Die Philosophie der Gegenwart von Nida-Rümelin (der Göttinger
Professor für Philosophie - derzeit beurlaubt - ist seit 1998
Kulturreferent der Stadt München) nun gehört zu letzterem. Es ist ein
Werk, das geographisch gesehen die "Philosophie des deutschen
Sprachraums überproportional berücksichtigt - insgesamt liegt der
Schwerpunkt auf der europäischen und amerikanischen Philosophie" (S.
XI) -, und das zeitlich gesehen das Schwergewicht auf die heute
lebenden, lehrenden und schreibenden Philosophen richtet (S. XI).[5] Das
Werk, das 1999 in zweiter, aktualisierter und erweiterter Auflage
erscheint, ist dem 1991 verstorbenen, ehemaligen Vorstand des Seminars
für Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie der
Ludwig-Maximilians-Universität München, Wolfgang Stegmüller, nicht nur
gewidmet, sondern kann als Nachfolgewerk von dessen gleichfalls im
Kröner-Verlag erschienenen Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie[6]
angesehen werden. Es hat gegenüber der Erstauflage von 1991 eine
aktualisierte und teilweise neu abgefaßte Einleitung; außerdem wurden
einige Philosophen neu aufgenommen, das Werk der anderen ergänzt und
die Bibliographien aktualisiert. Ziel dieses Lexikon ist es nicht,
"einen Kanon gesicherten Nachschlagewissens zu vermitteln", es soll
vielmehr "die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie
anregen, erleichtern und begleiten" (S. XI). Die Artikel sind
folgendermaßen aufgebaut: Nach einer einleitenden Vita mit den
wichtigsten Lebensereignissen wird das philosophische Oeuvre
dargestellt, das die Grundprobleme und Lösungsansätze aufzeigt. Daran
schließt sich - und das ist sicherlich eine große Bereicherung
gegenüber vielen herkömmlichen Personenlexika - eine
Rezeptionsgeschichte an, die die Wirkungen und Auseinandersetzungen
darlegen. Abgeschlossen wird (jeweils historisch geordnet) mit einer
Auswahl der Originalliteratur und einer recht ausführlichen
Sekundärbibliographie. Über die Auswahl der aufgenommenen Autoren
informieren sowohl das Vorwort als auch die Einführung: Während der
gesamte Bereich der primär textinterpretatorischen und
philosophiegeschichtlichen Forschung unberücksichtigt bleibt, versucht
die Auswahl der Beiträge, die Vielfalt der Gegenwartsphilosophie
angemessen zu repräsentieren (S. XII). Etwas unklar ist jedoch das
behauptete Kriterium, daß nicht die akademische, sondern die originär
philosophische Bedeutung (S. XII) des Oeuvres ausschlaggebend sein
soll. Denn nicht nur die bloß akademische Bedeutung wäre hier genauer
zu umreißen, sondern die Entscheidung, was originär philosophisch sei,
scheint doch gerade von der akademischen Forschung bestimmt zu werden.
In der knapp zwanzigseitigen, in 4 Kapitel unterteilten Einführung
versucht der Herausgeber zusammen mit Tania Eden, zwischen den
insgesamt 156 behandelten Philosophen Verbindungslinien aufzuzeigen,
die letztlich auf Grund des Rahmens über andeutende Zusammenhänge
nicht hinauskommen können, wobei Husserl ein etwas größerer Abschnitt
(S. XVII - XIX) gewidmet wird, dem wie Frege zwar eine "überragende
Bedeutung" (S. XI) zugestanden wird, die aber beide nicht in einem
eigenen Artikel aufgenommen sind, da sie "nicht mehr in den ...
gesetzten zeitlichen Rahmen" (S. XI) passen.
Gegenüber diesem sicherlich sehr hilfreichen Personenlexikon für die
fachphilosophische Forschung unterscheidet sich das von Bernd Lutz
herausgegebene biographische Lexikon Die großen Philosophen des 20.
Jahrhunderts vor allem durch seine grundsätzlich andere Ausrichtung:
"Der Stil der Artikel und das Gesamtkonzept sind nicht auf den
Fachphilosophen ausgerichtet; der Band wendet sich ... an alle
diejenigen, die sich aus den unterschiedlichsten Interessen heraus
über den philosophie- und problemgeschichtlichen Horizont, die
Voraussetzungen und die Wirkungen einer philosophisch bemerkenswerten
Existenz informieren wollen" (S. 5). Innerhalb dieses Rahmens[7] muß man
die Beurteilung des Herausgebers über das gleichfalls von ihm betreute
Metzler-Philosophen-Lexikon sehen, das "sich längst als Standardwerk
durchgesetzt hat" (S. 5) und aus dem das vorliegende Bändchen eine
Auswahl von 125 Philosophen bietet.[8] Ob diese Meinung sich nun aus der
Tatsache einer zweiten Auflage des zugrunde liegenden Werkes und der
erneuten Auswahlveröffentlichung in Form des vorliegenden Lexikons
ableitet oder aus der tatsächlichen Erfüllung des hohen Anspruches,
dem sich das Werk verpflichtet weiß, soll einmal dahingestellt
bleiben: Die "angemessenste Form des Umgangs mit diesem Buch käme der
Vorstellung gleich, die sich mit seiner Veröffentlichung verbindet:
einer Einübung in die Philosophie" (aus dem Vorwort der 1. Aufl.).
Wenn man dem zustimmt, daß die Einübung eines nicht fachspezifischen
Publikums in die Philosophie darin bestehe, über eine philosophisch
bemerkenswerte Existenz zu informieren, dann ist das in der Regel
recht gut gelungen: Die illustrierten Artikel[9] beginnen mit einer
markanten Pointe, einem ersten Zugang, an den eine Darstellung der
Person[10] anschließt, die die biographischen Daten und die wichtigste
Sekundärliteratur unter Einbeziehung vor allem des lebensweltlichen,
aber auch des geistesgeschichtlichen Hintergrundes sehr verständlich
darbietet. Außer bei den Beiträgen über Ariès und Baudrillard wird am
Ende jeweils noch einige Sekundärliteratur genannt. Die Idee des
Herausgebers jedoch, daß das Lexikon auch zum Querlesen animieren
sollte, wozu die Artikel zahlreiche Hinweise böten (aus dem Vorwort
der 1. Aufl.), ist wohl eher utopisch, da die Hinweise zwischen den
Artikeln höchstens in der Nennung des Namens einer anderen Person
besteht. Doch ein wirklich unterstützendes System in dieser Hinsicht
fehlt: z.B. der Aufbau einer Sachnomenklatur mit expliziter Angabe der
Querverweisungen im Text. So stehen zwar die Beiträge zu Hartmann und
zu Heidegger direkt hintereinander, aber im Hartmann-Artikel fällt der
Name Heidegger nicht und im Heidegger-Artikel ermuntert der Satz "Der
Dekan ... drängte zur Veröffentlichung, um H. als Nachfolger von
Nicolai Hartmann dem Ministerium vorschlagen zu können" (S. 188) nicht
unbedingt dazu, im Hartmann-Beitrag nachzulesen, so daß das nicht
fachspezifische Publikum keinerlei Hilfestellung für ein Querlesen
z.B. über die zwei großen, aber eben sehr unterschiedlichen Ansätze
der Ontologie (Hartmanns Kategorialanalyse und Heideggers
Fundamentalontologie) zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfährt. Auf
jeden Fall sehr hilfreich ist die Auswahl der teilweise annotierten
Bibliographie der Einführungsliteratur, Philosophiegeschichten,
Enzyklopädien, Handbücher, Lexika, die zusammen mit einem Verzeichnis
der Mitarbeiter und der Angabe der Bildquellen das Lexikon
beschließen.
Wolfgang Erb
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