Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]
Geschichte der französischen Literatur im Überblick
- 00-1/4-194
-
Geschichte der französischen Literatur im Überblick /
Winfried Engler. - Stuttgart : Reclam, 2000. - 501 S. ; 15
cm. - (Universal-Bibliothek ; 18032). - ISBN 3-15-018032-5
: DM 22.00
- [6081]
Einbändige Literaturgeschichten sind eine äußerst schwierige
Textsorte, zumal wenn man damit allzu viele Bereiche abdecken will.
Der Reclam-Verlag hat bereits eine Geschichte der spanischen Literatur
im Überblick[1] vorgelegt und wagt sich jetzt mit einer französischen
auf den Markt, die in Anbetracht des Umfangs und der Bedeutung der
französischen Literatur eine besondere Herausforderung darstellt: "Der
Band macht den Leser rasch und präzise mit den Grundzügen der
französischen Literaturgeschichte vertraut. Seine Charakteristika:
besondere Übersichtlichkeit der Darstellung; stichwortartig
konzentrierte Artikel zu Epochen, literarischen Gattungen,
repräsentativen Schriftstellern und zentralen Werken; Textproben mit /
in Übersetzung zur Veranschaulichung; kritisch ausgewählte
bibliographische Angaben zum Selbststudium" (Rückenumschlag). Der
Verfasser eines solchen Werks hat vor allem mit zwei Schwierigkeiten
zu kämpfen: der Auswahl der zu behandelnden Autoren und der Gewichtung
der einzelnen Werke. Vollständigkeit gilt (warum eigentlich?) als
hohes Ziel, ist aber nie zu erreichen und auch nicht sinnvoll. Als
Publikum kommen für solche Manuale vor allem Schüler der
Leistungskurse, Studenten jeder Ausbildungsstufe, die sich schnell
informieren wollen, meist allerdings vor Zwischen- und
Abschlußprüfungen, sowie Interessenten anderer Bereiche (z.B.
Bibliothekare, Französischlehrer oder Lehrer anderer Fächer usw.) in
Frage. Winfried Engler, Ordinarius an der Freien Universität Berlin,
ist ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet übersichtlicher
Vermittlung der französischen Literatur, denn er ist u.a. der
Verfasser eines nützlichen und zuverlässigen Lexikons der
französischen Literatur,[2] das inzwischen in der dritten Auflage (1994)
erschienen ist. Der vorliegende Überblick ist jedoch aus verschiedenen
Gründen nicht ganz so gelungen wie dieser Band. Zwar versucht Engler
bei jeder behandelten Epoche (Mittelalter, Renaissance, 17., 18., 19.
und 20. Jahrhundert) durch historische Überblicke in Tabellenform,
kurze Informationen zur politischen und zur Sozialgeschichte unter
Einschluß der Buch- und Druckgeschichte sowie eine knappe Auflistung
der wichtigsten literarischen Ereignisse den Charakter der
Literaturgeschichte zu betonen, aber letztlich ist der Leser immer
noch besser mit seinem Sachwörterbuch bedient, da auch fünfhundert
Seiten nicht ausreichen, die Vielfalt der Aspekte auch nur annähernd
differenziert darzustellen, wohingegen dort durch Konzentration auf
Autoren, Werke und Begriffe eine höhere Dichte erzielt wird. Engler
räumt den sog. Klassikern den meisten Raum ein. Autoren, die in
mehreren Gattungen geglänzt haben (Voltaire, Hugo, Camus usw.) kommen
mehrfach vor, da der Gesamtdarstellung ein
chronologisch-gattungsgeschichtliches Raster unterlegt ist. Der Leser
erfährt etwas über das Leben der Autoren, ihre wichtigsten Werke und
deren Bedeutung sowie in Einzelfällen ihre französische und deutsche
Rezeption. Den Abschluß jedes dieser Miniporträts bildet eine
zuverlässige Auswahlbibliographie (allerdings ohne Angabe von Ort,
Verlag und Reihe), die neben kanonischen französischen auch die
wichtigsten deutschsprachigen Titel bietet, allerdings häufig benutzte
allgemeine Nachschlagwerke (z.B. Kindler, Wilpert) und
deutschsprachige Literaturgeschichten (z.B. Erich Köhler[3]) mit wenigen
Ausnahmen ausläßt. Bei kanonischen Autoren wird eine Textprobe in
deutscher Sprache (gelegentlich durch das Original ergänzt)
eingeflochten, wobei der Verlag vorzugsweise (aber nicht nur) auf
eigene Produkte zurückgreift und dokumentiert, wie sehr er sich um die
französische Literatur verdient gemacht hat, denn die eigenen Ausgaben
reichen vom Rolandslied bis hin zu Proust oder Ionesco. In Anbetracht
der Fülle des vorzustellenden Autoren und Werke ist zu fragen, ob die
bibliographischen Angaben und erst recht die Textproben nicht
entbehrlich gewesen wären. Ein Verzicht hätte Raum für genauere
Interpretationen geboten, die hier meist holzschnittartig ausfallen,
wozu ein stoßweiser Schreibstil, der gelegentlich kryptisch wirkt,[4]
dem gelegentlich allerdings auch fast aphoristische Formulierungen
gelingen,[5] das seine beiträgt. Der Zusammenhang der einzelnen
Würdigungen mit der Bibliographie ist nicht zu erkennen, vor allem
bleibt offen, welche Arbeiten in die Darstellung eingeflossen sind
oder welche sich wirklich für das Selbststudium eignen.
So präsentiert sich dieser Überblick als recht heterogen. Sein größtes
Verdienst besteht zweifelsohne in der Verbindung von Namen und Werken
zu einem lesbaren Gesamtüberblick, der mit Ausnahme frankophoner
Autoren recht vollständig ist. Als Informationsmittel und
Ausgangspunkt eigener Lektüren, vielleicht in Verbindung mit der
Übersicht, Was sollen Romanisten lesen,[6] Frank Baasner und Peter Kuon,
ist dieser Überblick durchaus geeignet, und es ist eher sympathisch,
daß der von Engler verfaßten Verlaufsgeschichte der französischen
Literatur keine weitere Teleologie unterlegt ist. Warum die
"Klassiker" der maghrebinischen, schwarzafrikanischen und karibischen
Literatur ausgelassen wurden (kein Ben Jalloun, kein Memmi, kein
Senghor, kein Césaire usw.), muß offen bleiben. Hier wurde der
Terminus "französisch" allzu eng gefaßt, denn auch die berühmten
Schweizer (Ramuz), Belgier (Elskamp, Hellens), Kanadier (Nelligan,
Roy) wurden nicht der Aufnahme für wert befunden. Dies ist schade,
denn für Simenon und andere Belgier wurde eine Ausnahme gemacht, und
man hätte durch Fortlassen zahlreicher französischer Minores Platz für
die Werkinterpretationen gewinnen können.
Frank-Rutger Hausmann
- [1]
- Geschichte der spanischen Literatur im Überblick / Martin
Franzbach. - Stuttgart : Reclam, 1993. - 433 S. ; 15 cm.
- (Universal-Bibliothek ; 8861). - ISBN 3-15-008861-5 : DM 16.00
[1852]. - Rez.: IFB 96-2/3-285.
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- [2]
- Lexikon der französischen Literatur / Winfried Engler. - 3., verb.
und erw. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1994. - X, 1013 S. ; 18 cm.
- (Kröners Taschenausgabe ; 388). - ISBN 3-520-38803-0 : DM 58.00
[2073]. - Rez.: IFB 96-2/3-247.
(zurück)
- [3]
- Vorlesungen zur Geschichte der französischen Literatur / Erich
Köhler. - Stuttgart : Kohlhammer, 1983 - 1987.
(zurück)
- [4]
- Z.B. S. 442 zu Camus: "Seine Fiktion handelt vom Skandal der
restlosen Geschichtlichkeit aller Praxis, diesem fatalen
Erklärungsversuch seit Hegel".
(zurück)
- [5]
- Z.B. S. 420 zu Proust: "Eine epochale Entwicklung, die mit dem Text
als Welt die Welt im Text ablöst, nimmt mit Prousts Werk ihren
Anfang".
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- [6]
- Was sollen Romanisten lesen? / von Frank Baasner ; Peter Kuon.
- Berlin : E. Schmidt, 1994. - 86 S. - ISBN 3-503-03081-6 : DM 16.80.
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