Vom Gelingen muß man sich durch eigene Lektüre überzeugen. Zur Kostprobe: "Unter der Federführung von Hrabanus Maurus wurde um 830 im Kloster Fulda der 'Tatian' ins Althochdeutsche übertragen. Tatian, ein syrischer Christ, hatte bereits im 2. Jahrhundert versucht, die Evangelien zu einer zusammenhängenden Lebensgeschichte Jesu zu verbinden. Die in althochdeutscher Sprache vorliegende Evangelienharmonie wurde zur entscheidenden Quelle für den ebenfalls um 830 entstandenen 'Heliand', die erste deutsche Bibeldichtung von Rang. Der 'Heliand', das altsächsische Wort für Heiland, tritt im Stil der Stabreimdichtung als Gesetzgeber, Lehrer und Verkünder entgegen. Christus erscheint nach den Erwartungen der sächsischen Oberschicht, an die sich das Buch wendet, als Gefolgsherr, seine Jünger als Gefolgsleute." In der Nähe dieses Textes finden sich kleine Abbildungen eines schreibenden Mönchs, einer Rekonstruktionszeichnung des Klosters Fulda usw. Na und, könnte man fragen. Gewiß, vor ein paar Dekaden war das alles Abiturwisssen, aber heute ist es "abgesunkenes Kulturgut", das man kaum geschickter wieder ans Licht heben kann, als es Freund macht, der noch dazu im allgemeinen eine durchaus schmucke Feder zu führen weiß.
Natürlich kann man bei einem "Schnellkurs" über Einzelheiten der Auswahl leicht streiten: Ausgerechnet Karl Mickel fehlt z.B., der vielleicht sensibelste Lyriker der DDR-Literatur. Dafür findet man Sarah Kirsch in zwei Sätzen treffend charakterisiert: "Sarah Kirsch gehört mit Gedichtbänden wie 'Rückenwind' (1976), 'Katzenleben' (1984) und 'Erlkönigs Tochter' (1992) zu den bedeutendsten lyrischen Kräften der deutschen Gegenwartsliteratur. Ihre Natur- und Liebeslyrik mit versteckter Zeitkritik konzentrieren die lyrische Aussage auf den pointiert verknappten, sinnlich intensiven sprachlichen Ausdruck" - zur Veranschaulichung dient hier der Abdruck des Gedichts Winteranfang auf der Randleiste.
Eine knappe Bibliographie wichtiger Nachschlagewerke, eine Zeittafel
und Register der Autoren und Werke beschließen den Band, der sich von
bloßen Daten deutscher Dichtung durch den zusammenhängenden Text
unterscheidet, von konkurrierenden Literaturgeschichten im Kleinformat
(etwa der sehr gelungenen von Karl Rothmann (vgl. IFB 97-1/2-125)
durch die klug ausgewählten Bildbeigaben. Das Bändchen könnte für
Studenten der deutschen Literaturgeschichte eine ähnliche Funktion
übernehmen, wie sie beim Erlernen von Fremdsprachen die
Vokabelbüchlein mit dem Grundwortschatz erfüllen.[1]
Hans-Albrecht Koch
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