Aber was können die Adepten des Faches mit der Satire anfangen, wenn ihnen doch die Kenntnis der Theorien fehlt, auf die laufend angespielt wird? Ein Kapitel eher zum Vergnügen der arrivierten Kollegen, unter denen ja auch noch mancher für's Leben geschädigter Alt-68er steckt, als zur Instruktion junger Studenten, die bekanntlich all dem Unfug wenig abgewinnen können, den die Generation ihrer Väter, weder mit Humor noch mit Ironie, geschweige denn Selbstironie begabt, mit großer Verbissenheit getrieben hat. Aber so geistreich und erfrischend ist das gemacht, daß ein paar Proben von Schnells Typologie dem Leser nicht vorenthalten werden dürfen. Er unterscheidet den Sozialgeschichtler, den Marxisten, den Feministen, den Postmodernisten, den Dekonstruktivisten, und den Empiristen.
Köstlich etwa die Genealogie des Feministen, dessen deformierte Gestalt Schnell überzeugend auf seine chaotisch-üppige Herkunft von vier Eltern zurückführt: "Der Feminist hat drei Mütter und einen Vater. Die Mütter sind die 68er Revolte, die amerikanische Frauenbewegung und die französische Theoriebildung. Der Vater ist das Patriarchat. Vom Patriarchat hat der Feminist sich abgewandt, feindlich. Und das mit gutem Grund. Das Patriarchat ist mit dem Kapitalismus und dem Kleinbürgertum entstanden. Es hat das Matriarchat verdrängt. [...] Patriarchenschicht um Patriarchenschicht wurde abgetragen. [...] Welch weites Feld an verschütteten weiblichen Traditionen trat da zutage. Welche literarhistorischen Verdrängungen und Unterdrückungen der Frau! Welche Ablagerungen und Abgründe an unerhörter, ungelesener Weiblichkeit! Von nun an gab es sie: Frauenliteratur. Literatur von Frauen für Frauen über Frauen. Frauenliteratur in Frauenverlagen, in Frauenbuchläden und in Frauenzeitschriften. Und ein ganzer Wissenschaftszweig kam zur Entfaltung. Der Feminist hielt Frauenseminare über Frauenthemen anhand von Frauenliteratur, und zwar für weibliche Studentinnen. Exklusiv. [...] Am Ende war ihm ganz fad. Der Feminist mochte nicht mehr. Er öffnete die Tür und hielt Ausschau nach Neuem. Es kam aus den USA und hieß Postmodernismus" (S. 210 - 211).
Ja, ist denn dieser Kollege von allen guten Geistern verlassen? Schon
die Anfänger, die noch gar nicht in die Arcana der Disziplin
eingeweiht sind, darauf hinzuweisen, daß die Germanistik nicht eben
ganz selten eine genauso läppische Sache ist, wie sie sich in nicht
eben wenigen Publikationen erweist? Die Zunftstruktur der Wissenschaft
ist auch nicht mehr das, was sie einmal gewesen ist: ein
funktionierendes Instrument zur Disziplinierung des Nachwuchses. Ein
guter Begleiter neben den mehr oder minder kompendiöseren Werken, die
in der Bibliographie angeführt sind.[1]
Hans-Albrecht Koch
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