Das erste Kapitel führt zunächst in die Elemente der nationalsozialistischen Ideologie ein, beschreibt die Literaturpolitik der Ausgrenzung mißliebiger Autoren und der frühen, von der Propaganda offiziell als "Aktion wider den undeutschen Geist" bezeichneten Bücherverbrennung und schildert die Maßnahmen des NS-Regimes zur Gleichschaltung der Schriftstellerorganisationen: Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, PEN-Club, Reichsverband Deutscher Schriftsteller (RDS), Reichsschrifttumskammer (RSK). Sodann werden die drei Existenzformen charakterisiert, in denen schriftstellerische Werke in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur in Erscheinung treten konnten: als nationalsozialistisch-ideologisches Schrifttum, als verdecktes oder - etwa in den Romanen der inneren Emigration - eskapistisches Schreiben und als Exilliteratur.
An diesen drei Unterscheidungen orientieren sich auch die folgenden Kapitel zu literarischen Formen: Die Darstellung der drei Hauptgattungen (Romane und Erzählungen, Lyrik, Dramatik) ist sinnvoll erweitert um die Publizistik in Zeitungen und Zeitschriften wegen ihrer spezifischen Wirkungsaspekte, um Tagebuch und Autobiographie wegen ihres besonderen Quellencharakters für die Zeit.
Mit der durchgängigen Berücksichtigung der eigentlichen NS-Literatur
folgt der Band neueren Tendenzen der Forschung. Zu der Frage, ob es
denn angesichts der ideologischen Durchsudelung und des Fehlens
künstlerischer Qualität sinnvoll sei, daß sich die
Literaturgeschichtsschreibung mit den Zeugnissen der
Blut-und-Boden-Schriftstellerei überhaupt beschäftige, hat jüngst der
Schweizer Germanist Martin Stern daran erinnert, daß die
Literaturwissenschaft auch einen Beitrag zur allgemeinen
Mentalitätsgeschichte zu leisten habe, die sie auch zur Analyse des
Abstoßenden verpflichte. Mit Blick auf das "Dramenmaterial" von
NS-Autoren schreibt er: "Es ist politisch-moralisch mehr als
verständlich, dass alle, die sich literaturwissenschaftlich mit
Produkten der NS-Kultur befassen, in den vergangenen fünfzig Jahren
deutlich ihre Distanz zu ihren Gegenständen markierten. Niemand sollte
meinen, ihre Wahl sei aus Sympathie erfolgt. ... Dennoch wäre es
jetzt, zwei volle Generationen seit jenen katastrophalen zwölf Jahren,
vielleicht richtig, wenigstens ... die Namen jener Autoren nicht
weiterhin zu tabuisieren, deren Werke damals in Hunderttausenden von
Exemplaren verbreitet, gelesen und aufgeführt wurden. Wie soll sonst
die Nachwelt die (fatale) Mentalität und Ästhetik der Mehrheit der
Deutschen zwischen 1933 und 1945 erkennen und kritisieren können?"[2]
Die Autoren des dtv-Bandes haben aber recht daran getan, den
nationalsozialistischen Texten nicht ebensoviel Platz einzuräumen wie
dem Schrifttum der inneren Emigration oder des Exils, weil sich für
den ins Auge gefaßten weiten Adressatenkreis die ästhetisch wertlosen
Veröffentlichungen der braunen Unkultur als historisches Phänomen
durchaus hinreichend nach dem Prinzip pars pro toto behandeln lassen.
Überall bezieht sich die Darstellung auf Beispieltexte, die entweder
vollständig oder auszugsweise abgedruckt oder vorzüglich paraphrasiert
werden, bevor über sie geredet wird, so daß dem Leser sukzessive eine
trefflich gelungene Auswahl kleiner Autoren- und Werkporträts geboten
wird. Nicht der unwesentlichste Vorzug des Bandes liegt darin, daß die
Verfasser dabei neben Bekanntem oft auch auf Abgelegeneres
zurückgreifen, wo es die Anschaulichkeit verstärkt. So wird z.B. in
dem Abschnitt zur Lyrik kurz die Geschichte der naiven Rezeption des
Deutschlandliedes von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
wiedergegeben, dessen Passus "Deutschland über alles" nicht nur der
Verfasser, sondern noch der Reichspräsident Friedrich Ebert, als er
das Lied 1922 zur Nationalhymne erklärte, nicht chauvinistisch
verstanden haben. Erst die imperialistische Deutung des "zweideutigen
Wortlauts" durch die Nationalsozialisten gab ihm seine aggressive
Konnotation. Umgekehrt wird an geschickt gewählten Beispielen gezeigt,
wie durch geringfügigste Veränderungen aus einem sozialistischen
Arbeiterlied ein solches der NS-Propaganda gemacht werden konnte.
Ein wenig beschämend für viele Vertreter der Universitätsgermanistik,
daß zwei Gymnasiallehrer der älteren Generation ihnen und ihren
Studenten vormachen, wie man über Literatur anschaulich schreiben und
viel Erhellendes mitteilen kann, ohne ungebührlich zu vereinfachen
oder in verquälte Terminologie zu verfallen. Vor allem an
fortgeschrittene Gymnasiasten und Studienanfänger wendet sich das
Buch, doch wünscht man sich, die Examenskandidaten verfügten über die
Kenntnisse, die es vermittelt.
Hans-Albrecht Koch
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