Einer der bedeutendsten Zyklen überhaupt ist der von Sandro Botticelli
im Auftrag von Lorenzo di Pierfrancesco de' Medici geschaffene. Über
die Datierung der Zeichnungen gibt es verschiedene Hypothesen, doch
arbeitete Botticelli nach heutigem Kenntnisstand seit etwa 1480 bis um
1494/95 an dem Zyklus, ohne das Werk zu vollenden, war doch auf Grund
der technologischen Befunde eine farbig illuminierte Handschrift
vorgesehen.[2] Das frühe Datum erschließt man aus der Mitwirkung
Botticellis an der Illustration der ersten Florentiner Druckausgabe
der Commedia (1481) mit dem Kommentar von Cristofero Landino.[3] Die
Provenienz des heute zwischen dem Kupferstichkabinett in Berlin (84
der 91 erhaltenen Blätter von insgesamt 102 ursprünglich geplanten)
und der Biblioteca Apostolica Vaticana (7 Blätter) aufgeteilten Zyklus
ist für die frühe Zeit auf Vermutungen angewiesen. Der Berliner
Bestand wurde jedenfalls 1882 durch Friedrich Lippmann aus der
Sammlung des Duke of Hamilton zusammen mit zahlreichen weiteren
Cimelien erworben, der Codex Hamilton 201 danach in Einzelblätter
zerlegt, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Ost- und Westberlin
aufgeteilt waren und die - nachdem bereits 1986 ein Vollfaksimile
aller erhaltenen Blätter aus Berlin und Rom erschienen war,[4] - vom
15.04. bis 18.06. 2000 erstmals in einer eindrucksvollen Ausstellung
in Berlin zu bewundern waren (weitere Ausstellungsstationen: Scuderie
Papali al Quirinale, Rom und Royal Academy,[5] London). Der begleitende,
hervorragend ausgestattete Katalog bildet sämtliche Illustrationen in
der Folge der Gesänge ab; die verschollenen Blätter wurden ersetzt
durch Ausschnittsvergrößerungen aus dem farbig ausgeführten, das
Inferno einleitenden Bild des Höllentrichters und zusätzlichen
Reproduktionen aus den Inkunabel-Ausgaben mit den von Baccio Baldini
(?) nach Studien Botticellis ausgeführten Kupferstichen. Auf
gegenüberliegenden Seiten steht rechts die Illustration, links ein
Resümee der Szene bei Dante und eine Bildinterpretation. Außer einer
knappen Darstellung der Sammlungsgeschichte (S. 10 - 11) und der
Einführung von Hein-Th. Schulze Altcappenberg (S. 13 - 35) enthält der
Katalog begleitende Essays (von denen zwei bereits erwähnt wurden),
die ihm handbuchartigen Charakter verleihen. Zugleich stellt er die
Ergänzung eines 1995 erschienenen Bandes in der ungezählten Reihe Die
Zeichnungen alter Meister im Berliner Kupferstichkabinett dar.[6]
Von der Ausstellung der Botticelli-Zeichnungen über das weitläufige
Vestibül, das die Gemäldegalerie, das Kunstgewerbemuseum, das
Kupferstichkabinett und die Kunstbibliothek Preußischer Kulturbesitz
miteinander verbindet zu erreichen, veranstaltete letztere zeitgleich
mit der Ausstellung der Botticelli-Zeichnungen eine Ausstellung mit
illustrierten Drucken, Künstlerbüchern und Graphik, die Dantes
Commedia zum Gegenstand haben. Daß die Objekte zum großen Teil aus
eigenen Beständen stammen, belegt wieder einmal den besonderen Rang
der Sammlungen der Kunstbibliothek.
Die aus diesem Anlaß erschienene Publikation ist eher das, was man
heute ein "Katalog-Handbuch" nennt, denn sie enthält gar keinen
Katalog im eigentlichen Sinne, sondern nur ein kurzes, von Gabriele
Knapstein und Lutz S. Malke zusammengestelltes Chronologisches
Verzeichnis von Drucken, illustrierten Ausgaben und Einzelblättern der
"Commedia" (S. 329 - 353) mit knappen Informationen, beschränkt auf
Titel, Bibliothek mit Signatur und ein oder zwei Literaturstellen, in
dem die ausgestellten Stücke mit einem Sternchen und die aus dem
Besitz der Kunstbibliothek durch Blaudruck markiert sind. Dafür wurde
die Ausstellung als willkommener Vorwand dafür genutzt, einen
stattlichen, vom Verlag mit der bei ihm gewohnten Sorgfalt
ausgestatteten, reich illustrierten Band vorzulegen, in dem in zwölf
Beiträgen ausgewählte Aspekte der Dante-Illustration von der
Inkunabelzeit bis zum 20. Jahrhundert abgehandelt werden. Die
Verbindung zur benachbarten Botticelli-Ausstellung stellen die beiden
ersten Beiträge her: im ersten behandelt Lutz S. Malke, Leiter der
Sammlung Buchkunst der Kunstbibliothek Das Fortwirken von Botticellis
Miniatur-Unterzeichnungen in illustrierten "Commedia"- Drucken (S. 17
- 44) und Axel Bertram den Bilddruck der Miniatur-Unterzeichnungen
Botticellis nach ihrer Wiederentdeckung 1882 (S. 45 - 62). Erwähnt
seien ferner zwei Beiträge, in denen zum einen die deutsche
Dante-Illustration und -Texadaption von 1900 - 1930 untersucht wird,
eine Epoche, die die Georgische Übersetzung geprägt hat (S. 129 - 152
von Kai Kauffmann) und zum anderen der "englische" Dante (S. 153 - 182
von Joachim Möller). Der folgende neunte und zugleich längste Beitrag
entwirft ein Panorama von Schrifttypen und Druckbild vom Erstdruck
(Foligno 1472) bis zur Gegenwart (S. 183 - 242 von Philipp Bertheau).
Von besonderem Interesse ist der zehnte Beitrag über die graphischen
Schemata der "Jenseitsarchitektur" im Inferno (S. 243 - 271 von Henrik
Engel). Leider wurde versäumt, die Beiträge zu koordinieren: nicht
einmal zu einem allen gemeinsamen Literaturverzeichnis hat es
gereicht. Auch ist es ausgesprochen ärgerlich wenn die zahlreich und
ohne genaue bibliographischen Angaben zitierten Beispiele für
illustrierte Dante-Ausgaben (so insbesondere im Beitrag von Bertheau)
nirgends zusammengestellt sind: es wäre ein leichtes gewesen, sie in
das Chronologische Verzeichnis ... aufzunehmen, das sich, wie gesagt,
nicht auf die Ausstellungsstücke beschränkt; nicht einmal auf dort
verzeichnete Drucke wird von den Artikeln aus verwiesen.
- Desungeachtet liegt hier ein gewichtiger Band (im eigentlichen wie
im
übertragenen Sinne) für die Geschichte der illustrierten Dante-Drucke
vor. - In Anbetracht der kaum noch überschaubaren Literatur zu diesem
Thema (von den illuminierten Commedia-Handschriften) ganz zu
schweigen, wäre es ein lohnendes Unterfangen, eine kommentierte
Spezialbibliographie vorzulegen.
Wenn es um Beispiele von Ausstellungen über die Beschäftigung
einzelner Künstler mit Dantes Werk (nicht nur der Commedia) geht, so
sind an prominenter Stelle die Kataloge einer Ausstellungsreihe zu
nennen, die seit 1981 jährlich im Herbst von der am 28. Dezember 1979
gegründeten Casa di Dante in Abruzzo in Torre de' Passeri von deren
Leiter, Corrado Gizzi, in dem von ihm 1967 erworbenen, renovierten und
nach ihm benannten Castello Gizzi[7] ausgerichtet wird. Er verfaßt auch
die reich illustrierten, großformatigen Kataloge: Dante e l'arte
romantica (1981), R. Guttuso (1982), W. Blake (1983), D. G. Rossetti
(1984), J. H. Füssli (1985), J. Flaxman (1986), A. Sassu (1987), J. A.
Koch (1988), A. Martini (1989), S. Botticelli (1990), L. Signorelli
(1991), Raffaello (1992), F. Zuccari (1993), G. Stradano (Jan van der
Straet, 1994), Michelangelo (1995), F. Scaramuzza (1996), S. Dalí
(1997), A. Nattini (1998). - Der Katalog der 20. Ausstellung im Jahr
1999 kann eine stattliche Bilanz ziehen mit Zusammenfassungen der 19
vorhergehenden Ausstellungen.[8]
Klaus Schreiber
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