Bevor man sich mit der Bibliographie beschäftigt, muß man sich erst über die Natur der Enzyklopädie selbst im klaren sein. Es gab drei Ausgaben zu Hegels Lebzeiten (1817, 1827 und 1830), und sie dienten den Studenten als allgemeiner Grundriß zu Hegels Vorlesungen. Der erste Teil befaßte sich mit der Wissenschaft der Logik, der zweite mit der Naturphilosophie und der dritte mit der Philosophie des Geistes. Da sie als grobe, zusammenfassende Umrisse zu Hegels Gesamtsystem gedacht waren, hatte die Enzyklopädie historisch nie die Bedeutung der anderen Hauptwerke von Hegel erlangt. Dieser Vernachlässigung wollen Gloy/Lambrecht mit ihrer Bibliographie begegnen. Das hilft auch, zu erklären, warum ihre Bibliographie so schmal ist: man kann eben nicht das große, lang anhaltende Interesse an Hegels Werk der Wissenschaft der Logik (die "große Logik", im Gegensatz zu der "kleinen Logik" der Enzyklopädie) oder der Phänomenologie des Geistes mit der Enzyklopädie vergleichen. Wenn man bedenkt, daß diese Bibliographie die verschiedenen Ausgaben (dazu die Übersetzungen) der Enzyklopädie und dazu die Sekundärliteratur in mehreren Sprachen zwischen 1829 und 1994 verzeichnet, dann wird klar, wie verhältnismäßig wenig über die Enzyklopädie publiziert worden ist.
Dem Vorwort ist zu entnehmen, daß die Bearbeiter bei der Verzeichnung Vollständigkeit für die Berichtszeit vom ersten Erscheinen der Enzyklopädie bis 1994 anstreben. Dieses schließt auch die Einzeluntersuchungen zur Logik, Natur- und Geistesphilosophie mit ein. Sie weisen darauf hin, daß erst in den 60er Jahren eine stetig wachsende Anzahl von "sach- und themenspezifische Hegel-Interpretationen" erschienen. Tatsächlich sind bei der Verzeichnung der Sekundärliteratur nur 13 S. für die Zeit zwischen 1829 und 1960 erforderlich bei insgesamt 107 S., auf denen, grob geschätzt, zwischen 700 und 800 Titel verzeichnet sind. Auswahlkriterien nach Herkunftsländern werden nicht genannt. Die meisten der verzeichneten Titel sind in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch erschienen, während solche aus asiatischen und afrikanischen Ländern sowie aus Australien ausdrücklich ausgeschlossen sind, desgleichen Titel in finnischer, ungarischer und rumänischer Sprache.
Was die inhaltlichen Auswahlkriterien betrifft, so haben sich
Gloy/Lambrecht für das Prinzip der Inklusivität entschieden und
berücksichtigen nicht nur solche Werke, die sich ausdrücklich mit der
Enzyklopädie befassen, sondern auch solche, die sich nur mit einzelnen
Teilen beschäftigen. Mit ihren Worten: "Generell dient bei der
Aufnahme die Maxime: 1. Texte, die sich gänzlich oder überwiegend mit
der Enzyklopädie befassen, 2. Texte zu anderen Schriften, aber mit
längeren Passagen zur Enzyklopädie, 3. Texte mit vielen Zitaten oder
Verweisen auf die Enzyklopädie aufzunehmen." Man kann nur hoffen, daß
sich die Bearbeiter konsequent an diese Prämisse gehalten haben, da
man vielen hier verzeichneten Titeln[3] nicht ansehen kann, ob sie sich
überwiegend mit der Enzyklopädie befassen. Da die Bearbeiter diese
Titel ja aber gründlich geprüft haben, bevor sie sie auswählten, wäre
es nur billig gewesen, sie gleich zu annotieren.
Wie steht es nun um die Überschneidungen zwischen der vorliegenden
Bibliographie und der von Hasselberg/Radtke? Leider machen letztere
keine genauen Angaben dazu, wie sie genau Wissenschaft der Logik in
ihrer Bibliographie auffassen. Nach den verzeichneten Titeln zu
urteilen, gewinnt man aber den Eindruck, daß nicht nur die beiden
"großen" und "kleinen" Logiken gemeint sind, sondern auch Hegels
Wissenschaft der Logik an sich, das heißt, daß alle Arbeiten, die sich
inhaltlich mit Hegels Logik beschäftigen, berücksichtigt wurden.
Theoretisch müßten also alle oder zumindest die meisten bei
Gloy/Lambrecht aufgeführten auch bei Hasselberg/Radtke verzeichnet
sein. Ein kursorischer Vergleich der Einträge in den beiden
Bibliographien hat interessanterweise gezeigt, daß dies nicht der Fall
ist. Ohne in eine Detailanalyse der beiden Bibliographien einzugehen,
beweist diese Tatsache, wie schwierig es ist, solche Bibliographien
inhaltlich abzugrenzen.
Leider läßt die Bibliographie unter handwerklichem Aspekt viele
Wünsche offen. Das Fehlen von Annotationen wurde bereits gerügt und
daß die Monographien ohne Umfangsangabe verzeichnet sind, ist
gleichfalls nicht einzusehen. Völlig unzureichend ist die Erschließung
der Titel, besteht die einzige Recherchemöglichkeit doch in einem
knappen Inhaltsverzeichnis und in der chronologischen Einordnung der
Titel und weiter im Verfasseralphabet. Register fehlen dagegen völlig.
Die einzige mögliche Begründung für diesen Makel ist, daß die
Bearbeiter und der Verlag, der es eigentlich besser wissen müßte,
glaubten, die Bibliographie sei an sich so kurz, daß weitere
Zugangsmöglichkeiten nicht notwendig seien. Eine gezielte Recherche
nach Verfassern und Sachverhalten ist also nicht möglich und somit
kann die Bibliographie dem Anspruch, ein Nachschlagewerk zu sein, in
keiner Weise genügen. Allenfalls bietet sie die Möglichkeit, einen
Überblick der "Entwicklungen und Trends der Hegel-Interpretation
erkennen" zu lassen, was aber im Grunde eine Annotierung der Titel
voraussetzte.
Roger Brisson / sh
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