Mit der jetzt erschienenen Mikrofiche-Dokumentation der
hessen-kasselschen Leihbibliothekskataloge aus der Zeit von 1778 bis
1866 haben die Forschungen Sirges' auf diesem steinigen literarischen
Feld ein vorläufiges Ende gefunden. Seit dem Stand von 1994 ist die
Sammlung um einige Kataloge und Katalogfragmente, insbesondere um
Fortsetzungsanzeigen in lokalen Wochenblättern ergänzt worden. Zwei
Kataloge aus dem hessischen Schmalkalden hat Felicitas Marwinski zur
Sammlung beigetragen. Zu spät entdeckt wurden drei Nachtragskataloge
des Hanauer Leihbibliothekars C. J. Edler (1850 - 1855), die in der
Houghton Library der Harvard University aufbewahrt werden. Warum ein
handschriftlicher 2. Nachtragskatalog von N. G. Elwert in Marburg
(1846), den Sirges 1991 noch verzeichnet hat,[4] nicht berücksichtigt
wurde, bleibt unerklärt. Die reproduzierten Kataloge sind nach Orten
und Firmenchronologie geordnet, das zugehörige Verzeichnis der
Leihbibliothekskataloge (S. 17 - 33) aber merkwürdigerweise nach dem
Alphabet der Firmennamen.
Das Ausmaß der Knochenarbeit, die Sirges zur Erschließung der Kataloge
geleistet hat, ist am Register der Autoren, Herausgeber, Übersetzer,
Illustratoren und Komponisten abzulesen. In einem amüsanten
Zusatzregister der Titelpseudonyme wird ein Liebhaber von
Schauerromanen den Verfasser der Blutsauger finden und ein
analytischer Druckforscher auf den Verfasser der Cartons stoßen.
Während Martino, Jäger und ihre Mitarbeiter repräsentative Kataloge
aus verschiedenen deutschen Territorien in Fünfzehnjahresschritten
nach Verfassern und Bandzahlen ausgewertet haben, um so die
"Erfolgsautoren" im Bestand der Leihbibliotheken zu ermitteln, geht
Sirges einen eher unkonventionellen Weg: Zunächst wurden die Verfasser
ausgewählt, deren Registereinträge mehr als vier Zeilen beanspruchen.
Zu diesen Auserwählten wurden dann die Bandzahlen aus allen Katalogen
erfaßt. Das Ergebnis ist ebenso einfach wie verblüffend: Die zehn
Spitzenautoren von Sir Walter Scott bis Heinrich Clauren (i.e. Karl
Heun) präsentieren sich in der gleichen Rangfolge wie in den
Statistiken von Martino und Jäger. Damit erledigt sich die von Sirges
geforderte weitere Erforschung der "regionalen Besonderheiten" (S. 15)
in der deutschen Leihbibliothekslandschaft von selbst. Die deutsche
Leihbibliothek des 19. Jahrhunderts war als wichtigste Institution der
Vermittlung populärer Belletristik nicht an politische Grenzen
gebunden. Unhaltbar ist auch Sirges' These, die "Erfolgskurve" der
Vielschreiber August Lafontaine[5] und August von Kotzebue habe schon
"in den 20er Jahren" ihr Ende gefunden (S. 13). Wie die Auswertungen
von Martino und Jäger bezeugen, bildeten die beiden Autoren zusammen
mit Sir Walter Scott bis zur Mitte des Jahrhunderts das Spitzentrio im
Angebot der Leihbibliotheken.
Angesichts des heutigen Stands der digitalen Reproduktionstechnik muß
die Verfichung einer Sammlung von Katalogen als obsolet eingestuft
werden. Die meisten Lesegeräte in den deutschen Bibliotheken sind
älter als ihre Benutzer und zeichnen sich durch eine schummrige
Hinterglasbeleuchtung aus, so daß die Titel der auf grauem Papier
gedruckten Kataloge streckenweise kaum zu entziffern sind (der
Rezensent hat dies in der Universitätsbibliothek der größten
westfälischen Stadt in Niedersachsen getestet). Eine CD-ROM-Lösung
hätte hingegen den interessierten Forscher mit einem adäquaten
Arbeitsinstrument versorgt und dem Verlag höhere Absatzziffern
beschert.
Horst Meyer
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