Beide Jubiläen sind Grund genug gewesen, zwei Jahrzehnte "der ereignisreichen Arbeit der Marbacher Institute getreulich zu protokollieren", wie Eberhard Lämmert, seit langem Präsident der Deutschen Schillergesellschaft, in seiner Einführung schreibt und zugleich in Erinnerung ruft, daß vor genau zwanzig Jahren ein ähnliches Werk als Dokument des regen literarischen Lebens auf der Schillerhöhe, damals zu Ehren Bernhard Zellers, erschienen war, "mit dessen Leitung seit der Gründung des Deutschen Literaturarchivs [1955], die er zusammen mit Wilhelm Hoffmann ins Werk setzte, der Ausbau der Bestände von Museum und Archiv und die weltweite Resonanz, die Marbach sich als Pflege- und Forschungsstätte der neueren deutschen Literatur erwarb, untrennbar verbunden sind."
Diese zweite Chronik, die von Kontinuität und Fortsetzung der Anstrengungen zeugt und von dem übereinstimmenden Willen aller dort Tätigen zur ständigen Weiterentwicklung der verbundenen Häuser beseelt ist, trägt mit Recht den attraktiven Titel Marbach : das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile; anhand eines detaillierten Kalendariums tut sich dem Leser das breite Spektrum der Tätigkeiten auf, die - wie unterschiedlich gestaltet auch immer sie sein mögen - alle zu dem gemeinsamen Ziel zusammenwirken, geschriebene Texte als etwas Lebendiges und Weiterwirkendes zu bewahren.
Dokumentiert werden u.a. die Erwerbungen immer neuer Nach- und Vorlässe, Autorenlesungen, Ausstellungen mit ihren zugehörigen Veröffentlichungen - z.B. in Gestalt der materialreichen und anregenden Kataloge -, Verleihungen von Literaturpreisen, An- und Umbauarbeiten, wie die verdienstvolle Errichtung des benachbarten Collegienhauses, das nicht nur Forschern aus der ganzen Welt günstige Unterkunft bietet, sondern auch Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austausches an den sogenannten jours fixes, bei denen die verschiedenen Projekte vorgestellt und diskutiert werden.
Über dies alles informiert der Band chronologisch nicht nur in seinen Texten, sondern stellt auch optisch in zahlreichen Bildern Menschen, Räumlichkeiten und Bestände vor: Photographien inzwischen verstorbener "Säulen" der Institution, wie Ludwig Greve oder Werner Volke, stehen neben Bildern derjenigen, die deren verdienstvolle Arbeit heute fortsetzen; fast alle der über hundert Mitarbeiter sind hier vertreten, ein jeder in seiner bestimmten Funktion gewürdigt.
Dazu: Magazinräume, mit Bücherregalen überfüllte Zimmer, mit Kunstobjekten gezierte Korridore und Treppenhäuser, weite Lesesäle, Vitrinen mit Exponaten und Säle, die zu Kolloquien und Kongressen, aber auch zum gemeinsamen Feiern benutzt werden. Und immer wieder Abbildungen von Papier: Bücher in Stößen oder als einzelne Exemplare oder gar in ihrer Vor-Form als Manuskripte.
Am Rande jeder Seite stehen Erklärungen zu den Photos und die Liste der Veröffentlichungen und Editionen, die aus den Beständen von Archiv und Museum erarbeitet worden sind. Denn Marbach ist ein Schatzhaus der Vergangenheit und zugleich ein Versprechen für die Zukunft der Literatur, wie 1985 beim Antritt seines Direktorats Ulrich Ott erklärte:
"Nachlässe sind nicht bloß Nachgelassenes. Sie treten hier in ein
neues Leben ein, werden zu Konstellationen verknüpft, die ohne die
Arbeit und die Wirkung dieses Hauses in ihnen verborgen blieben [...]
Konstellationen der Literatur zu entbergen oder entbergen zu helfen,
das scheint mir die Aufgabe zu sein, die im Mittelpunkt Marbachs
steht. Bernhard Zeller hat zusammen mit den Mitarbeitern den Beweis
erbracht, daß es eine schöpferische Aufgabe sein kann, der Literatur,
dem Publikum und der Forschung sammelnde, archivierende, darbietende,
editorische und publizierende Dienste zu leisten. Dies gilt es
fortzuführen und [...] und weiter zu ergänzen." Für alles, was nach
diesem Vorsatz inzwischen verwirklicht worden ist, stellt der Band
eine unentbehrliche Informationsquelle dar.[1] Aber er erlaubt auch
einen Blick ins Kommende. Zur Zeit wird nämlich das Gebäude des
Schiller-Museums renoviert, das bis 2005 durch einen
Ausstellungspavillon für die Literatur des 20. Jahrhunderts und die
Jahresausstellungen ergänzt werden soll. Denn das "Ziel, den
Zusammenhang der Literatur mit dem Leben im 20. Jahrhundert und ihren
Ort in der bewegenden Geschichte dieser Epoche zu bestimmen, sollte es
der Deutschen Schillergesellschaft wert sein, dafür in den nächsten
Jahren alle Energie ... einzusetzen" (Eberhard Lämmert). So wird das
Museum nie die Gefahr laufen, zu einem Mausoleum zu werden.
Gabriella Rovagnati
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