Auf weiteren fünfzig Seiten stellt Christof Spuler, der derzeitige Leiter der dem Stadtarchiv Aachen angegliederten Einrichtung, unter der Überschrift Schätze aus dem Zeitungsmuseum in kommentierten Photos Raritäten der Sammlung vor. Eine englische Zusammenfassung von 15 Seiten, ein ausführliches Literaturverzeichnis, Abbildungsverzeichnis und Personenregister beschließen den Band.
Der biographische Abriß ist überwiegend aus den Quellen gearbeitet,
über deren Zustand und Zugänglichkeit der Verfasser ausführlich
berichtet. Die Sekundärliteratur ist sorgfältig, gelegentlich bis zur
Pedanterie ausgewertet worden.[1] Forckenbecks Vita kann in unserem
Rahmen nicht referiert werden. Die Ursprünge seiner Sammlung liegen in
seinem Interesse für die geographisch-politische Vielfalt der
gedruckten Publizistik, nicht minder aber auch in seiner Neigung zum
Raren und Curiösen; sein Weltbild blieb dabei eurozentrisch.
Forckenbeck betrieb den Aufbau des Zeitungsmuseums mit hoher Energie
über alle Hindernisse hinweg und offenbar unter rigoroser Nutzung des
ihm durch Heirat zugefallenen Vermögens. Bremen zeigt sehr schön, daß
ein Bündel verschiedener Motive im Spiele war, denen unterschiedliche
Zielsetzungen entsprachen. Forckenbeck begann mit dem Sammeln von
Zeitungen Ende der 1850er Jahre und hielt "seine Sammlung aufgrund
ihrer Vielfalt für ein besonders gut geeignetes Informationsreservoir
für wissenschaftliche Arbeiten" (S. 61). Gemeint waren
Zeitungsstatistik und Pressegeschichte, schließlich auch Zeitungen als
historische Quelle, wobei das einzelne Ereignis im Mittelpunkt des
Interesses steht, wie es sich in Extrablättern und Sondernummern
spiegelt. In dem von Forckenbeck projektierten, weit gespannten
geographischen Rahmen war die kontinuierliche Sammlung der oft
zufallsbedingten Zugänge weder technisch möglich noch finanziell
durchführbar und ist auch heute in diesem Umfang nicht zu
verwirklichen, wie etwa die Sammeltätigkeit der Berliner
Staatsbibliothek deutlich machen kann.
Es ist kein Zufall, daß Forckenbeck mit der Einrichtung eines für
jedermann (mit Ausnahme von Schülern!) zugänglichen
Zeitungs-Lesezimmers im Zusammenhang mit dem Museum den größten Erfolg
erzielte. Zeitungs-Leseräume und Zeitungs-Clubs sind untrennbarer
Bestandteil der Rezeptionsgeschichte der Tagespublizistik. Die dort
gelesenen Blätter für den Bestandsaufbau zu nutzen, ist in Aachen
mehrfach versucht worden und wurde an den Universitätsbibliotheken
Köln und Bonn noch Anfang der 1970er Jahre praktiziert.[2]
Die Sammlung sollte öffentlich zugänglich und für wissenschaftliche
Zwecke verfügbar sein, einander ergänzende, vielleicht auch
widersprechende Ziele, die seit der Gründung des Museums 1885
keineswegs allzeit erreicht wurden. Unterschiedliche Trägerschaften
und angestrebte Organisationsformen unter wechselnden Leitern mit
unterschiedlichen Interessen - Max Schlesinger (+ 1919), Wilhelm
Hermanns (bis 1952) und die Stadtarchivare Bernhard Poll und Herbert
Lepper - sowie Verlagerungen und Umzüge bestimmten die weitere
Geschichte der Sammlung.
Dem Bibliothekar, gewöhnt an den systematischen Bestandaufbau Jahrgang
um Jahrgang, bereitet die Vorstellung, lediglich Einzelnummern zu
archivieren, einiges Unbehagen. Hier scheiden sich Bibliothek und
Museum und kommen einander doch wieder näher, wenn es um
Benutzungsdienste in Zusammenhang mit bibliothekarischen
Sondersammlungen geht, zu denen Zeitungen zweifellos gehören. In deren
Umkreis erbringen die Bibliotheken oft genug Erschließungsleistungen,
die sich mit denen der Museen gut und gern vergleichen lassen.
Forckenbecks an die Zeitungsverleger in Deutschland adressierter
Wunsch beispielsweise nach einem Belegexemplar ihrer ersten Nummer für
das Jahr 1886 nimmt um mehr als ein Menschenalter die
Stichtagssammlungen vorweg, die Walter J. Schütz seit 1956 für die
Bundesrepublik angelegt hat.[3]
Bremen denkt im Hinblick auf die Würdigung der Forckenbeck'schen
Leistung weniger an die Bibliotheken als vielmehr an die
Publizistikwissenschaft. Er sieht die Sammlung zerfallen, physisch und
im Hinblick auf eine sinnvolle Funktion des Unternehmens. "Allzu
deutlich klafft seit 1945 noch eine Lücke in der Leistungsbeurteilung
von Forckenbecks zwischen den Historikerarchivaren, die von
Forckenbeck eine für die Mediengeschichte wichtige Rolle zusprechen
und der Zeitungswissenschaft, die ihm diese Anerkennung noch versagt.
Offenbar sieht letztere in seinen Leistungen keine Initialwirkung für
die Entwicklungsgeschichte ihres Faches", schreibt er am Ende seiner
Einleitung (S. 19). Nachdem die von Hermanns vor dem Kriege begonnenen
Versuche gescheitert waren, das Museum in die RWTH Aachen
einzubeziehen oder einzugliedern, werden derzeit erneute Versuche in
dieser Richtung unternommen, wobei es zunächst um die Erschließung der
Bestände geht. Spezielle Forschungsprojekte sollen dann einzelne
Materialbereiche aufarbeiten, die deutschsprachigen jüdischen
Zeitungen oder die Presse der Revolution von 1848.
Die "Schätze aus dem Zeitungsmuseum", 32 kommentierte Photos von
Zeitungsseiten, verdeutlichen die verschiedenen Aspekte der
Forckenbeckschen Sammeltätigkeit, an denen sich auch seine
theoretischen Äußerungen ausrichteten: die Abteilung Standesamt der
Weltpresse bietet erste und letzte Ausgaben, Jubiläumsnummern, seltene
Streikersatzblätter ("Not Yet The Times", 1979); Schlagzeilen der
Weltgeschichte zeigt Zeitungen als Dokumentation des historischen
Moments: den Beginn und das Ende von Kriegen, den Reichstagsbrand,
Zolas "J'accuse!" auf der ersten Seite der L'Aurore vom 13. Januar
1898, Katastrophen und den Tod von Prominenten. Die Gruppe
Außereuropäische Zeitungen schließlich enthält überwiegend Exotisches,
Blätter in hierorts unbekannteren Sprachen und Schriftzeichen.
Die kleine Auswahl steht in keinem Verhältnis zu dem ungefähr 150.000
Einzelschriften[4] umfasssenden Gesamtbestand. Zeitungsformate auf den
Seiten eines Oktavbandes abzubilden, ist immer mißlich - so gewinnt
der Betrachter denn auch nur einen allgemeinen Eindruck und kann
bestenfalls die Schlagzeilen entziffern. Um so mehr ist er auf den
Kommentar angewiesen, der ihn jedoch leider an einigen Stellen im
Stich läßt, und zwar gerade bei den entlegenen Titeln. Über die
abgebildeten chinesischen, arabischen und indischen Blätter kann
Spuler mangels Sprachkompetenz sachlich nichts aussagen (S. 166 - 168)
und fand im Umkreis des Museums offenbar auch niemanden für die
sprachliche Entschlüsselung seiner Exotica. Die Overland China mail
(Abb. S. 175) bietet ein anderes Problem: Die einschlägigen Handbücher
wüßten gar nichts über diesen Titel, erklärt Spuler, und weist auf die
besonders kleine Schrifttype dieses englischsprachigen, 1848 in
Hongkong erschienenen Blattes hin. Parallelen zu entsprechenden
indischen Zeitungen legen für den Rezensenten den Schluß nahe, daß es
sich um die Fernausgabe der China mail handeln könnte, eine
komprimierte Zusammenfassung der Grundausgabe mit geringerer
Erscheinungshäufigkeit. In der Verdichtung des Satzes verrät sich das
Bestreben nach Minimierung der Transportkosten. Nach dieser Hypothese
wäre der Kopftitel China mail - Overland [Edition] zu lesen.
Die Zugänglichkeit der aktuellen Presseerzeugnisse hat sich, nicht
zuletzt mit Hilfe des Internet, wesentlich verbessert; die der älteren
Bestände bleibt oft schwierig. Das Zeitungsmuseum kann diese Lücke
beträchtlich verkleinern, wenn seine Bestände erst einmal ganz
erschlossen sind (ein ehemals vorhandener Katalog wurde, bei geringen
Kriegsverlusten im Bestand, ein Opfer der Zeitläufte). Das Museum kann
über die Bibliothekssammlungen hinaus schon jetzt die Vielfalt der
Tagespublizistik beispielhaft dokumentieren, während die
Bibliothekare, bestimmt durch den laufenden Bezug des kontinuierlich
zu Sammelnden, an eine Ausweitung der Titelzahl in ihren Instituten
kaum denken können. Das "Standesamt der Weltpresse" stellt mithin eine
höchst wichtige Ergänzung unserer Zeitungssammlungen dar. Es wäre zu
wünschen, daß der vorliegende Band der weiteren Entwicklung positive
Impulse gäbe.
Willi Höfig
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