Diese Autorenvielfalt zeigt sich denn auch in der Ausgestaltung des Metzler-Lexikon Sprache - leider nicht immer zum Vorteil der Nutzer. Die Qualität des Einzelartikels steht und fällt nicht nur mit der fachlichen Eignung der Autoren (und da läßt sich kaum etwas bemängeln), sondern auch mit der Verknüpfung der verschiedenen Bearbeitungsgebiete und Lemmata, insbesondere bei Verweisungen.
So wird beispielsweise im Eintrag Satz bei Frage-Antwort-Reduktionen (z.B. "Wann warst Du im Kino?" - "Gestern war ich im Kino.") und Einwortsätzen (z.B. Hilfe!) auf das Lemma Ellipse verwiesen, dort finden genau diese syntaktischen Erscheinungen keinerlei Erwähnung, da das Thema ausschließlich unter stilistisch-rhetorischen Gesichtspunkten behandelt wird. Eine schmerzliche Lücke! Denn die Ellipsentheorie ist seit etwa fünf Jahren in verschiedenen grammatischen Modellen (v.a. GB und HPSG), in semantischen Theorien (DRT) und im Bereich der maschinellen Übersetzung ein zentrales und ergebnisreiches Forschungsthema. Folgt man - auf der Suche nach mehr syntaktischer Information - dann aber den Verweisungen im Lemma Ellipse, so landet man bei Kurzsatz nur bei einem Verweisungsstichwort, das zu Ellipse zurückführt. Solche zirkulären Bezüge sind leider häufig, wenig benutzerfreundlich und wären im Zeitalter der digitalen Produktion - insbesondere, da das Werk auch als CD-ROM angekündigt ist - durchaus vermeidbar.
Problematischer sind diese redaktionell nicht geprüften Verweisungen, wenn dadurch unterschiedliche Erklärungsmodelle aufeinander prallen. Im Stichwort Adverbial wird bei der semantischen Subklassifikation der Adverbiale unter (c) modale Advb auf Modalergänzung und unter (d) kausale Advb auf Modalbestimmung verwiesen. Modalbestimmung ist aber wiederum nur ein Verweisungsstichwort eben auf Modalergänzung. Die Differenzierung der beiden Termini im Lemma Adverbial läßt den Nutzer jedoch auf unterschiedliche Begrifflichkeiten schließen. Ist er jedoch mit den Feinheiten des linguistischen Babylon und besonders den valenzgrammatischen Bezeichnungen nicht vertraut, kann er nur spekulieren. Zudem ist der Verweisung unter (c) auf Modalergänzung sachlich unrichtig, da alle in den Beispielen aufgezählten Modaladverbiale nicht valenzabhängig sind und damit entweder im Sinne der Valenzgrammatik als Modalangaben oder eben mit dem theorieneutralen Begriff Modalbestimmung zu bezeichnen wären. Die an anderer Stelle (z.B. Lokalangabe, Lokalbestimmung, Lokalergänzung oder Temporalangabe, Temporalbestimmung, Temporalergänzung) sauber erfolgte - und auch für den Nicht-Syntaktiker nachvollziehbare - Trennung der drei Termini hätte bei wachsamer Endredaktion auch im Bereich der Modaladverbiale stattfinden müssen.
Sachliche Fehler sind auch an anderer Stelle stehengeblieben und vieles ist unhinterfragt aus der 1. Aufl. übernommen worden. Im Lemma Vergleich werden offensichtlich nur gleichstufige Vergleiche (mit so ... wie) als Vergleiche zugelassen, auf die ungleichstufigen stößt man erst im Lemma Komparativsatz (das man übrigens wiederum nur über das Verweisungsstichwort Vergleichssatz erreicht). Im Stichwort Komparativbestimmung werden die das Adverbial einleitenden Partikeln "als" und "wie" noch unreflektiert als "Präpositionen" klassifiziert, obwohl im folgenden Stichwort Komparativsatz ihr syntaktischer Status kurz diskutiert wird - "Präposition" wird dort pikanterweise nicht vorgeschlagen - und ein Eintrag Vergleichspartikel durchaus existiert.
Im Lemma Software wird in Betriebssystem- und Anwendersoftware unterschieden. Programmiersoftware kommt nicht vor, obwohl eine ganze Reihe von Einträgen zu dieser Thematik (Programmiersprache, PROLOG, LISP, objektorientiert etc.) existiert.
Ganz offensichtlich hat man bei der Neuauflage eben vor allem eine quantitative Erweiterung auf die magischen 10.000 Einträge und weniger eine qualitative Verbesserung im Blick gehabt.
Eine ganze Reihe von Artikeln sind wörtlich identisch mit der 1. Aufl. Dies ist bedauerlich, vor allem wenn dadurch bedeutende Neuerscheinungen nicht dokumentiert werden, wie z.B. die Veröffentlichungen von Joachim Jacobs zum Valenzbegriff. Bei anderen ist der Mangel an Aktualität offensichtlich, wenn beispielsweise im Artikel Türkisch auf 10 Jahre alte Daten zu Bevölkerungszahlen verwiesen wird. Geradezu anachronistisch wirkt der Eintrag zur Orthographiereform, der mit keiner Silbe die jüngsten Diskussionen erwähnt. Daß dieses Lexikon sicher nicht der geeignete Ort ist, um (so das Vorwort) Auseinandersetzungen über orthographische Reformen zu führen, bleibt unbenommen. Für die angestrebte breite Zielgruppe - genannt werden u.a. Historiker, Theologen, Juristen und Journalisten - ist eine derartige Ignoranz aber wenig hilfreich und die Veränderungen hätten zumindest in groben Zügen skizziert gehört.
Auch über die Auswahl der Stichwörter kann man geteilter Meinung sein. Computer, Software und Hardware dürften inzwischen so universell gebräuchlich sein, dass sie in einem Lexikon zu Sprachen wenig verloren haben. Versteht man den Rechner als sinnvolles Instrumentarium für Linguisten, fehlen Einträge zu Vergleichbarem, wie z.B. Internet. Auch hier ist nicht aktualisiert worden, sieht man von der sehr nützlichen Sammlung linguistisch orientierter Internetadressen im einleitenden Teil ab.
Die Jagd nach der reinen Quantität der Einträge führt noch zu weiteren Kuriositäten: Direkt hinter dem Artikel Kurdisch findet sich das Verweisungsstichwort Kurdish, ähnlich Türkisch und Turkish. Am Nutzen solcher Verweisungen im Alltag darf gezweifelt werden, zumal sie nicht systematisch durchgehalten sind: English und French - letzteres stünde immerhin gut 20 Einträge weiter hinten - fehlen.
Insgesamt ist das Lexikon unbestritten ein großes Werk. Es bildet
zweifelsohne eine wichtige Alternative zu dem bei Kröner erschienenen
Lexikon der Sprachwissenschaft,[2] dem es andererseits viele Impulse
verdankt. Vor allem die Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes auf
einzelsprachliche Aspekte bildet eine nützliche und hilfreiche
Erweiterung für Studierende und Dozenten. Fraglich - und das zeigt
sich an den aufgezählten Mängeln - bleibt der konzeptionelle Ansatz,
über 80 Autoren an der Genese des Werks zu beteiligen. Die daraus
resultierende Heterogenität stiftet an vielen Stellen mehr
Ratlosigkeit als fruchtbaren Diskurs. Für die Neuauflage hätte ich mir
mehr Glättung gewünscht, denn gerade ein Gemeinschaftswerk lebt doch
vom Diskurs der Beteiligten untereinander. Dieser hat in der
überarbeiteten Auflage aber keinen Niederschlag gefunden.
Fazit: als Erstanschaffung für jeden sprachlich oder
sprachwissenschaftliche Interessierten ein zentrales Nachschlagewerk.
DM 59.80 als Zusatz zur 1. Auflage erscheinen mir angesichts der
geringfügigen Aktualisierung und Verbesserung unangemessen.
Die gegenüber der Druckausgabe um DM 9.90 günstigere CD-ROM-Ausgabe
des Metzler-Lexikons Sprache bietet den gedruckten Inhalt der ersteren
in digitaler Form. Bezüglich der Beurteilung sachlich inhaltlicher
Aspekte sei daher auf die vorstehende Rezension verwiesen.
Die bemängelten Inkongruenzen bei Verweisungen sind in der digitalen
Version aufgrund der Hyperlinks noch schmerzlicher merkbar. Im Lemma
Energeia wird auf Linguistischer Determinismus verwiesen, dies ist
aber ein reines Verweisungsstichwort das zu Sapir-Whorf-Hypothese
weiterführt. Diese zusätzlichen Klicks sind überflüssig und lästig.
Überhaupt ist der Terminus "Register", wie er auf der CD-ROM für eine
reine Liste der Einträge verwendet wird, etwas hochgestochen. In einem
klassischen Register fände sich nämlich hinter einem reinen
Verweisungsstichwort bereits der Hinweis auf den Haupteintrag. Die
Navigation im Inhaltsverzeichnis ist ebenfalls einigermaßen mühsam.
Bei angegebenen 10.000 Einträgen entfallen knapp 400 auf jeden
Buchstaben. Da hinter jedem Buchstaben ohne weitere Zwischennavigation
bereits alle Einträge aufgelistet sind, muß dementsprechend lang
gescrollt werden.
Hier wird das Konzept, unterschiedliche Printwerke mit nur einer
Software zu erschließen, zum Mangel. Die Frage, wie viele Benutzer
tatsächlich zwischen mehreren Produkten der Digitalen Bibliothek
wechseln und somit überhaupt in den Genuß der zu mächtigen, aber dafür
einheitlichen Oberfläche kommen, sollten sich Lektorat und Marketing
doch noch einmal stellen. Zumindest eine prinzipielle Differenzierung
in Editionen und Nachschlagewerke wäre für diese genuin
unterschiedlichen Werkarten vorteilhaft gewesen - nicht zu Unrecht
werden sie ja auch im Druck unterschiedlich umgesetzt.
Doppelklickt man auf Bilder aus dem Lemma heraus oder auch über das
Abbildungsverzeichnis, so erscheinen diese in einem neuen Fenster, das
minimiert (!) am Bildschirmrand liegt. Diese Form der Navigation ist
einigermaßen verwirrend. Bei der Exportfunktion erscheint mir
fragwürdig, daß gerade bei den Abbildungen keine Legende und kein
Copyright-Vermerk mitexportiert werden. Inhabern von Bildrechten
dürfte das mißfallen, ganz besonders in Kombination mit dem Hinweis
(Einführungsheft; Reihenprospekt), daß Bilder ganz einfach kopiert und
sogar bearbeitet werden können. Die weiteren vorhandenen Funktionen
entsprechen dem bei digitalen Produkten erwartbaren Standard:
Lesezeichen, Notizbuchfunktion, Export und Volltextsuche.
Über (Un-)Sinn und Zweck einer Volltextsuche in Nachschlagewerken
- die ja über ein ausgefeiltes Register verfügen - im allgemeinen,
läßt sich trefflich streiten. Da die CD-ROM auch genug andere
Einstiegsmöglichkeiten bietet, möchte ich mich an dieser akademischen
Diskussion nicht beteiligen. Zur realisierten Volltextsuche der
Digitalen Bibliothek nur soviel: Die Profi-Suche, gerade in
Kombination mit Wild Cards und Boolschen Operatoren, ist ausgesprochen
brauchbar. Listenausgabe und Themenkombinationen lassen einen schnell
fündig werden. Die Schreibweisentoleranz ist unter diesem Aspekt ein
eher überflüssiges Feature, zudem sie beispielsweise bei Synaisthesie
für Synästhesie versagt. Erst eine tatsächlich fehlertolerante Suche,
evtl. sogar mit Phonetik, wäre ein erwähnenswerter Zusatz.
Fazit: Gerade für den wissenschaftlichen Nutzer bietet die CD-ROM qua
Medium zum günstigeren Preis eine Menge mehr als die Druck-Ausgabe.
Das dies "mehr" noch mehr sein könnte, wenn sich z.B. eine Liste aller
zitierten Literatur erstellen ließe, die Signatur direkt mit dem
Verfasser des Artikels verlinkt wäre, die lese-unfreundlichen, im
Printbereich nur aus Platzmangel verwendeten Abkürzungen aufgelöst
wären, steht auf einem anderen Blatt. In jedem Fall also dem Buch
vorzuziehen. Achtung aber an die PC-Nutzer, die Ihre Nase immer ganz
vorne haben. Die CD-ROM läuft nicht unter Windows 2000 und das steht
nicht auf der (verschweißten) Umverpackung.
Im Gegensatz zur Polyphonie des Metzlerschen Lexikons tönt das
Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft mit nur einer Stimme.
Konsistenzprobleme - wie die unstimmigen Verweisungen und sehr
heterogenen Sichtweisen - ergeben sich daraus nicht, allerdings kann
ein Solist eben auch keine Symphonie spielen.
Dies zeigt sich augenfällig im geringeren Umfang (Größe, Seitenzahl,
Stichwörter) des Sachwörterbuches. Inhaltlich sind vor allem die
Einträge zur Syntax in der Tradition und Nomenklatur der
Valenzgrammatik gehalten - eine für einen Studienlexikon
problematische Einschränkung.
Wenn man von einigen Schnitzern (z.B. dem Lemma Homöostase) absieht,
so kann die Auswahl der Einträge als gelungen bezeichnet werden. Weder
klaffen lexikographische Lücken, noch fühlt sich der Leser von
Verweisungen erschlagen. Ähnlich brauchbar sind eine Vielzahl der
Erklärungen. Hier geht der Autor - gerade bei den Grundlagen - über
rein lexikalische Information hinaus, illustriert anhand von
Beispielsätzen, liefert Hintergrundinformation zur Begriffsgeschichte
oder gibt - wie im Lemma Ergänzung - auch mal einen Überblick über die
Sichtweisen in den zitierten Werken.
Leider fallen die Literaturhinweise - zumindest für den
wissenschaftlichen Leserkreis - ausgesprochen mager aus. Es fehlen
auch Standardwerke wie die neue IdS-Grammatik.[3] Bei genauerer
Betrachtung wird dann auch offenbar, daß viele Erklärungen und
Definitionen nicht dem aktuellen Diskussionsstand entsprechen, z.B.
fehlt bei den Gradpartikeln ihre Eigenschaft, Fokus zu binden - ein
bereits vor 30 Jahren beschriebenes Phänomen.
Alles in allem ist das Sachwörterbuch sehr lesbar, verzichtet
weitgehend auf idiosynkratische Termini und ist damit für die
Zielgruppe der Lehrer und Oberstufenschüler oder auch dem
vielbeschworenen "interessierten Laien" wesentlich angemessener als
für das (angestrebte studentische) Fachpublikum.
Fazit: Die beiden Lexika stehen nebeneinander, sie decken
unterschiedliche Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen ab und sind für
das jeweilige Publikum ein - manchmal zwar mühsames, aber -
unentbehrliches Nachschlagewerk.
Suzan Hahnemann
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