Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
[ Bestand in K10plus ]

Die österreichische Literatur seit 1945


01-1-057
Die österreichische Literatur seit 1945 : eine Annäherung in Bildern / hrsg. im Auftrag des Österreichischen Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und der Dokumentationsstelle für Neuere Österreichische Literatur von Volker Kaukoreit und Kristina Pfoser. - Stuttgart : Reclam, 2000. - 360 S. : überw. Ill., 31 cm. - ISBN 3-15-010473-4 : DM 89.00
[6142]

Melancholisch und unbarmherzig wie alle alten Alben wirkt dieses Buch, dessen umfangreiches photographisches Material, aus dem der Band hauptsächlich besteht, eine dokumentarische "Annäherung in Bildern" an die österreichische Literaturszene seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ermöglicht: Autoren, die damals jung waren und heute betagt oder gar längst zu den Verstorbenen zählen, sind, - oft in mehreren Aufnahmen aus verschiedenen Jahrzehnten - wiedergegeben. Die Bilder zeugen nicht nur vom Alterungsprozeß der Dargestellten, sondern ebenso von ihrer häufig lange währenden Präsenz im Kulturbetrieb; es ist, als hinge die Entwicklung ihrer Poetik mit den Veränderungen ihres Körpers auf geheimnisvolle Weise zusammen.

In seiner Einleitung erklärt Wendelin Schmidt-Dengler den Sinn des Buches mit einer biblischen Anspielung: "Wenn wir kein Bildnis haben, machen wir uns eines." Wichtig scheint ihm deshalb, daß die Leser auch eine konkrete Anschauung haben, wie die Autoren ausgesehen haben oder immer noch aussehen, denn Literaturgeschichte ist "nicht nur Geschichte der Texte, sondern auch die Geschichte derjenigen, die diese produzieren." Die Verflechtung von Werk und Physiognomik, die in der Literaturkritik zwar nichts Neues darstellt, aber in der letzten Zeit wieder einmal modisch geworden ist, wird hier nicht in Frage gestellt; genausowenig wird die enge Verbindung von literarischem Produkt und Biographie des Schriftstellers problematisiert - ein methodischer Ansatz der Kritik immerhin, der lange für überholt gegolten hat und vielen noch heute suspekt erscheint. Der Band will aber über diese Fragen auf seine Weise, d.h. auch in seinem Medium, hinausgehen, denn - so Schmidt-Dengler - "durch die Photographien kommen Zusammenhänge zur Evidenz," welche erlauben, die verschiedenen Phasen der österreichischen Literatur nach 1945 klar zu differenzieren.

Durch die kurzen Kommentartexte, die jedes Photo begleiten, werden die restaurativen Tendenzen, die in den ersten zwanzig Jahren nach Kriegsende vorherrschten, deutlich, nicht weniger als die Wende, die 1966 eintrat, als bei den Autoren der "Gruppe 47" und besonders in den ersten Werken Peter Handkes und Thomas Bernhards Sprachskepsis und Sprachexperiment in den Vordergrund zu rücken begannen und der österreichischen Literatur eine ausgesprochen avantgardistische, andererseits eine betont - zuweilen schrill - sozialkritische Prägung verliehen. Auch nach dem Tod Bernhards im Jahre 1989, dessen Werk "der radikale Widerruf all jener Übereinkünfte [ist], die in der Zweiten Republik ein Staatgebilde erblicken wollten, das endlich mit sich selbst ins Reine gekommen sei," enthielt sich die österreichische Literatur der verfälschenden, touristisch verlockenden Bilder des eigenen Landes als eines Paradieses und wandte sich, politisch wieder engagiert, gegen den Status quo. Mit Hilfe solcher als "Ariadnefäden" gemeinten griffigen Formeln wird der Leser durch die Labyrinthe der ausschließlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Aufnahmen geführt, die bis in das Jahr 1999 hineinreichen.

Im Anhang vermitteln die Bio-bibliographische[n] Hinweise von Peter Stuiber die wesentlichsten Daten zu Leben und Werk der abgebildeten Autoren. Die entsprechenden Informationen werden auch zu den Beiträgern der knappen Orientierungstexte geboten, die durch die Bilddokumente führen und den optischen Eindrücken einen wissenschaftlichen Zug hinzufügen.

Gabriella Rovagnati


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