Im Gegensatz dazu wollen Dürr, Kobayashi und Beißwenger - alles ehemalige Mitarbeiter des Johann-Sebastian-Bach-Instituts Göttingen - mit ihrer auf etwa die Hälfte des Umfangs reduzierten Kleinen Ausgabe des Schmieder (XXVII, 490 S. gegenüber XLVI, 1014 S.) interessierten Laien und Berufsmusikern ein brauchbares Werkzeug, ohne den ihrer Meinung nach nur für Bachforscher notwendigen Ballast, an die Hand geben. D.h., die vorliegende Ausgabe "versteht sich als Kompromiß zwischen einem kommentarlosen Werkkatalog einerseits und einem Vollständigkeit anstrebenden Nachschlagewerk andererseits, wobei die unvermeidbare Folge, daß dem einen noch zu wenig, was dem anderen schon zu viel erscheint, notwendigerweise in Kauf zu nehmen" (S. VII) und "die anzustrebende Knappheit oberstes Gebot" (S. VIII) war.
Der Inhalt der 2. Auflage des Schmieder wurde zwar unter Berichtigung
von Fehlern, jedoch ohne Revision, die dessen 3. Auflage überlassen
bleibt, übernommen und lediglich auf den Forschungsstand zum Zeitpunkt
des Redaktionsschlusses - das Vorwort wurde "Im Herbst 1997" (S. XI)
verfaßt - gebracht.[2]
Der Band beginnt mit dem Vorwort, dem wie bereits im Schmieder eine
englische Übersetzung beigegeben ist, sowie Allgemeinen und
Literatur-Abkürzungen. In der Beschreibung der einzelnen Werke des
Hauptteils wurden die Angaben zu Entstehungszeit, Textherkunft,
Besetzung, Gesamtausgabe knapper gefaßt, indem z.B. auf die Angabe des
Entstehungsortes oder die Ausformulierung in vollständigen Sätzen
verzichtet wurde. Die Incipits wurden z.T. gekürzt, die bisher auf
zwei Notenlinien wiedergegebenen Stimmen jetzt meist in einer
Notenlinie zusammengefaßt. Sehr verknappt wurden die nach den Incipits
aufgeführten Rubriken: 1. bei den Handschriften (jetzt: Quellen)
werden keine Abschriften, für deren Datierung Schmieder eigens ein
Zahlensystem mit den Ziffern 1 - 6 entwickelt hatte (vgl. Schmieder,
S. XX), mehr angegeben; 2. die Drucke und 3. Drucke und Ausgaben
besonderer Art wurden völlig eliminiert; 4. die Literaturangaben
reduziert und aktualisiert. Die vorliegende Kleine Ausgabe wird somit
nur noch dem ersten der drei oben genannten Ziele des ursprünglichen
Werkverzeichnisses, entsprechend ihres ebenfalls bereits erläuterten
Selbstzweckes, gerecht.
Den größten Eingriff stellt die Entscheidung dar, im Gegensatz zu
Schmieder, der Werke mit zweifelhafter Urheberschaft Bachs im
Hauptteil, im Anhang II: Zweifelhafte, J. S. Bach nicht
zuzuschreibende Werke dagegen nur Werke anderer, unbekannter
Autorschaft nachweist, sämtlich Werke, für die die Autorschaft Bachs
nicht gesichert ist, in den Anhang II: Werke zweifelhafter Echtheit[3]
zu verbannen.
Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis fällt für die Einteilung ansonsten
lediglich auf, daß die vorliegende Kleine Ausgabe im Thematischen
Verzeichnis die Konzerte und die Ouvertüren, Sinfonien unter der
Überschrift Orchesterwerke zusammenfaßt.
Wesentlich stärker unterscheiden sich die Register. Zeichnet sich ein
Werkverzeichnis nicht zuletzt durch möglichst zahlreiche und
vielfältige Register aus, so ist, zumindest was 1. und 3. betrifft,
unverständlich, weshalb sie in der Kleinen Ausgabe entfallen: 1.
Zeittafel; 2. Übersicht über die bis zum Jahre 1750 in Handschriften
oder Drucken zusammengefaßten Werke und 3. Themenverzeichnis der
Instrumentalwerke. Neu ist dafür ein nützliches Verzeichnis der von
Bach komponierten Kirchenliedmelodien, das Kirchenliedbearbeitungen
mit gesicherter Autorschaft Bachs, deren Musik erhalten ist - also
nicht die Anhänge des BWV - , ohne "Einzelsätze in Choralkantaten" (S.
471) berücksichtigt. Zugrunde gelegt sind die bei Zahn[4] nachgewiesenen
Textanfänge, ggf. mit Verweisung von den bei Bach vorkommenden anders
lautenden Textanfängen. Die Systematische Übersicht über die
Verwendung der Kantaten, die diese in neun Systematikgruppen einteilt
und außer Bestimmung und BWV-Nummer auch den Textanfang nennt, wurde
in der Kleinen Ausgabe reduziert auf eine in zwei Gruppen Geistliche
und Weltliche Kantaten gegliederte Übersicht über die Bestimmung der
Kantaten mit Angabe von Bestimmung und BWV-Nummer.
Das Alphabetische Verzeichnis der Textanfänge "enthält die Textanfänge
(Werkanfänge und Eingangssätze) samt BWV-Nummer der Kantaten,
Motetten, Passionen, Oratorien und der lateinischen Kirchenmusik sowie
die unter einer Nummer genannten Vokal-Einzelsätze. Nicht aufgenommen
sind die Textanfänge der Choräle und Lieder, da diese innerhalb des
Werkverzeichnisses ohnehin alphabetisch (außer den Trauungschorälen
BWV 250 - 252) geordnet sind" (S. 484). Tatsächlich trifft die
alphabetische Anordnung innerhalb des BWV sowohl auf die Choräle für
vier Stimmen BWV 253 - 438 als auch auf Die geistlichen Lieder und
Arien mit Generalbaß. Aus Schemellis Gesangbuch BWV 439 - 507 und die
Arien und Lieder. Aus dem zweiten Notenbuch für Anna Magdalena Bach
BWV 508 - 518 zu, die allerdings allein schon drei Alphabete
darstellen, jedoch nicht auf die übrigen in den zwei Gruppen
Vierstimmige Choräle und Lieder, Arien, Quodlibet verzeichneten Werke:
eben die Trauungschoräle BWV 250 - 252, die "Choräle anderer Herkunft"
BWV 500a, 1084, 1089, 1122 - 1126, "Fünf geistliche Lieder" BWV 519
- 523, das "Quodlibet (Fragment). Zu einer Hochzeitsfeier" BWV 524.
Überdies wurden leider die bei Schmieder[5] in der entsprechenden
Übersicht nachgewiesenen Textanfänge der Folgesätze eines Werkes
eliminiert. Folglich ist die alphabetische Auswertung der Textanfänge
der vorliegenden Ausgabe nicht vollständig und nur unter Vorbehalt zu
gebrauchen.
Aus dem früheren Namen- und Sachregister ist nunmehr ein
Personenregister - wie bisher ohne die Namen der Rubrik Literatur
- geworden,[6] wodurch nun die Möglichkeit des Einstiegs unter
Sachbegriffen wie z.B. "Matthäuspassion" entfällt.
Für problematisch erachtet die Rezensentin die veränderte Angabe der
BWV-Nummer[7] bei Werken, die in der zweiten Ausgabe des Schmieder neu
aufgenommen worden waren. Sie hatten die Nummern 1081 - 1120 erhalten,
von denen auf die eigentlich richtigen verwiesen wird, indem nach
einem Schrägstrich die Stelle im BWV angegeben wurde, an die die Werke
tatsächlich gehören und auch zu finden sind, z.B. 246/Anh. II 30 -->
(Lukaspassion), d.h. nach Anh. II 30. Zwar ist die Lösung mit Pfeil,
dessen Darstellung beispielsweise in EDV-Programmen beim Zitieren
einer betreffenden BWV-Nummer (obwohl die Nummer vor dem Schrägstrich
die maßgebliche ist) sicherlich häufig nicht möglich ist, etwas
ungeschickt,[8] doch gliedert sie sich hervorragend in den Aufbau des
Schmieder ein. Diese Darstellungsweise wurde nun in der Kleinen
Ausgabe dahingehend vereinfacht, daß lediglich die eigentliche
BWV-Nummer ("eine ein- bis vierstellige Nummer allenfalls mit
angehängtem Kleinbuchstaben als Variantenkennzeichen)" (S. IX) , also
die Zahl vor dem Schrägstrich, angegeben wird: an der eigentlichen
Stelle der BWV-Nummer mit Verweisung auf die tatsächliche Fundstelle,
an dieser führt dies jedoch zu einer inkonsequenten, d.h. nicht
fortlaufenden und auf den ersten Blick verwirrenden Nummernabfolge,
z.B. S. 438 - 443: BWV 1077, 1078, 1086, 1087, 1079, 1080; S. 246
- 251: BWV 243, 243a, 1082, 1083, 244; S. 270 - 272: BWV 247, 1088,
248. - Ferner wurde auch der Buchstabe R, der sich bei Schmieder
gelegentlich im erläuternden Text als Zusatz zur BWV-Nummer bei
Rekonstruktionen findet (z.B. bei den Sieben Konzerten BWV 1052
- 1058), nicht verwendet.
Die Kleine Ausgabe des Bach-Werke-Verzeichnisses stellt eine für
Studienzwecke nützliche und erschwingliche Ausgabe dar, die aufgrund
aktuelleren Forschungsstandes auch Bibliotheken besitzen sollten,
obwohl sicher nach wie vor die 2. Auflage des Schmieder bis zu dessen
überarbeiteter Neuauflage das maßgebliche Werkverzeichnis sein und
bleiben wird. Für vollständige Literaturangaben, die jeweils nur in
Auswahl übernommen wurden, sollten jedoch alle 3 Ausgaben des
Bach-Werke-Verzeichnisses, die 1. Ausgabe 1950, die 2. Ausgabe 1990
sowie die vorliegende Kleine Ausgabe, ausgewertet werden.
Martina Rommel
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