustande, die somit über zwei großräumige Gebäude verfügt. Auch die weiteren Planungsschritte (Bauphase des Neubaus, Informationstechnologie, Digitalisierung von Literaturressourcen, Katalogkonversion, Bestandserhaltung, usw.) wurden von der Tagespresse kommentiert, womit zugleich das französische Bibliothekswesen als Ganzes häufiger in die Berichterstattung geriet. Da mit der sukzessiven Öffnung der Benutzungsbereiche aber auch die Pannen für die Öffentlichkeit sichtbar wurden und zudem noch ein mehrwöchiger Streik kurz nach der offiziellen Eröffnung den Betrieb lahmlegte, ist die BNF nur langsam aus den negativen Schlagzeilen gekommen. Einige Probleme sind auch heute noch nicht gelöst (Informationssystem, Personalfragen) und manche Details des Großbetriebs werden der Verwaltung wohl noch für längere Zeit Kopfzerbrechen bereiten.
Im zweiten Kapitel werden die öffentlichen Bibliotheken in den Kommunen und den Départements (Bibliothèques départementales de prêt) abgehandelt. Die BDP sind bekanntlich 1986 in die Obhut der jeweiligen Gebietskörperschaft entlassen worden, ein Weg, der zu einer größeren Vielfalt in der Ausgestaltung dieses inzwischen flächendeckenden Service für die ländliche Bevölkerung führte. In den kleineren Kommunen sind mit kräftiger Finanzhilfe des Staates neue Bibliotheken entstanden und in größeren Gemeinden Neubauten für bestehende Bibliothekssysteme erstellt worden, so daß das Ministerium eine stetige Expansion des öffentlichen Bibliotheksnetzes verkünden kann.
Den Bibliotheken an den Schulen des Landes ist das nächste Kapitel gewidmet. Da sich aus Umfragen ein nachlassendes Leseinteresse der Jugendlichen ablesen läßt, erteilte das Erziehungsministerium ihnen den Auftrag, den Schülern die Motivation für ein eigenständiges Lesen zu vermitteln. Über den Ausbau der Schulbibliotheken und die Ausbildung speziell qualifizierter Lehrer soll eine Animation der Schüler erreicht werden. Eine enge Kooperation zwischen Schulen und kommunalen Bibliotheken soll sicherstellen, daß den Interessenten das passende Literaturangebot vermittelt werden kann. Erste Pilotprojekte wurden begonnen, eine flächendeckende Versorgung jedoch noch nicht erreicht.
In weiteren Kapiteln wird über jüngere Anwendungen der
Informationstechnologie im Bibliotheksbereich referiert, Fragen der
Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken und Verlagen sowie Buchhandlungen
angeschnitten, Möglichkeiten einer besseren Kooperation unter den
verschiedenen Bibliothekstypen diskutiert und Probleme der
historischen Büchersammlungen, insbesondere auf dem Sektor des
öffentlichen Bibliothekswesens, aufgeworfen. Auffallend ist, daß in
diesem Zusammenhang Fragen der Bestandserhaltung nicht erörtert
werden.[2] Anschließend werden Fragen der bibliothekarischen Ausbildung
diskutiert, auf Veränderungen bei der Bibliotheksbenutzung und bei
einzelnen Benutzergruppen hingewiesen, und die Lage der französischen
Bibliotheken im Ausland (Institut Français) dargestellt. Den Abschluß
bildet eine Situationsbeschreibung einiger Spezialbibliotheken (z.B.
Bibliothèque de l'Arsenal, Bibliothèque Publique d'Information), die
sich aufgrund ihrer Sonderstellung einer generellen Zuordnung
entziehen.
Insgesamt gelingt es den 18 Verfassern, in 13 Kapiteln ein
breitgefächertes Panorama der französischen Bibliothekslandschaft in
ihrer jüngsten Entwicklung auszubreiten. Die Ausführungen sind knapp
gehalten, doch bieten sie ein dichtes Beziehungsgeflecht aus Fakten
und Bewertungen. Das Werk ist jedem zu empfehlen, der sich mit
entsprechenden Vorkenntnissen ausgestattet ein Bild der jüngeren
Entwicklungen auf dem französischen Bibliothekssektors verschaffen und
zugleich weiterführende Literatur zu einzelnen Themen erhalten
möchte.
Gernot Gabel
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