In der Tat sind die großen Lexika wie die aus demselben Verlag stammende Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE) und Der kleine Pauly in der Benutzung gewöhnungsbedürftig und auch nicht mehr aktuell, wohingegen Der neue Pauly[2] zwar aktuell ist, jedoch nicht das Kriterium der Einbändigkeit erfüllt. Die meisten einbändigen Lexika befassen sich hingegen mit speziellen Aspekten. Einbändige Lexika, die ebenfalls versuchen, den ganzen Bereich der Antike abzudecken, werden unten mit dem MLA verglichen.
Das MLA wendet sich in erster Linie an Nicht-Fachleute. Latein- oder Griechischkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Die gezeichneten Artikel gehen meistens von sehr engen Stichwörtern aus, die aus allen Bereichen der antike Welt stammen (Personen, Geographica, Realien, Abstrakta, viele Dinge aus dem Alltagsleben, literaturwissenschaftliche Fachbegriffe, auch die altertumswissenschaftlichen Disziplinen werden vorgestellt). Neben Stichwörtern, die nur mit einem kurzen Satz erklärt werden (hier v.a. Termini aus dem Bereich der Literaturwissenschaft, aber z.B. auch Lebes, Bonus Eventus, Tethy) gibt es einige wenige, die mehrere Spalten umfassen (Aristoteles, Athen, Herakles, Sokrates). Im ganzen macht die Auswahl der Artikel einen ausgewogenen Eindruck. Am Ende der meisten Artikel findet man Literaturhinweise (v.a. Monographien), wobei das Vorkommen oder Fehlen weder erläutert wird, noch sich von selbst erklärt. Für ein Nachschlagewerk, das den Anspruch erhebt, "modern" zu sein, sind viele bibliographische Hinweise jedoch zu alt und man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß einige Artikel-Verfasser einfach den erstbesten Titel aus ihrem Zettelkasten zitiert haben, ohne sich die Mühe zu machen, nach neuerer Literatur zu suchen. Schwarz-weiß-Photos sowie Skizzen dienen der Veranschaulichung und Erläuterung, und sind bei manchen Artikeln auch sehr hilfreich (z.B. S. 372 Mechanisches Tempelwunder). Überflüssig sind die Abbildungen von Portraitbüsten bei vielen Personen-Artikeln, wobei die Zuordnung auch nicht immer unproblematisch ist (s. z.B. Marius und Sulla[3]). Die meisten Stadtpläne und Ortsskizzen sind mit denen des Lexikons Antike Stätten am Mittelmeer[4] gleichfalls aus dem Hause Metzler identisch.
Sehr nützlich ist der fast fünfzigseitige Anhang (S. 657 - 703). Er
enthält eine Zeittafel, eine Tabelle der römischen Kaiser (bis
Justinian), Stammbäume zur Mythologie, Tabellen für Maße und Gewichte,
eine Bibliographie sowie eine Quellenkunde (zusammengestellt von Kai
Broderson). Die um Aktualität bemühte Bibliographie verzeichnet
wichtige einführende Literatur, Nachschlagewerke und Bibliographien.
Bei der RE, dem Handbuch der Altertumswissenschaften und The Cambridge
ancient history werden alle Bände aufgeführt, zur RE gibt es darüber
hinaus auch noch wichtige Hinweise zur Benutzung. Erwähnt werden auch
die elektronischen Informationssysteme (DYABOLA, Database of Classical
Bibliography, Gnomon).[5] Ebenso wird auf die Volltextdatenbanken
Thesaurus linguae graecae[6] und die Bibliotheca Teubneriana latina[7]
verwiesen. Leider fehlt ein Hinweis auf die Internet-Version von
Gnomon.[8] Sehr informativ ist auch die Quellenkunde Woher wissen wir
etwas über die Antike? Hier findet der Benutzer wichtige
Quelleneditionen. So interessant und wichtig die hier vorgestellten
Informationen auch sind, ist der angesprochene Leserkreis zunächst
überfordert, da er mit originalsprachigen Quelleneditionen nichts
anfangen kann. Es fehlt eine Bibliographie brauchbarer Übersetzungen
bzw. zweisprachiger Ausgaben.
Im folgenden soll das MLA kurz mit anderen neuen, einbändigen
deutschsprachigen Lexika verglichen werden. Dazu bieten sich Reclams
Lexikon der Antike[9] (RLA), das Kleine Lexikon der Antike[10] sowie das
Wörterbuch der Antike[11] an. Auf den ersten Blick scheinen das RLA und
das MLA vom Titel und Umfang her dasselbe zu bieten, beträgt doch das
Verhältnis des Umfangs des lexikalischen Hauptteils 656 S. zu 688 S.
Im Vorwort des RLA ist wenigstens ein zeitlicher Rahmen gesetzt und
die Verfasser gehen auf die Problematik der Namensansetzung bei
antiken Personen ein, solche Hinweise bietet das MLA nicht. Das RLA
legt seinen Schwerpunkt jedoch klar auf die antike Literatur (hier
auch Sucheinstiege unter dem Titel eines antiken Werkes) und will
dabei auch Geschichte, Mythologie, Religion, Kunst, Philosophie und
Alltagsleben behandeln, während das MLA von vornherein alle Bereiche
berücksichtigen möchte, ohne einen Schwerpunkt zu setzen. Letzteres
hat freilich mehr Artikel, ist jedoch im Einzelfall weniger
ausführlich.
Im Vergleich mit dem Kleinen Lexikon der Antike (KLA) und dem
Wörterbuch der Antike (WA), die ebenfalls alle Bereiche der Antike
abdecken wollen, ist es schwer, eindeutig Präferenzen zu setzen. Alle
drei Lexika können ergänzend benutzt werden. Mal ist das eine
ausführlicher, mal das andere. Das MLA kann auf keinen Fall die beiden
älteren ersetzen.
Fazit: Wer seine Allgemeinbildung im Bereich der Antike vertiefen
möchte (in den Schulen wird heute aus naheliegenden Gründen nur noch
rudimentäres Wissen über die Antike vermittelt), oder der laienhaft am
Altertum "Interessierte", ist mit dem MLA gut bedient. Für Schul- und
öffentliche Bibliotheken ist das MLA sicherlich obligatorisch.
Wissenschaftliche Bibliotheken können sich die Anschaffung sparen. In
der letzten Ausgabe der Liste der fachlichen Nachschlagewerke[12] wurde
es auch nicht berücksichtigt, was auch daran liegen kann, daß es noch
zu neu war.
Kai Heßling
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