Was die Anfänger angeht, scheitern sie in der Tat oft mit ersten Hausarbeiten, weil ihnen die Wörter fehlen. Das Problem rührt jedoch nicht zuerst aus der Unkenntnis der Fachterminologie, sondern aus einem Mangel an Ausdruckskompetenz überhaupt, der im schulischen Aufsatzunterricht nicht behoben worden ist. Wo hingegen die Lektüre der Sekundärliteratur vorzeitig beendet wird, weil man nicht versteht, was man liest, handelt es sich nicht unbedingt um eine Schwierigkeit bei Anfängern: Es kann auch schlicht und einfach daran liegen - das ist freilich eine Erfahrung, die eher der erfahrene Literaturwissenschaftler macht, wenn er sich trotz institutioneller Sozialisation noch einen kritisch klaren Kopf bewahrt hat -, daß die Sekundärliteratur unverständlich ist, weil im Fach immer häufiger auch solche Autoren ihre Publikationen herausschleudern dürfen, die zuvor einer logopädischen Therapie bedurft hätten, um das kontrollierte Reden und Denken - beides schließt der Logos ja ein - zu lernen.
Den Adepten eines literaturwissenschaftlichen Studiums vor dem Scheitern an der Sekundärliteratur zu bewahren, ist für den verantwortungsbewußten Lehrer jedoch ganz einfach: Er braucht nur klarzumachen, daß Sekundärliteratur ihren Namen zu Recht trägt und daß vor jeder Beschäftigung mit ihr die gründliche, nur aus anstrengender Lektüre zu erwerbende Kenntnis der Primärtexte zu stehen hat.
Soviel sei über das Verhältnis zwischen Anspruch des anzuzeigenden
Bandes und universitäre Wirklichkeit vorangeschickt. Das Buch ist
entstanden aus einer verkürzenden Überarbeitung des bekannten - von
"Günther und Irmgard Schweikle", nicht von "Irmgard und Günther
Schweikle", wie das Vorwort mit bibliographisch falscher political
correctness vermerkt - herausgegeben Werks Metzler-Literatur-Lexikon.[1]
Trotz der Leitidee der Auswahl ist die Fülle der Lemmata an engen und
weiten Termini erstaunlich groß geblieben, so daß man das Lexikon eher
als Begleiter durch das Studium bezeichnen möchte denn als
spezifisches Vademecum für den Anfänger, dem z.B. ein so
idiosynkratischer Begriff wie Architext kaum irgendwo begegnen dürfte.
Der Band steht also in Konkurrenz zu den zahlreichen Sachlexika der
Literaturwissenschaft mit ihren je spezifischen Stärken und Schwächen.
(Wilpert, Brunner/Moritz, Best, Meid u.a.m.), unter denen das strenger
auswählende von Meid[2] dem Bedarf von Studenten im Grundstudium wohl
besonders entspricht. Denn allzuviele Artikel in den Grundbegriffen
bestehen über mehrere Zeilen hinweg aus Verweisungen auf andere
Einträge, erklären also zunächst einmal Unbekanntes durch Unbekanntes,
und nicht selten ist der Artikel, auf den verwiesen wird, aus Gründen
des Umfangs so knapp gehalten, daß er auch keine hinreichende
Erklärung bietet.
Durch das Verfahren der Kondensation der Vorlage sind zuweilen auch
Mißgeschicke passiert. Während es bei Schweikle richtig heißt, daß die
Civitas dei des Augustinus für die "politischen Ideale des
Mittelalters [...] bedeutsam" gewesen ist und insofern Einfluß auf die
Fürstenspiegel gehabt hat, wird das Buch in der Kurzfassung selbst als
ein solcher angeführt. Als erste umfassende Geschichtsphilosophie des
Abendlandes, deren säkularisierte Spuren noch bei Karl Marx zu finden
sind, oder als religionspolitisches Manifest gegen den
wiedererstarkenden Glauben an die heidnischen Götter nach der
Niederlage Roms gegen Alarich mag man den Gottesstaat des
Kirchenvaters deuten, nur als eines nicht: als "Fürstenspiegel".
Berühmteste Werke der Gattung - etwa Xenophons Kyropädie als antiker
Vorläufer, Fénelons Télemaque, dessen Titel an den Sohn des Odysseus
erinnert, oder Friedrichs II. Antimachiavell - werden gar nicht
erwähnt.
Die Grundbegriffe der Literaturwissenschaft muten in Auswahl und
Machart der Artikel zuweilen unausgeglichen an. Da werden mit gutem
Grund literarische Gruppenbildungen erwähnt: der Göttinger Hain etwa,
die Gruppe 47, die amerikanische Beat generation (ihr gelten ein paar
Zeilen mehr als dem Stichwort Bibliographie!), nicht aber der Tunnel
über der Spree, die Grazer Autorenversammlung usw. Nach welchen
Kriterien den Artikeln zuweilen - dann durchweg äußerst verkürzte und
selten sonderlich aktuelle - bibliographische Hinweise angefügt sind,
meistens aber keine Literatur nachgewiesen wird, bleibt unerfindlich.
Der Artikel Futurismus bietet als einzigen Literaturhinweis: "U.
Apollino (Hg.): Der Futurismus, 1972". Man stutzt gleich mehrfach:
Denn mit dem verstümmelten Herausgebernamen ist natürlich Umbro
Apollonio gemeint; aber - ärgerlicher noch: Warum wird, wenn nur für
einen Titel Platz ist, nicht auf den vorzüglichen und weit aktuelleren
Band verwiesen, der in Rowohlts Enzyklopädie zum Thema erschienen
ist?[3] Nachlässigkeiten auch sonst, z.B. wird das lateinische Corpus
wieder einmal in der männlichen Form dekliniert und in "einen
bestimmten Korpus von Erzählungen": Man kann die Neuerscheinungen, die
man nicht zu kaufen braucht, in der Regel schon an solchen Minimalia
(Neutrum Plural, nicht Femininum Singular) erkennen.
Das falsche Zitieren wird den Studenten gleich ganz nebenher
beigebracht: Unter dem Rubrum Anekdote findet sich der
Literaturhinweis "J. Hein: Dt. Anekdoten, 1977", wer ahnt, daß es sich
um eine Textauswahl handelt?[4]
Dem Studenten wird man guten Gewissens empfehlen, besser doch gleich
den "richtigen" Schweikle oder eines der anderen o.a. Literaturlexika
zu erwerben.
Hans-Albrecht Koch
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