Für das Erscheinen des Repertoriums der Verlagskorrespondenz Göschen und der Verlagsbibliographie Göschen[1] vor dem Hauptwerk der Studien hält Füssel eine auf den ersten Blick plausible Erklärung bereit: Angesichts der zersplitterten Quellen "mußten zunächst Göschens weitgestreute Korrespondenzen gesammelt und die Verlagspublikationen ermittelt werden", die dem Leser nun als "Vorstudien" zur Verfügung stehen (S. 6 - 7). Dies entspricht jedoch nicht der Genese des Werks. Füssel hat die Studien im Frühjahr 1991 abgeschlossen und mit der Bibliographie als Anhang in Regensburg als Habilitationsschrift eingereicht. Den heutigen Leser der Studien irritiert natürlich die nicht gelöschte Anmerkung "Vgl. jetzt die Verlagsbibliographie im Anhang" (S. 255) ebenso wie der in letzter Minute ins Manuskript eingeschobene Hinweis auf Schillers Bittbrief vom 15. April 1790: "Der Brief wurde soeben versteigert [...]; vgl. Auktion Sammlung Prof. Herbert Albrecht am 10. und 11.Mai 1991" (S. 76). Der ursprüngliche Plan einer einbändigen Publikation der Studien mitsamt dem bibliographischen Anhang taucht noch 1998 in der völlig verkorksten CIP-Einheitsaufnahme im Impressum zur Verlagsbibliographie auf. Der Bandtitel lautet hier: Bd. 2. Geschichte und Bibliographie des Göschenverlages", und als Verfasser werden die Mitarbeiterinnen des Repertoriums der Verlagskorrespondenz benannt. Der Text der Aufnahme stammt vermutlich aus dem Jahr 1996, in dem der Verlag sich wohl aus verkaufsstrategischen Gründen für eine Separatpublikation entschieden hat. Dies war zugleich die verspätete Geburtsstunde der "Göschen-Trilogie".
Erst nach dem Abschluß des Manuskripts der Studien und des Anhangs
"hat die Abteilung zur Erforschung der Geschichte des Buchwesens des
Forschungsbereichs der HAB 1991 die Erarbeitung eines umfassenden
Repertoriums der Korrespondenz des Verlegers Georg Joachim Göschen
initiiert.[2] Das Projekt wurde in nur einem Jahr durchgezogen. Die
fatalen Ergebnisse liegen inzwischen vor: Zwei Kenner der Materie,
Rainer Schmidt und Dirk Sangmeister, haben das Repertorium unabhängig
voneinander in der Luft zerrissen. Schmidt[3] weist vor allem
methodische und formale Mängel nach (fehlende Handschriften- und
Drucknachweise, ausgelassene Empfangsvermerke, Mehrfachverzeichnungen
[sic], falsche oder fehlende Datierungen, fehlerhafte bibliographische
Nachweise) und ergänzt die verzeichnete Korrespondenz um dreißig
Briefe. Sangmeister[4] hat ad hoc 180 Briefe zusammengetragen, die nicht
erfaßt worden sind und zieht daraus das Fazit, daß schon im Hinblick
auf das wieder aufgetauchte Briefkopierbuch das Repertorium
"grundlegend überarbeitet" werden müsse. Auch die von Füssel mehrfach
behauptete Vollständigkeit der Verlagsbibliographie (so etwa S. 12)
ist, wie zuletzt Rainer Fürst (IFB 99-1/4-110) gezeigt hat, mehr oder
weniger illusorisch. Ärgerlich sind insbesondere die regellosen
bibliographischen Beschreibungen der Übersetzungen, die Göschen, der
über gute Englischkenntnisse verfügte, wohl als "quick and dirty"
bezeichnet hätte. Zudem schreibt Füssel seitenweise die Goethe-Titel
aus Waltraud Hagens Standardwerk Die Drucke von Goethes Werken[5] ab,
ohne seine Kopierfehler zu überprüfen. So lesen wir bei Füssel zur
sogenannten 'geringen Ausgabe' der Schriften Goethes (Nr. 62): "Es
existieren Ex. (aller 4 Bde) mit Titelblatt '1787' und 'Kaiserlichem
allergnädigsten Privilegium vom 8.11.1805'; sie können folglich erst
nach 1805 gedruckt worden sein". In der Vorlage (Hagen Nr. 12) steht
dagegen: "Expl mit der Titelaufschrift 'Mit Röm. Kaiserl.
allergnädigstem Privilegio' und dem Erscheinungsjahr 1787 in allen 4
Bdn. Hier folgt dem Titelbl. ein Kaiserliches allergnädigstes
Privilegium vom 8. November 1805. Bei diesen Expl müssen also die
Titelbll. trotz des angegebenen Erscheinungsjahres 1787 frühestens
1805 gedruckt und den Restbeständen der Ausgabe beigefügt worden
sein". Das von Füssel (Studien, S. 17) gepriesene Register der
Nachdrucke ist in den vom Rezensenten eingesehenen Exemplaren der
Verlagsbibliographie ausgefallen. Es existieren also von Band 2 der
"Trilogie" zwei variante Drucke.
Als Antwort auf Schmidts Kritik und zur Beruhigung des akademischen
Publikums hat Füssel 1997 im zweiten Heft der Wolfenbütteler Notizen
zur Buchgeschichte ankündigen lassen, die im Frühjahr 1998
erscheinende "zweibändige Darstellung der Geschichte des Verlegers
Georg Joachim Göschen" werde "Irrtümer des Repertoriums"
richtigstellen und "Ergänzungen zur Erschließung der Korrespondenz
Göschens" bieten. Leider ist dieses Versprechen nicht eingehalten
worden. Füssel hat in den Studien lediglich nachträglich entdeckt, daß
die Bertuch-Briefe Nr. 1 und 2 aufgrund eines Fehlers in einem
Ausstellungskatalog des Düsseldorfer Goethe-Museums im Repertorium auf
"1783" datiert worden sind, aber erst 1785 geschrieben worden sein
können. Lakonisch hält er an anderer Stelle fest, der Brief Friedrich
Karl Georg Sicklers aus Rom vom 20.V.1811 fehle im Repertorium (S.
311, Fn. 71). Es fehlen freilich auch ein Brief des Kartographen von
Schlieben vom 29.VIII.1827 und ein Schreiben Herrmann Julius Göschens
an Schlieben vom 20.X.1828, aus denen Füssel zitiert (S. 193 - 194).
Der Brief der Königin Luise von Preußen vom 30.I.1805, die sich für
Göschens Projekt des Journals für deutsche Frauen von deutschen Frauen
einsetzte, steht zwar in Füssels Liste der benutzten Archivalien (S.
365), wird aber im Text nicht erwähnt und ist auch im
Korrespondenzverzeichnis nicht zu finden. Bei einer intensiven Lektüre
des Fußnotenapparats der Studien werden ohne Zweifel weitere
Flüchtlinge zutage treten, die den Weg ins Repertorium verfehlt
haben.
Man muß Füssel zugute halten, daß er die Arbeit an der
Verlagsgeschichte zu einem Zeitpunkt begonnen hat, an dem die
kritischen Briefausgaben der wichtigsten Göschen-Autoren (mit Ausnahme
Schillers) noch nicht oder nur in ersten Teilbänden zur Verfügung
standen. Es war daher häufig notwendig, die Briefschaften "Im Original
ein[zu]sehen" (S. 7). Was 'Einsehen" im Einzelfall bedeutet, bleibt
jedoch undurchsichtig. Füssel beziffert den Umfang des Briefwechsels
zwischen Göschen und Karl August Böttiger auf "900" Briefe (S. 21),
aber nur drei Seiten weiter auf "ca. 800" Briefe, von denen, wie
Sangmeister nachgerechnet hat,[6] nur 291 im Repertorium auftauchen. Im
Falle Wielands wäre es eine Arbeit von wenigen Stunden gewesen, die
aus Dokumenten zweiter und dritter Hand stammenden Briefzitate an den
zwischen 1995 und 1999 erschienenen Bänden der Akademie-Ausgabe zu
überprüfen. Diesen philologischen Kleinkram überläßt Füssel dem Leser,
und er wird nicht müde, zu erwähnen, die "Drucklegung" sei bereits
1996 im Gange gewesen (S. 7, 12 u.ö.). Daß ein Manuskript von 25
Bogen, das von der Diskette des Autors auf dem Monitor der Göttinger
Druckerei formatiert worden ist, bis zur buchbinderischen
Weiterverarbeitung eine Druckzeit von fast vier Jahren in Anspruch
genommen hat, ist und bleibt wohl ein Unikum in der Geschichte des
deutschen Buchdrucks an der Wende zum 21. Jahrhundert.
Als Leitfaden für die Studien dient Füssel eine "bisher übersehene
Verlagsgeschichte in nuce" (S. 13) - Aufzeichnungen des versatilen
Weimarer Litterators Karl August Böttiger aus Gesprächen mit Wieland
im November 1796 über den Lebenslauf und verlegerischen Werdegang
Göschens. Böttigers phänomenales Gedächtnis wird in der erstaunlichen
Detailfülle der später stilisierten Fassung sichtbar. Es ist einfach
albern, daß Füssel dem Leser vorzugaukeln versucht, die Dresdner
Handschrift der Verlagsgeschichte in nuce sei nicht ein Teil des
Manuskriptkonvoluts der scharfzüngigen 'Literarischen Zustände und
Zeitgenossen', die Böttigers Sohn 1838 (nicht "1831", S. 23) mit
Rücksicht auf noch lebende Persönlichkeiten in einer Auswahl
herausgebracht hat. Füssel befürwortet nachdrücklich eine "zünftige
Edition" der "biographischen Abrisse" und merkt in einer Fußnote an,
daß Klaus Gerlach und Ren' Sternke eine Ausgabe angekündigt haben (S.
23, Fn. 10). Diese Ausgabe, ein Erfolgstitel des Aufbau-Verlags, lag
im Spätherbst 1998 bereits in vierter Auflage vor, und wie nicht
anders zu erwarten, enthält sie auch die Göschen-Biographie,[7] so daß
Füssel als Erstentdecker und Ersteditor der Verlagsgeschichte in nuce
in des Kaisers neuen Kleidern dasteht.
Ungeachtet der unnötigen Eskapade greift Füssel aus der eigenen
intensiv kommentierten Wiedergabe des Böttiger-Textes die wichtigsten
Stationen in Göschens Karriere heraus, um sie in weiterführenden
Kapiteln in einem größeren buchgeschichtlichen Zusammenhang zu
beleuchten: die Loslösung aus der Arbeit in der Buchhandlung der
Gelehrten in Dessau, den Weg in die Selbständigkeit mit fremden
Kapitalien, die finanziell riskante Herausgabe von Goethes Schriften,
die letzten Endes zu einem Bruch zwischen Autor und Verleger führt,
die unermüdlichen Bemühungen um die Durchsetzung der Antiquaschrift,
die in der monumentalen vierfachen Ausgabe von Wielands Sämmtlichen
Werken ihr Ziel erreichen, und nicht zuletzt typographische
Meisterleistungen, die aus der stetigen Verbesserung der
Satzeinrichtung, der eisernen Presse, der Papierglättung und anderer
drucktechnischer Details hervorgehen. In weiteren Kapiteln erörtert
Füssel stets quellennah die Organisation des Lektorats bei Göschen und
die hausinterne Normierung von Texten. Herausgehoben wird die
Sonderrolle Johann Gottfried Seumes, der die anstehenden Texte
bearbeitete, den Satz überwachte und die Korrespondenz mit den Autoren
führte.
Die im Zeichen des Kriegs stehenden Jahre von 1805 bis 1813, in denen
der Niedergang der Unternehmungen Göschens einsetzt, werden von Füssel
zu lakonisch abgehandelt. Der von tiefer Resignation geprägte Göschen
mußte in seinen letzten Lebensjahren die bittere Erfahrung machen, daß
seine Söhne unfähig waren, die Druckerei und den Verlag selbständig zu
lenken.
Die bisher weitgehend falsch eingeschätzten Interna des Übergangs des
Verlags aus dem Familienbesitz an Cotta im Jahre 1838 vermag Füssel
ins rechte Licht zu setzen: Cottas Compagnon Louis Roth fädelte die
Transaktion zu günstigen Konditionen über einen Mittelsmann ein.
Während Cotta sich sofort die großen Klassiker-Ausgaben sicherte,
übernahm Roth später als Geschäftsführer des selbständigen Teilverlags
das Restprogramm. Eine Inventurliste von 1845, in der hohe Bestände
von Titeln der 1820er und 1830er Jahre auftauchen, wird von Füssel
einseitig unter dem Gesichtpunkt der "Vernachlässigung" und
"Unverkäuflichkeit" betrachtet (S. 353). Das wissenschaftliche wie das
populäre Buch des frühen 19. Jahrhunderts hatte bei weitem eine
längere Lebensdauer als der heutige Schnelldreher, der bei
anfänglichem schlechten Absatz ohne Verzug ins Moderne Antiquariat
wandert. Die 1905 in deutscher Übersetzung erschienene, von Füssel
ohne plausiblen Grund arg gescholtene zweibändige Göschen-Biographie
aus der Feder des Verleger-Enkels Viscount Göschen war noch in den
siebziger Jahren in der Originalverpackung im Buchhandel erhältlich,
nachdem der Verlag de Gruyter Zugang zu seinem auf DDR-Gebiet
liegendem Depot erhalten hatte.
Was Justus Möser im Januar 1765 in einem Brief an Thomas Abbt über
Montesquieu geschrieben hat, gilt in gleichem Maße für den Verfasser
der Studien: "Der Mann ist überall schön, aber niehmals auf der
Stelle, wo man ihn prüft und anatomirt".[8] Insbesondere Füssels
notorischer fahrlässiger Umgang mit fremden und eigenen Texten erweist
sich bei der Lektüre immer wieder als unangnehmer Störfaktor. In
seiner "diplomatisch getreu ediert[en] Verlagsgeschichte in nuce"
treten bei einem Vergleich mit der Transkription von Gerlach und
Sternke mehr als siebzig Lesefehler zutage, von denen Füssels 'in
hundert Fällen' / G/St 'im Hundertfalle' (S. 46) noch zu den harmlosen
zu rechnen ist. Unterstreichungen in Briefautographen und
Auszeichnungen in gedruckten Texten fallen beim Zitieren in den
Studien grundsätzlich weg. Das fehlerfreie Abschreiben von sieben
Zeilen aus dem Reprint der Gruberschen Wieland-Biographie ist für
Füssel eine unlösbare Aufgabe (S. 99), und er kann sich auch nicht
entscheiden, ob Göschens Landgut in Hohnstädt, Hohnstedt oder
Hohenstädt gelegen hat. Die gehäuft auftretenden "Orginale" (S. 7
u.ö.) gehen wohl auf undeutliches Diktieren zurück. Die jüngste
Rechtschreibreform erlaubt zwar so ziemlich alles, doch sollte man dem
Leser einer wissenschaftlichen Monographie Trennungen wie
"De-mohngeachtet" (S. 300) oder "Spä-taufklärung" (S. 376) nicht
zumuten.
Mit guten Gründen erklärt Füssel den 1911 von Luise Gerhardt
herausgegebenen Briefwechsel zwischen Göschen und Böttiger als für
eine "philologisch exakte Zitation unbrauchbar. Eine Überprüfung an
den Orginalbriefen [sic] in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden
bestätigte [...], daß die Ausgabe nicht nur fehlerhaft, sondern
durchweg unzuverlässig ist" (S. 10). Dennoch zitiert Füssel alle
einschlägigen Briefe fröhlich und unbekümmert nach dieser Ausgabe,
auch dort, wo der Fußnoten-Hinweis "vgl. Gerhardt" ausgefallen ist.
Den Schreib- und Lesefehlern stehen die sachlichen Ungereimtheiten in
nichts nach. Füssel glaubt in Leipzig die Akten einer
"Büchereikommission" konsultiert zu haben, die im 18. Jahrhundert gar
nicht existierte (S. 264 u.ö.). Das Exemplar der Konzession des
Kurfürsten vom 14. Juli 1797 im Verlagsarchiv de Gruyter ist keine
"zeitgenössische Abschrift" (S. 255, Fn. 31), sondern das
eigenbehändigte Original.[9] Das bekannte grundlegende Werk zu Göschens
typographischen Leistungen von Dietmar Debes ist nicht aus einer
"Leipziger", sondern aus einer Berliner Diplomarbeit hervorgegangen
(S. 12). Für die Korrektur englischer Texte sollen Göschens Lektoren
Samuel Johnsons Dictionary in der Erstauflage von "1775" zu Rate
gezogen haben (S. 205, Fn. 6). Den 1991 erschienenen ersten Band der
Wieland-Studien hat Füssel im Hildesheimer Nachdruck von 1975 benutzt
(S. 376). Der auf Mikroformen spezialisierte Verlag Hänsel-Hohenhausen
hat seinen Sitz nicht in "Engelbach" (S. 9, Fn. 20), sondern in
Egelsbach vor den Toren der Stadt Mainz.
Überdies hat August Wilhelm Schlegel (wie der Registereintrag
bestätigt) am 5. April 1800 einen Brief an seinen 1789 verstorbenen
"Leipziger" Verleger Johann Friedrich Hartknoch abgeschickt. Füssel
verwechselt den großen Rigaer Verleger Herders, Hamanns und Kants mit
dem gleichnamigen Sohn, der seit Juni 1799 nicht in Leipzig, sondern
in Rudolstadt als Buchhändler tätig war. Und schließlich meldet sich
zwei Jahre nach seinem Tode Johann Georg Krünitz aus dem Grabe zurück,
um über "maschinenglattes Papier bei der Jubilatemesse 1798" zu
berichten (S. 33, Fn. 63).
Es ist wohl an der Zeit, daß der Verlag Walter de Gruyter für die
nächste Füssel-Publikation einen zweiten Seume als Korrektor
bereithält.
Horst Meyer
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