Als Mitte der fünfziger Jahre die ersten Bände der Reihe La nuit des temps im Verlag Zodiaque erschienen, trafen sie genau den Geist der Zeit. Die "Entdeckung" der Romanik nun auch durch Amateure und Reisende mußte ein Konzept, das - von Frankreich ausgehend - sich der Kunst der Romanik unter kunstlandschaftlichen und regionalen Gesichtspunkten widmete, das von Anfang an im Vergleich zu anderen Kunstführern der Zeit den Abbildungsteil besonders gewichtete und dabei die notwendigen Textinformationen in einer Art Vorspann auf die wesentlichen Linien zu bündeln verstand und das zudem die Balance zu halten suchte zwischen einem brauchbaren Band zur Vorbereitung von Reise- und Besichtigungsprogrammen und einem im Nachhinein durchaus noch ansehnlichen Erinnerungsband für das Bücherregal, geradezu unwiderstehlich machen. Kurz gesagt, die Reihe wurde "Kult", von Liebhabern gesammelt, von Anfangssemestern der Kunstgeschichte bis in die siebziger Jahre hinein als Einführungs- und Bildmaterial zur romanischen Kunst genutzt und erworben, nicht zuletzt mangels Alternativen bei der Suche nach dem Bild und wegen einer nicht jenseits des Erreichbaren liegenden Preisgestaltung für die einzelnen Bände. Primäre Zielgruppe des Verlagsprodukts La nuit des temps waren dennoch von Anfang an weniger (und heute erst recht nicht mehr) diese zukünftigen Fachwissenschaftler denn die genannten Kunstliebhaber und Kunstinteressierten. Ihnen sollte und soll auch heute noch - pathetisch gesprochen - eine Welt erschlossen, nicht buchhalterisch ein Inventar zur romanischen Kunst vorgesetzt werden. Verlagsname wie Reihentitel lassen diese Tendenz bereits anklingen, jüngere Reihen des Verlags haben diese Programmatik noch verstärkt. Daß dies nicht nur eine auf Titelfassungen wie Le ciel et la pierre, Visages du moyen âge, Les formes de la nuit, La route des mages, La voie lactée usw. beruhende Suggestion ist, sondern wirklich Konzept, vermag die Beschreibung der jüngeren Reihe La voie lactée im aktuellen Verlagsprospekt exemplarisch und aufs Schönste zu verdeutlichen: "Ces volumes nous font pénétrer dans l'esprit d'un haut lieu médiéval, sa symbolique, son monde".
Diesem auratisierenden Blick auf die Vergangenheit kommt in vielen Zodiaque-Bänden auch die für die überwiegenden Schwarz-Weiß-Abbildungen gewählte Technik entgegen: Es sind Duotonbilder mit ausgeprägter Licht-Schatten-Regie; sie sind so mehr als nur bildliches Dokument, sie sind "Stimmungsträger", sie setzen auf Emphase. Und in dieser Form trafen sie beim Start der Reihe geradezu kongenial auf eine Vorstellung von romanischer Kunst, wie sie in den fünfziger und sechziger Jahren vorherrschte: unfarbig, zumindest aber unbunt; sie belebten diese Farblosigkeit durch eine außerordentliche Ästhetisierung der Graustufen und der Hell-Dunkel-Kontraste und gaben so den Bildern geradezu Plastizität und Ausdruck, der abgebildeten Architektur und Plastik somit die Illusion dreidimensionaler Erfahrbarkeit auch im zweidimensionalen Medium.
Betrachtet man das heutige Verlagsprogramm von Zodiaque, so zeigt die Expansion der Reihen insgesamt, insbesondere aber die Lizenzübernahmen von La nuit des temps durch ausländische Verlage (in Deutschland lange Zeit durch den Echter-Verlag Würzburg, seit neuestem durch Schnell & Steiner Regensburg), wie erfolgreich dieses Konzept war, aber auch, wo heute die Grenzen und Schwierigkeiten in der Weiterführung dieses Programms liegen. Jedenfalls liegt es nahe, inhaltliche wie präsentatorische Konzepte nach knapp fünfzig Jahren Erfolgsgeschichte vor der Folie heutiger Angebote und Seh- und Erfahrungsgewohnheiten zu beleuchten.
Inhaltlich ist der Schwerpunkt über einige Jahrzehnte konstant
geblieben: die Kunst und Architektur der Romanik, und zwar im Sinne
einer Konzentration auf herausragende und zentrale Bauwerke, weniger
als exhaustive, inventarartige Erfassung der Kunst dieser Epoche. Man
begann in den fünfziger Jahren für die Reihe La nuit des temps mit
Bänden zu den französischen Kunstlandschaften, wobei
selbstverständlich Band 1 der Romanik in Burgund gewidmet war.
Inzwischen sind die französischen Landesgrenzen längst überschritten,
die Romanik in Italien, Spanien, Portugal, England, Irland, in den
Alpenländern, ja selbst in Skandinavien und im Heiligen Land zwischen
die Buchdeckel der Reihe gebracht; nur die Kunst und Architektur
dieser Zeit in deutschen Regionen blieb lange Zeit im Programm
ausgespart. Dies erstaunt umso mehr, als die Zodiaque-Bände von Anfang
an gerade auch bei deutschen Frankophilen, Kunstliebhabern und
Reisenden erfolgreich waren und Übersetzungen ins Deutsche nicht auf
sich warten ließen. Wenn wir recht sehen, erfolgte bei Zodiaque aber
erst Mitte der neunziger Jahre der konsequente Schritt zu einer
Ausweitung der Reihe auch auf deutsche Kunstlandschaften. Die
Schließung dieser Lücke kam damit fast zu spät. Längst müssen
Romanik-Reisende Richtung Norden nicht mehr publizistisches Ödland
durchqueren. Wenn auch eben nicht Zodiaque, so sind doch verstärkt
deutsche Verlage in diese thematische Lücke eingestiegen und haben
schließlich auch die Schaffung einer Straße der Romanik durch die
Tourismus-Industrie in den neunziger Jahren mit Begleitpublikationen
aufgewertet.[1] Inzwischen dürfte sich die Romanik-Mode für ein
breiteres Publikum langsam dem Ende zuneigen; zumindest uns erscheint
das Thema auf diesem Niveau auch verlegerisch ausgereizt. Hinzu kommt,
daß das Kapitel Romanik heutzutage für viele Regionen mit einem fast
flächendeckenden Angebot an Einzelführern zu Kirchen und Baudenkmälern
aber auch mit Bildbänden und Überblicksdarstellungen recht gut
beschrieben ist.[2]
Zodiaque hat daher in den letzten Jahren versucht, diese Engführung
des eigenen Programms etwas zu öffnen. Das thematische Spektrum erfaßt
nun stärker die christliche Kunst des Mittelalters insgesamt; zu den
Regionalbänden treten Überblicksbände zu einzelnen Epochen,
Einführungsliteratur und Glossare zur Ikonographie[3] und Kunst- und
Architekturtechnologie des Mittelalters, Führer zu mittelalterlichen
Pilger- und Reiserouten, Bände (fast schon Führer) zu einzelnen
herausragenden Bauwerken, schließlich auch "Spirituell-Künstlerisches"
außereuropäischer Kulturen. Gleich geblieben sind dabei das eingangs
beschriebene intentionale Profil und die Zielgruppenorientierung.
Daher wurde offensichtlich auch der durchaus denkbare Weg einer
Programmerweiterung durch Vertiefung und Spezialisierung in Richtung
Denkmälerinventar zur Romanik nicht beschritten. Auch die neue Reihe
mit CD-ROM-Produkten fügt sich der einmal gewählten Ausrichtung und
verstärkt dabei noch die didaktische Komponente.[4] Selbst die
Nachschlagewerke im Verlagsprogramm sind merklich "einführend"
orientiert und daher für eine dezidiert wissenschaftliche Nutzung nur
bedingt interessant.
Aus buchgestaltender Perspektive ist festzustellen, daß in den letzten
fünfzig Jahren die Entwicklung über Schwarz-Weiß-Bildbände
hinweggegangen ist, inzwischen hochwertige Farbabbildungen auch für
preisgünstigere Publikationen durchaus Standard geworden sind und
heutigem Publikumsgeschmack und Sehgewohnheiten wesentlich stärker
entgegenkommen. Der guten Schwarzweißaufnahmen eignende eigenständige
Erfahrungs- und Aussagewert dürfte nur noch von einer Minderheit der
Zielgruppe geschätzt und gewünscht werden. Zodiaque hat daher auf
diesem Gebiet eine Anpassung seiner Publikationen durch erhöhte
Beigaben von Farbabbildungen vorgenommen und die
Schwarzweißabbildungen vielfach noch kontrastiver ausgelegt, so daß
ihnen in manchen Bänden nun fast eine auf Überzeichnung beruhende
Kühle eignet.
Angela Karasch
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