Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
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Die Universität Bonn im Dritten Reich
- 00-1/4-305
-
Die Universität Bonn im Dritten Reich : akademische
Biographien unter nationalsozialistischer Herrschaft /
Hans-Paul Höpfner. - Bonn : Bouvier, 1999. - XVII, 589 S.
: Ill. - (Academica Bonnensia ; 12). - ISBN 3-416-02904-6
: DM 58.00
- [5790]
Das vorliegende Buch ist das Werk eines Außenseiters, der nicht der
Bonner Universität angehört und bisher eher als Regionalhistoriker
hervorgetreten ist. Zwar hat die Universität Bonn ihre nun bald
zweihundertjährige Geschichte in Teilen aufgearbeitet, aber die Zeit
der nationalsozialistischen Diktatur schien irgendwie tabuisiert, und
so mußte wohl nicht von ungefähr ein Universitätsfremder kommen, um
sich dieser immer noch Verwunderung, Empörung und Schmerz
hervorrufenden Periode anzunehmen. Höpfner hat in mühevoller
jahrelanger Kleinarbeit die Biographien aller Ordinarien der
Universität Bonn im 'Dritten Reich' zusammengestellt und mehr oder
weniger ausführlich behandelt, daneben auch die der Dozenten, die sich
besonders hervortaten. Doch es fehlen die Angehörigen des sog.
Mittelbaus und die Lehrbeauftragten, über die damals kaum Akten
angelegt wurden, die Stützen jeder Universität waren und sind. Die
Studie ist somit auf den etablierten Lehrkörper konzentriert. Helmut
Heiber unterscheidet in seinem leider nie beendeten Mammutwerk
Universität unter dem Hakenkreuz[1] zwischen 'Gegnern, Gleichgültigen,
Gläubigen', was das Verhältnis der deutschen Professorenschaft zum
Nationalsozialismus anging. Diese hübsche Alliteration trifft auch auf
Bonn zu. Man nehme nur einige der bekanntesten, um nicht zu sagen
berühmtesten Vertreter der erlauchten Bonner Alma mater - Karl Barth,
Paul Kahle, Erwin von Beckerath, Ernst Robert Curtius, Justus
Obenauer, Hans Naumann, Erich Rothacker - und man wird sie alle
unschwer diesen drei Kategorien zuordnen können. Licht und Schatten
liegen auch in Bonn nahe beieinander. Der SS-Mann Obenauer sorgte
dafür, daß die Philosophische Fakultät Thomas Mann den Ehrendoktor
aberkannte; die Familie Kahle zeigte sich nach der sog. Kristallnacht
jüdischen Nachbarn gegenüber solidarisch, wurde von der SA tätlich
bedroht und konnte in letzter Minute nach Großbritannien flüchten und
sich in Sicherheit bringen. Diese Vorgänge sind gut dokumentiert, doch
hat der Verfasser auch weniger bekannte Köpfe porträtiert. Zu diesem
Zweck hat er 400 Titel Sekundärliteratur gesichtet und sie zusammen
mit gründlichen Archivrecherchen zu eindringlichen Tableaus verbunden,
so daß seine Arbeit auf dem neuesten Stand ist und zahlreiche bisher
unbekannte Details, aber auch größere Zusammenhänge aufschlüsselt.
Auch eher abgelegene Titel wurden berücksichtigt, und die
Bibliographie (S. 553 - 578) kann als mustergültige fachgeschichtliche
Bibliographie eingestuft werden. Zusätzlich zu den prosopographischen
Angaben porträtiert der Verfasser jedoch auch die einzelnen Fakultäten
als korporative Gebilde und wertet seine Materialien statistisch aus.
Er zeigt, wie das politische Verhalten der einzelnen Hochschullehrer
vor und nach 1933 war, inwieweit das religiöse Bekenntnis dabei eine
Rolle spielte und wie sehr die einzelnen Fächer sich in die Ideologie
des Nationalsozialismus verstricken ließen. Bonn war nicht schlimmer,
aber auch nicht besser als die anderen Universitäten im Deutschen
Reich. Interessanterweise trat kein katholischer Ordinarius nach 1933
der NSDAP bei, erwiesen sich Germanistik, Kunstgeschichte, Musik- und
Religionswissenschaft bzw. Keltologie als besonders 'anfällig'. Dafür
hielten sich Juristen, Mediziner und Naturwissenschaftler mehr als
anderswo zurück. Zwar wurden in der ersten Entnazifizierungswelle nach
1945 60 % aller Hochschullehrer aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der
SS oder NSDAP entlassen, doch wurden später fast alle Verfahren
revidiert, so daß nur ganz wenige Professoren nicht mehr an die
Universität zurückkehren durften. Spätestens 1955, als die
Bundesrepublik ihre Souveränität wiedergewann, erfolgte eine Art
Generalamnestie, und auch diejenigen, die zu alt für eine
Reaktivierung waren, wurden ordnungsgemäß emeritiert. Höpfners
sorgfältig und umsichtig gemachte Übersicht hat Handbuchcharakter und
ist in personengeschichtlicher Hinsicht modellhaft. Dabei muß offen
bleiben, ob man allen Bewertungen zustimmen kann oder nicht.
Statistiken nivellieren gelegentlich eher, als daß sie klären. Nach
anfänglicher Ideologisierung, so der Verfasser, setzte sich bereits
Mitte 1934 eine Stabilisierungstendenz durch. "Schon bald überwogen
trotz partiell ideologischer Personalpolitik in Struktur, Laufbahn,
beruflichem Alltag und standes[s]pezifischem Habitus die Merkmale der
Kontinuität. [...] Die fachliche Leistung war entscheidend und ein
Minimum an Systemloyalität reichte für das berufliche Fortkommen aus"
(S. 2). Zwischenzeitlich waren immerhin 65 Universitätsangehörige
aufgrund der neuen Beamtengesetze um Amt und Würden gekommen, und der
Verfasser widmet sein Buch ja gerade den Opfern der
nationalsozialistischen Hochschulpolitik (S. 6). Mag sein, daß man es
im liberal-katholischen Rheinland mit der Umsetzung der NS-Politik
nicht so ernst nahm, gerne mißliebige Professoren nach Bonn versetzte,
so daß die örtlichen Parteigenossen fürchteten, ihre Universität
könnte zur 'Schuttablagerungsstätte' verkommen (S. 540 - 541). Aber
auch hier gab es keine Proteste und keinen Widerstand gegen
Vertreibung und Gleichschaltung, als noch Zeit dazu gewesen wäre,
sondern Wegsehen, Schweigen oder Akklamation. Und gerade Männer wie
Rothaker, Naumann, Obenauer, Steinbach, Stange, Tackenberg und wie sie
alle heißen, sind, zumindest eine Zeitlang, Steigbügelhalter des
Nationalsozialismus gewesen. Um hier stärker zu differenzieren, hätte
es jedoch soziologischer Feinarbeit bedurft, wie sie Wolfgang Weber
für die Gruppe der Historiker[2] und Peter Chroust für die
Philosophische Fakultät der Universität Gießen[3] aufgewandt haben. Doch
das war nicht die Intention des Verfassers, der das liefern wollte,
was man im 17. Jahrhundert eine 'Porträtgalerie' genannt hätte. Das
und noch mehr ist ihm in jedem Fall gelungen, und man möchte sich
ähnliche Arbeiten für andere Universitäten wünschen.
Frank-Rutger Hausmann
- [1]
- Universität unterm Hakenkreuz / Helmut Heiber. - München : Saur.
- Teil 1. Der Professor im Dritten Reich : Bilder aus der akademischen
Provinz. - 1991. - 652 S. - ISBN 3-598-22629-2 : DM 198.00. - Teil 2.
Die Kapitulation der Hohen Schulen : das Jahr 1933 und seine Themen.
- Bd. 1 (1992). - 668 S. - ISBN 3-598-22630-6 : DM 198.00. - Bd. 2
(1994). - 858 S. - ISBN 3-598-22631-4 : DM 298.00. - Zum
Verlagsjubiläum zum Sonderpreis bis 31.12.99: DM 148.00.
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- [2]
- Priester der Klio : historisch-sozialwissenschaftliche Studien zu
Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der
Geschichtswissenschaft 1800 - 1970 / Wolfgang Weber. - 2., veränderte
und durch ein Vorwort erg. Aufl. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang,
1987. - 613 S. : graph. Darst. ; 21 cm. - (Europäische
Hochschulschriften : Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften
; 216). - Zugl.: Augsburg, Univ., Diss., 1982. - ISBN 3-8204-9883-4 :
DM 89.00. - Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in
Deutschland, Österreich und der Schweiz : die Lehrstuhlinhaber für
Geschichte von den Anfängen des Faches bis 1970 / Wolfgang Weber.
- Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1984. - 697 S. ; 21 cm. - ISBN
3-8204-8005-6 : SFr. 113.00.
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- [3]
- Giessener Universität und Faschismus : Studenten und
Hochschullehrer 1918 - 1945 / Peter Chroust. - Münster [u.a.] :
Waxmann, 1994. - Bd. 1 - 2. - 515, [260] S. : graph. Darst. ; 21 cm.
- (Internationale Hochschulschriften). - Zugl.: Giessen, Univ., Diss.,
1993. - ISBN 3-89325-200-2 : DM 98.00. - Vgl. auch: Aeskulap &
Hakenkreuz : zur Geschichte der Medizinischen Fakultät in Giessen
zwischen 1933 und 1945 / Helga Jakobi ; Peter Chroust : Matthias
Hamann. Eine Dokumentation der Arbeitsgruppe "Medizin und Faschismus".
- 2. Aufl. - Frankfurt/M. : Mabuse-Verlag, 1989. - 202 S. : Ill. ; 30
cm. - ISBN 3-925499-38-5 : DM 15.00.
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