Der Herausgeber, Helmut Volger, ist bereits mit anderen
politikwissenschaftlichen Nachschlagewerken hervorgetreten,[1] und auch
die Beiträger sind nicht minder ausgewiesen: in dem sechsseitigen
Autorenverzeichnis findet man viele einschlägig bekannte Namen.
Nach dem Vorspann (Vorwort des amtierenden UN-Generalsekretärs Kofi
Annan, Einleitung des Herausgebers, Hinweise für den Benutzer,
Abkürzungsverzeichnis) folgt der alphabetische Hauptteil (675 S.) mit
166 Artikeln. Der Anhang enthält den Text der Charta der UN, eine
Liste der Mitgliedsstaaten (mit Beitrittsdatum), Angaben zu
Informationsmöglichkeiten über die UN und zu Depotbibliotheken in
Deutschland, eine Übersicht über die UN-Dokumentnummern, eine
Dreisprachenliste der wichtigsten UN-Institutionen (55 S.), ein
Sachregister (6 S.) sowie das bereits genannte Autorenverzeichnis.
Das Lexikon hat einen klaren Schwerpunkt bei der Behandlung der
Institutionen: Organe und Sonderorganisationen der UN werden vorrangig
behandelt. Dazu kommen Artikel über einzelne Politikfelder (z.B.
Umweltschutz, Friedenssicherung, Menschenrechtspolitik, Frauen und die
UN) und die UN-Politik wichtiger Länder ist ebenso berücksichtigt wie
einzelne Sachbegriffe (Geschichte, Minderheitenschutz, Sanktionen,
Terminologie, Internet etc.). Hervorzuheben ist die didaktische
Ausrichtung des Werkes, da beispielsweise die Depotbibliotheken und
das Dokumentationssystem näher beschrieben werden und im Anhang die
Dokumentennummersystematik erläutert wird; zu nennen ist in diesem
Zusammenhang auch der Artikel Die UN im Internet.
Die Artikel umfassen durchschnittlich vier Seiten, sind gut
strukturiert, mit Verweisungen reich versehen und enthalten zum Schluß
in ausreichendem Maß Literaturangaben und Adressen von
Internetquellen.
So gediegen das Lexikon auf den ersten Blick erscheint, so tun sich
bei näherem Hinsehen dennoch empfindliche Lücken auf:
Zwar sind manche Internationale Organisationen mit ihrem Verhältnis zu
den UN aufgenommen worden (z.B. die EU und Weltbank), andere jedoch
nicht, wie beispielsweise die NATO. Das läßt sich schwer
entschuldigen, ist doch die UN nicht der einzige Faktor im
internationalen System, weswegen es unabdingbar wäre, zumindest in
einem Überblicksartikel das Verhältnis der UN zu anderen wichtigen
internationalen Organisationen als auch internationalen Regimen zu
analysieren. Übrigens ist die NATO noch nicht einmal im Sachregister
zu finden.
So verdienstvoll die Behandlung der Politikfelder der UN ist, so sehr
muß man kritisieren, daß sie nicht systematisch berücksichtigt wurden:
Die Umweltprobleme (und damit die Umweltpolitik) sind mit einem
Übersichtsartikel vertreten, die Sicherheitspolitik muß man sich aus
Einzelartikeln zusammensuchen.
Auch der Artikel zum Internet ist äußerst konservativ gehalten, indem
er nur einen Überblick über offizielle Websites von UN-Institutionen
gibt, aber keinerlei Sekundärquellen nennt.
Man findet zwar die Nord-Süd-Beziehungen als Artikel, aber keinen
Ost-West-Konflikt. Auch im Sachregister sucht man letzteren vergebens,
man findet auch keinen Eintrag bei "Kalter Krieg". Ob das nicht etwa
ein schiefes Bild über die Vergangenheit vermittelt?
Auch Erdteile/Weltregionen sucht man vergebens: Jemand, der z.B. zum
Thema "Lateinamerika und UN" arbeitet, hat so keine Möglichkeit, einen
Überblick zu bekommen. Nicht nur das: Wichtige Sachverhalte bezüglich
einzelner Weltregionen werden gar nicht aufgeführt. In Lateinamerika
z.B. spielt die CEPAL (Wirtschaftskommission für Lateinamerika und den
karibischen Raum, englisches Akronym: ECLAC) eine so wichtige Rolle
bei der Formulierung wirtschaftspolitischer Ziele, daß man bei einer
bestimmten wirtschaftspolitischen Ausrichtung von "Cepalismo" spricht.
Mit viel Suchaufwand findet man die Kommission und den Sachverhalt im
Artikel Wirtschaftskommissionen, regionale, sucht jedoch vergeblich in
der Dreisprachenliste der wichtigsten UN-Institionen oder im
Sachregister danach.
Ebenso sind die Missionen der UN (beispielsweise im Libanon oder
Somalia) nicht als Stichwort unter den Artikeln oder im Sachregister
zu finden. In der Dreisprachenliste sind etliche zu finden, das ist
aber einerseits sehr mühselig, andererseits ist schwer zu sagen, ob
sie vollständig aufgenommen wurden.
Skurril auch die Behandlung der Vorgängerorganisation: Der Völkerbund
wird zwar in einem eigenen Artikel behandelt, wird aber im Artikel
Entstehungsgeschichte der UN nicht erwähnt.
Eine wichtige Vermittlerorganisation von Informationen über die UN in
Deutschland, die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen
(DGVN) fehlt.
Dieselben Schwächen und Lücken wie beim Inhalt lassen sich auch
bezüglich des kargen Registers konstatieren. Es zeichnet hauptsächlich
die Struktur des Inhalts nach. Stichwörter aus dem Inhalt wurden gar
nicht aufgenommen, selbst wenn sie als Zwischenüberschrift in den
Artikeln stehen, wie z.B. die oben erwähnte CEPAL. Der Artikel
Rußland, UN-Politik ist vorhanden, die Sowjetunion aber nicht, auch
nicht im Register! Hat es etwa die Sowjetunion/UdSSR nie gegeben? Man
findet zwar Korea- und Kubakrise sowie einen Kosovo-Konflikt, aber
keine Ungarn-Krise (1956). So wie die NATO glänzt auch die OECD durch
Abwesenheit. Wären nicht die Verweisungen im Text, die immerhin eine
gewisse Erschließung bei der Lektüre ermöglichen, könnte man fast von
einem Totalausfall in Bezug auf die Erschließung des Lexikons
sprechen.
Ein nicht gering zu veranschlagendes Problem bei der Benutzung
entsteht auch dadurch, daß die Namen im Text in deutscher Form
verwendet werden, die Abkürzungen bzw. Akronyme aber die englische
Form haben.
Trotz dieser recht langen Liste von Lücken und Mängeln fällt die
Gesamtbewertung dieses Werkes positiv aus: Das letzte umfangreiche
deutschsprachige Nachschlagewerk zur UN, das Handbuch Vereinte
Nationen,[2] erschien zuletzt 1991. Für die Lehre ist es von Vorteil,
daß mit dem Lexikon der Vereinten Nationen nun ein knapperes, vor
allem aber aktuelleres Werk vorliegt, das insbesondere die
Institutionenperspektive und auch die Angaben zur Fachliteratur
angemessen fortschreibt. Herausgeber und Verlag sollten sich die
obigen Punkte als Wunschliste für die zweite Auflage vormerken.
Jürgen Plieninger
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