Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 8(2000) 1/4
[ Bestand in K10plus ]
Kinderärzte 1933 - 1945
- 00-1/4-445
-
Kinderärzte 1933 - 1945 : entrechtet - geflohen - ermordet
= Pediatricians - victims of persecution 1933 - 1945 / von
Eduard Seidler. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für
Kinderheilkunde und Jugendmedizin. - Bonn : Bouvier, 2000.
- 494, [24] S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 3-416-02919-4 : DM
58.00
- [6084]
Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und
Jugendmedizin gab auf seiner Jahrestagung am 3. Oktober 1998 in
Dresden eine (hier auf S. 67 abgedruckte) Erklärung des Bedauerns über
die Schuld ab, die sich die Gesellschaft in der Zeit des
Nationalsozialismus aufgeladen hat, insbesondere im Hinblick auf den
Ausschluß und die Verfolgung ihrer jüdischen Mitglieder. Dies ist
insofern von besonderem Gewicht, als der Anteil der jüdischen bzw.
politisch mißliebigen Kinderärzte 1933 in Deutschland bei über 50 %
lag. Die Gesellschaft hatte bereits 1995 den Auftrag erteilt, "eine
Dokumentation möglichst aller nach 1933 verfolgten, aus dem Land
getriebenen und ermordeten Kolleginnen und Kollegen zu erstellen.
Soweit noch feststellbar, sollte eine biographische Rekonstruktion der
Einzelschicksale versucht werden." (S. 11). Dieser Biographischen
Dokumentation (S. 119 - 364), die den Hauptteil des Bandes ausmacht,
geht eine lange Einführung voraus (S. 15 - 67, in englischer
Übersetzung S. 69 - 117), in der u.a. die Rolle der Juden in der
Pädiatrie, die Judenpolitik der DGfK, die Emigrationsströme und die
Utopien einer NS-Pädiatrie untersucht werden. Sie gliedert sich in
drei Teile: Deutschland, Wien und Prag[1] (nur eine Stichprobe für die
Zeit der deutschen Besetzung 1938 - 1945). Anlage innerhalb der ersten
Abteilung im Ortsalphabet (nur Orte ab 10.000 Einwohner); unter dem
Ortsnamen ist jeweils das Verhältnis von Betroffenen zur Gesamtzahl
der Kinderärzte angegeben (für Berlin beträgt es 222 : 263!, in
Stuttgart lediglich 8 : 30). Es folgen die biographischen
Informationen im Namenalphabet, mit - je nach Quellenlage[2] - höchst
unterschiedlich umfangreichen Angaben: Geburts- und Todesdatum und
-ort, Anschrift der Praxis, Studium, Wehrdienst, Ausbildungs- und
Praxisstationen, Publikationen, Stationen der Emigration oder der
Deportation; dazu kommen Zitate aus eigenen Aufzeichnungen oder der
von (überlebenden) Verwandten, aber z.B. auch aus Hetzartikeln in der
lokalen Presse. Der folgende Tafelteil (24 ungez. Seiten) enthält
außer Porträtphotos auch Abbildungen von Dokumenten,[3] der Anhang (S.
366 - 490) außer dem bereits erwähnten Literaturverzeichnis:
Statistiken, Übersichten über Orte und Namen, über die Exilländer
sowie die Suicide und Todesfälle, ferner ein Orts- und ein
Personenregister.
Dieses imponierende und in den mitgeteilten Detailinformationen
beklemmende Handbuch sollte anderen medizinischen Fachdisziplinen
Anlaß geben, sich ebenfalls mit ihrer "braunen" Vergangenheit und dem
in dieser Zeit an den jüdischen Kollegen begangenen Unrecht
auseinanderzusetzen und es zu dokumentieren, um damit die durch die
kollektive Verdrängung gekennzeichnete Nachkriegszeit endlich zu
überwinden.
Klaus Schreiber
- [1]
- Eine wichtige Quelle bildet hierbei: Biographisches Lexikon der
Deutschen Medizinischen Fakultät in Prag 1883 - 1945 / Ludmila
Hlavácková ; Petr Svobodny. [Deutsche Übers.: Ondrej Stanek]. -
Orig.-Ausg. - Praha : Karolinum, 1998. - 239 S. ; 24 cm. - ISBN
80-7184-521-3 : DM 60.00 (Kubon & Sagner, München) [4974]. - Rez.: IFB
99-B09-637.
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- [2]
- Standardquellen sind die Ausgaben des Reichs-medizinal-Kalenders
für Deutschland, die Mitgliederverzeichnisse der DGfK sowie örtliche
Adreßverzeichnisse aller Art. Dazu kommen zahlreiche Literaturzitate,
deren Titel auf S. 419 - 461 zusammengestellt sind, ferner persönliche
Mitteilungen und Korrespondenzen.
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- [3]
- "Sehr geehrter Herr Professor Goebel! Ich melde meinen Austritt aus
der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, da, wie ich vermute,
meine Mitgliedschaft der Gesellschaft ebenso unerwünscht sein dürfte,
wie mir selbst. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung. Wien, 11.
Jänner, 1934, Professor Dr. Rudolf Neurath."
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