Dem Anspruch nach werden Etymologie, Entwicklung und die am häufigsten gebräuchlichen Bedeutungen der Begriffe beschrieben sowie philosophisch einflußreiche Strömungen, die die Verwendungsweise der Begriffe maßgeblich bestimmt haben. Mit der Betonung des ideen- und begriffsgeschichtlichen Aspekts folgt die Konzeption den Leitideen der Vorgänger Friedrich Kirchner, Carl Micha‰lis und Johannes Hoffmeister. "Es sei daran erinnert, daß das Wörterbuch ursprünglich für den Zweck erarbeitet worden war, die Eigenart der besonderen Begriffe zu erschließen, die in den Textausgaben der Philosophischen Bibliothek vorkamen" (S. VII). Übernommen werden so insbesondere Textteile von Artikeln aus Hoffmeister 1955, aber auch von Micha‰lis 1907, die in Hoffmeister nicht mehr enthalten sind. Zugunsten der formalen Logik und Sprachphilosophie sind, dem gewandelten Philosophieverständnis folgend, Begriffe aus dem Bereich der empirischen Psychologie entfallen.
Auf die Vorgeschichte des Lexikons näher einzugehen, lohnt, weil die Herausgeber mit der Neubearbeitung den Dialog mit markanten Phasen deutscher Philosophie aufnehmen; philosophische Positionen der Jahrhundertwende und der unmittelbaren Nachkriegszeit werden wieder aufgerufen und kritisch bewertet.
Seinen Anfang nahm das langlebige, immer wieder von Neubearbeitungen
aktualisierte Unternehmen 1886 mit Kirchners Wörterbuch der
philosophischen Grundbegriffe,[2] das von A=A bis Zweikampf noch ohne
Register auskam. Kirchner wollte das Werk zwischen den
Konversationslexika der Zeit und Krugs encyklopädisch-philosophischem
Lexikon[3] plaziert sehen, das als zu weitschweifig und veraltet galt.
In rascher Folge kamen bald erweiterte Auflagen auf den Markt (2.
Aufl. 1890, 3. Aufl. 1897).
Die erste Neubearbeitung durch Carl Micha‰lis 1903 schien in Teilen
dem herrschenden Neukantianismus Rechnung zu tragen. Jedenfalls wurde
die 5. Aufl. 1907, wiederum als Neubearbeitung angekündigt, von
zeitgenössischen Kritikern, wie Micha‰lis beklagt, rundweg als
"Kantlexikon" aufgefaßt (1911, S. VI). Die 6. Aufl. 1911, mittlerweile
die dritte Neubearbeitung, konnte u.a. mit Rudolf Eucken renommierte
Beiträger aufbieten. Micha‰lis hatte sich inzwischen entschlossen, in
der dritten Neubearbeitung "auf den ursprünglichen Text Kirchners
keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen. Viel dürfte von ihm nicht mehr
stehen geblieben sein." Das Lexikon, so bekannte Micha‰lis, war "nicht
für den Fachphilosophen bestimmt" (1911, S. V), sondern, wie schon die
5. Aufl., "Den deutschen Studenten" gewidmet.
1938 hielt man die Zeit reif für eine 'vollständige Neubearbeitung'
durch Johannes Hoffmeister. Doch verzögerte sich das Erscheinen des
Werkes bis 1944, das schon mit der Änderung des Titels in Wörterbuch
der philosophischen Begriffe[4] fortan einen umfassenderen Anspruch
reklamierte. Die Auflage war nach Kriegseinwirkungen fast vollständig
verbrannt und mußte - so die Legende - nach einem einzig erhaltenen
Exemplar nachgedruckt werden.
Im Vorwort werden die konkurrierenden Lexika, wie Mauthner,[5] als
"weitläufiges, geistreich-geschwätziges Machwerk zersetzender
Sprachkritik" oder, wie Schmidt,[6] als "billiges Erzeugnis
materialistisch-monistischen Geistes" diffamiert (1944, S. III).
Hoffmeisters einleitende Bemerkungen (unterzeichnet: "Paris, dem 3.
September 1943") sind ein aufschlußreiches Dokument philosophischer
Lexikographie aus der Zeit des Nationalsozialismus: "Die bisherigen
philosophischen Wörterbücher haben weitgehend den Charakter von
Fremdwörterbüchern gehabt; sie haben unter Verkennung der
eigensprachlichen Ursprünge des deutschen Denkens die lateinische
Tradition verabsolutiert und die großen inhaltsschweren, tiefsinnigen
germanischen Begriffe fast vollkommen vernachlässigt. Begriffen wie
Heil, Leben, Liebe, Macht, Reich, Schicksal, Schuld, Seele, Welt,
Werden, deren Gestalt in prägnanter Weise germanisch-deutsche Art zum
Ausdruck bringt, deutschen Bezeichnungen ethischer und religiöser
Werte wie Andacht, Demut, Ehre, Ehrfurcht, Freundschaft, Frömmigkeit,
Gesinnung, Gewissen, Glaube, Innerlichkeit, Sehnsucht, Treue, in denen
sich die innige Verbundenheit der deutschen Philosophie mit dem Leben
des Volkes offenbart, endlich auch mehr funktional gebrauchten
Begriffen wie Abgrund, rein, - allen diesen germanisch-deutschen
Begriffen durch Feststellung ihrer Herkunft und usprünglichen
Bedeutung, durch Darlegung ihrer metaphysischen Tiefe und
geschichtlichen Wirkung wieder das Heimatrecht in der philosophischen
Sprache zu geben, das ihnen gebührt, war ein besonderes Anliegen des
Wörterbuchs" (1944, S. V).
Hoffmeisters 2. Neuaufl. 1955 schöpfte, wie schon die Vorlage 1944,
aus dem Stichwortreservoir von A ist A bis Zynismus. Die
Neubearbeitung war halbherzig ausgefallen und mußte als mißlungen
gelten. Grund hierfür ist der Umstand, daß zahlreiche mit der
nationalsozialistischen Ideologie unterlegte Artikel mitgeschleppt
wurden. Es ist ganz und gar unverständlich und dem Verlag Felix Meiner
zum Vorwurf zu machen, daß das Werk 1988 noch einmal unverändert und
unkommentiert als Reprint auf den Markt gebracht wurde.
So wird Leistungstyp in den Ausgaben 1944 und 1955/1988 als eine
Bezeichnung "für die 'Stileinheit' der rassischen Erscheinung des
'nordischen' Menschen (Psycho-Anthropologie)" geführt. So finden sich
durchgängig Einträge zu Rasse, Rassenkunde, -psychologie, -seele;
lediglich das Stichwort Rassenbiologie entfällt 1955. Rassenkunde wird
1944 und 1955/1988 definiert als "die Lehre von der Einteilung der
Menschen in Rassen nach unterscheidenden Sondermerkmalen (wie Farbe
des Haars, der Augen, der Haut, Form des Schädels, des Ohrs, der Nase,
des Haars) [...]; zur R. gehört die Frage nach dem Vorkommen auf der
Erde, nach der Entstehung, nach der Entwicklungshöhe usw." Der
Literaturhinweis 1944 "E. v. Eickstedt: Die rassischen Grundlagen des
dt. Volkes (1939)" wird 1955/1988 ersetzt [!] durch: "E. v. Eickstedt:
R[assenkunde]. und Rassengeschichte der Menschheit (1934, [2. Aufl.]
1937)".
Zum Stichwort Rasse heißt es in den Ausgaben 1944 und 1955/1988: "Doch
wird der Begriff der R. auf den Menschen nicht nur für eine erste
Einteilung (etwa weiße R., Mongolen, Neger, Indianer usw.) gebraucht,
sondern auch für feinere Unterschiede und Unterteilungen, die in der
Tierwelt nur als Unterrassen und Spielarten verzeichnet würden
(Psycho-Anthropologie)." Diese Passage wird nun in der Neubearbeitung
1998 folgendermaßen aufgenommen und kritisch gewendet: "Wie weit der
Begriff der R. im Hinblick auch auf den Menschen angewendet sollte,
also nicht nur für eine erste Einteilung nach Hautfarben (weiße,
gelbe, schwarze, rote), sondern auch für die Benennung feinerer
Unterschiede und Unterteilungen gebraucht werden kann, ist umstritten
(s. Rassismus)." Leider wird im Vorwort 1998 diese Form der internen
Auseinandersetzung mit dem Vorgänger nicht explizit gemacht. Es ist
daher fraglich, ob Hoffmeister der Sache nach die Folie für Artikel
diesen Inhalts abgeben kann. Zwar wird darauf hingewiesen, daß
Hoffmeister 1955/1988 erstmals Beiträge zur Theorie- und
Ideengeschichte des demokratischen Rechtsstaates enthält (1998, S.
VIII); doch läßt sich an Einträgen wie Auslese zeigen, daß hiermit
weniger die Vermittlung sachhaltiger Information als
Adaptionsleistungen im konzeptuellen Bereich demonstriert werden: "Im
Gemeinschafts- und Berufsleben bedeutet A. die Förderung der
körperlich, charakterlich und geistig 'Besten', eine der wichtigsten
und schwierigsten Aufgaben in einer Demokratie."
Das philosophische Wörterbuch aus dem Hause Meiner hätte eine
kritische Aufarbeitung verdient. Stattdessen wird es als ein
Unternehmen mit ideen- und begriffsgeschichtlicher Orientierung
wiederbelebt ("vollständig neu herausgegeben"), das die Arbeit der
Herausgeber großenteils jedoch auf die Beseitigung ideologischer
Barrieren festlegt. Ein modernes Nachschlagewerk zu kreieren, das mit
den aktuellen Handwörterbüchern angloamerikanischer Provenienz
konkurrieren kann, gelingt so nicht. Als Beispiel soll der Eintrag
Umweltethik dienen, in dem die Vernachlässigung zeitgemäßer
Problemanalyse deutlich wird. Es heißt dort beinahe schon naiv: "[...]
Die weitreichenden und z.T. irreversiblen Folgen, die menschliches
Handeln für die Umwelt haben kann, scheinen es dabei in jedem Fall
nötig zu machen, auch die Interessen künftiger Generationen mit zu
berücksichtigen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Nutzung von
Atomenergie, deren Abfallprodukte jahrtausendlang gefährlich
strahlen." Erwartet werden hier entweder präzisere Informationen oder
eine argumentative Auseinandersetzung, die den aktuellen
Diskussionsstand[7] reflektiert.
Jürgen Weber
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