Die folgenden Bemerkungen beziehen sich durchweg nur auf den vierten Band. In die Berichtszeit fallen die Namen bedeutender Erzähler, wie etwa Joseph Roth, Heimito von Doderer, Ernst Jünger, Elisabeth Langgässer, Hermann Kesten, Hans Erich Nossack, Reinhold Schneider, Elias Canetti, Wolfgang Koeppen, Alfred Andersch, Arno Schmidt, Wolfgang Hildesheimer, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt u.v.a.m.
Inhaltsangaben, die kurzen Deutungen und kritische Wertungen - durchweg meist aus der Feder vorzüglicher Kenner - sind verläßlich respektive plausibel und trotz der Kürze von großem Informationsgehalt. Zum Beleg sei der Artikel zu Kants Aula von 1965 herangezogen. Dem im Westen lange überschätzten Buch erteilt Manfred Jäger die Abfuhr, die es im Urteil verständiger Kritiker schon immer hätte finden können, daß nämlich "sein satirischer Anspruch nicht eingelöst [wird], weil alle erwähnten Mißstände entweder schon überwunden oder prinzipiell überwindbar sind. Auf dieser versöhnlichen Basis stellt Kant die Stalin-Zeit als historisch entfernte Episode dar. Seine Parteilichkeit läßt die Überlegung nicht zu, daß der Stalinismus dem System strukturell eingeschrieben blieb. Die harten Verfolgungen an der ABF [Arbeiter- und Bauern-Fakultät] Greifswald, an der Kant studierte, werden ausgeblendet. Ein Mitstudent, den ein sowjetisches Militärtribunal zu Zwangsarbeit im Lager Workuta verurteilte, hat mitgeteilt, daß Kant ein Gewährsmann für seine feindliche Einstellung zur DDR gewesen sei" (S. 557).
Wenn im Artikel zu Doderers Dämonen Wendelin Schmidt-Dengler von
Bruchlinien der Entstehungsgeschichte schreibt und mitteilt, der Autor
habe die Arbeit unterbrochen, "da es Schwierigkeiten mit der
Publikation gab; wie verhängnisvoll sich sein - wenngleich nur
peripheres Engagement - für den Nationalsozialismus ausgewirkt hat,
kam ihm nach dem Anschluß Österreichs allmählich zu Bewußtsein", so
ist das allerdings eine sehr euphemistische Umschreibung sowohl von
Doderers opportunistischer Anbiederung an die NS-Machthaber, die sein
einstiger Sekretär Wolfgang Fleischer in der gründlichen Biographie
des österreichischen Schriftstellers aufgezeigt hat,[2] als auch der
höchst bemerkenswerten Volte des flexiblen Romanciers, dem das
'Kunststück' gelungen war, aus seinem ursprünglich pro-nazistischen
Text bei Wiederaufnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg einen
anti-nazistischen zu machen. Man hat Doderer nicht ohne Grund als
Autor der Ära der Großen Koalitionen im Nachkriegs-Österreich
bezeichnet, die im tiefsten aufs Zuschmieren, nicht aufs Aufdecken von
Widersprüchen angelegt war. (Damit ist kein negatives Urteil über die
unvergleichliche Erzählkunst des Autors gesprochen, nur die Biographie
eines Angepaßten als solche bezeichnet.)
Der Wert des Bandes liegt indes vor allem darin, daß zahlreiche zu
Unrecht vergessene Autoren bzw. Werke berücksichtigt sind: So wird
z.B. von Ernst Kreuder (1903 - 1972) nicht nur die unter Belesenen
allenfalls noch als erster deutscher Nachkriegsroman bekannte
Gesellschaft vom Dachboden (1946) behandelt, vielmehr werden auch die
anderen Romane des Autors - Die Unauffindbare (1948), Herein, ohne
anzuklopfen (1954) und Der Mann im Bahnwärterhaus (1973) -
dargestellt. Schade, daß der großartige Zyniker und Wahrheitsfanatiker
Jörg Mauthe (1924 - 1986), der eine Zeitlang mit Ingeborg Bachmann
zusammengearbeitet hatte, nicht einmal mit seinem Österreich- und
Beamtenroman Die große Hitze oder Die Errettung Österreichs durch den
Legationsrat Dr. Tuzzi (1974) berücksichtigt ist.
Hans-Albrecht Koch
Bibliotheken (oder Privatleute), die die fünf Reclam-Bände bisher
nicht erworben haben, können jetzt die im September 2000 erschienene
gebundenen Gesamtausgabe kaufen, welche die ca. 1700 Artikel der
"chronologisch angelegte(n) fünfbändige(n) Taschenbuchausgabe ... in
einem aktualisierten, alphabetisch nach den Autoren geordneten und mit
einem Gesamtregister versehenen Großband ..." zusammenführt, der dazu
noch weniger kostet, als die Summe der einzelnen Bände der
Universal-Bibliothek. Worin die in der Werbung und in der Vorbemerkung
versprochene Aktualisierung besteht, konnte der Rezensent nicht
feststellen und hat, offen gestanden, auch die Mühe einer größeren
Stichprobe gescheut. Das Gesamtregister enthält die Werktitel (samt
Verweisungen). Dazu kommt ein Verzeichnis der knapp 300 Mitarbeiter
(ohne Angabe der von ihnen stammenden Artikel). Bibliotheken, die aus
Sicherheitsgründen die kleinformatigen Bände nicht in den
Informationsapparaten aufgestellt haben, werden dies jetzt mit der
gebundenen Ausgabe tun und zugleich den alten Reclams-Romanführer[3] ins
Magazin zurückstellen.
Klaus Schreiber
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