Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Karl-May-Handbuch


01-2-299
Karl-May-Handbuch / hrsg. von Gert Ueding. In Zsarb. mit Klaus Rettner. - 2., erw. und bearb. Aufl. - Würzburg : Königshausen & Neumann, 2001. - 641 S. ; 24 cm. - ISBN 3-8260-1813-3 : DM 68.00
[6613]

Das vor fast 15 Jahren in erster Auflage in der ungezählten Reihe der Autoren-Handbücher des Kröner-Verlags erschienene[1] und seitdem als Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Beschäftigung mit Karl May dienende Karl-May-Handbuch wurde im Dezember 2001 in "erweiterter und bearbeiteter Auflage" in einem neuen Verlag vorgelegt. Daß sich die auf dem Titelblatt versprochene Erweiterung nicht in einer höheren, sondern im Gegenteil in einer um 130 verringerten Seitenzahl niederschlägt, hängt mit der Vergrößerung des Formats zusammen. Ob wirklich eine nennenswerte Erweiterung stattgefunden hat, ist nach dem im Vorwort Ausgeführten, in dem nur von Veränderungen, nicht von Erweiterungen die Rede ist, nicht sonderlich wahrscheinlich: "Die meisten (Änderungen) hängen mit dem Fortschreiten der Forschung seither zusammen. So wurden alle Artikel ... überprüft, gegebenenfalls korrigiert und ergänzt" (S. 13). Ein Abgleich der Inhaltsverzeichnisse beider Auflagen ergab dazuhin eine fast völlige Übereinstimmung: lediglich im Anhang findet sich der ganz neue Abschnitt Karl May im Internet (S. 567). Bei den jetzt 51 (gegenüber 44) Mitarbeitern handelt es sich um "Fachleute und Kenner verschiedenster Art, vom Universitätsprofessor [wie dem Herausgeber] zum Schriftsteller und vom Kritiker zum Privatforscher" (S. 12).

Den Hauptteil des Handbuchs bildet weiterhin sein dritter Teil Das Werk (S. 116 - 491), in dem nach einem Abschnitt über die Veröffentlichungsgeschichte der Texte und einem weiteren über Handlungsführung und Prosastil sämtliche Texte Karl Mays nach elf Werkgruppen geordnet, in gezeichneten Artikeln nach einem vorgegebenen Schema - Editions- und Stoffgeschichte, Inhaltsangabe, Analyse, Wirkungsgeschichte - vorgestellt werden. In Anbetracht der proteischen Veröffentlichungsweise von Karl Mays Werken, die durch geänderte Titel, Bearbeitungen, unselbständige und selbständige Publikation desselben Textes, Wiederverwendungen u. dgl. gekennzeichnet ist, hilft zur sicheren Identifizierung die von Karl Serden und Klaus Rettner bearbeitete Konkordanz (S. 591 - 616), die von allen abweichenden, auch "erfundenen und veränderten" Titeln auf die fett gesetzte Form verweist, die auch im dritten Teil verwendet wird;[2] die entsprechende Fundstelle wird leider nicht angegeben. In der Vorbemerkung zur Konkordanz sind pauschal die einschlägigen subjektiven Personalbibliographien von Plaul und Schmatz/Hermesmeier Klotz genannt.[3] Daß die laufenden Nummern bei Plaul weder hier noch im Werk-Teil zitiert werden, ist ebenso verwunderlich wie nachteilig, enthalten sie doch die genaueste bibliographische Beschreibung aller bis zum Tode Karl Mays erschienenen Texte.[4]

Der erste Teil Zeit und Überlieferung (S. 19 - 60) behandelt primär Die literarische Tradition (Trivial- und Abenteuerroman) und Den literarischen Markt mit seinen Produktions- und Verbreitungsformen als Voraussetzung für Karl Mays Erfolg auf dem Markt der Massenliteratur, der zweite Teil Person und Lebensumstände (S. 61 - 115). Der besonders interessante und in einer weiteren Auflage dringend auszubauende vierte Teil Wirkungsgeschichte (S. 492 - 564) enthält in nicht weniger als zwölf leider meist recht knappen Abschnitten Informationen zu folgenden Themenbereichen: Kritik und Rezeption;[5] Fortsetzungen, Ergänzungen und Bearbeitungen; Karl May in den anderen deutschsprachigen Ländern und der DDR; Übersetzungen; Dramatisierungen;[6] Verfilmungen; Vertonungen;[7] Formen kommerzieller Verwertung (Merchandising); Comics und Bildergeschichten; Museen und Gedenkstätten (hier haben sich seit der 1. Aufl. und nach dem Ende der DDR die meisten Veränderungen ergeben); Der Karl-May-Verlag; Organe und Perspektiven der Karl-May-Forschung. Der Anhang enthält außer kurzen Verzeichnissen der Abkürzungen, der Internetadressen und der Mitarbeiter als umfangreichere Teile die bereits erwähnte Bibliographie der Forschungsliteratur (S. 568 - 590), die leider nur alphabetisch geordnet ist, die man jedoch mit einer auf der Internetseite der Karl-May-Gesellschaft[8] angebotenen, sachlich geordneten Bibliographie ergänzen kann sowie die ebenfalls bereits genannte Konkordanz; das Werk- und Personenregister erweitert das reine Werkregister der 1. Aufl. durch die Personen, wobei die Figuren aus Karl Mays Werken besonders markiert sind; leider sind die Hauptstellen, an denen die Werke im dritten Teil behandelt werden, typographisch nicht hervorgehoben.

Wenn es im kurzen Unterabschnitt Perspektiven der May-Forschung (S. 564) heißt: "a) Ausbau des Reprint-Programms. ... Auch die auf 99 Bde. angesetzte historisch-kritische Ausgabe (KMW) wird vom Hg. H. Wiedenroth im Verlag Bücherhaus Bargfeld fortgesetzt", so zeigt das die ganze Misere der Karl-May-Forschung auf, arbeitet sie doch weiterhin teilweise mit Texten, die in einer Gestalt überliefert sind, die auf weite Strecken nichts mit dem "Original" zu tun haben. Gemeint sind die Bearbeitungen (inzwischen wieder "Rückbearbeitungen") der GWR/GWB, bei denen sich der Karl-May-Verlag auf eine Erklärung der Witwe von Karl May beruft. "Daß die Witwe eines Dichters, an dessen Texten sie keinerlei Anteil hat, einen Dritten und ungenannten Vierten dazu ermächtigte, auf dem Wege der Bearbeitung eine definitive Werkausgabe zu schaffen, ist in der Literaturgeschichte ein singulärer Fall, der im Widerspruch zu jeder wissenschaftlichen Editionspraxis steht" (S. 125). An der Unterstützung wissenschaftlicher Editionen scheint die Karl-May-Gesellschaft aber nicht primär interessiert zu sein, wie man dem zitierten Hinweis auf den Herausgeber und Selbstverleger Wiedenroth und die "historisch-kritische Ausgabe" entnehmen kann. Abgesehen davon, daß es sich dabei um keine historisch-kritische Ausgabe im eigentlichen Sinne handelt, sondern um eine "zitierfähige Leseausgabe, deren Textqualität jeder anderen weit überlegen ist" (S. 129), dürfte ein kleiner Selbstverlag mit der Fertigstellung dieser Ausgabe überfordert sein (dafür spricht auch das schleppende Erscheinen), ganz abgesehen davon, daß bereits zwei Verlage (Greno und Haffmanns) aus dem Projekt ausgestiegen sind und (wenn auch nicht wegen der Karl-May-Ausgabe) nicht überlebt haben.

Klaus Schreiber


[1]
Karl-May-Handbuch / hrsg. von Gert Ueding. In Zsarb. mit Reinhard Tschapke. - Stuttgart : Kröner, 1987. - XX, 751 S. ; 18 cm. (zurück)
[2]
Als Beispiel für mögliche Veröffentlichungs- und Bearbeitungs-Varianten sei die erste Eintragung in der Konkordanz zitiert:
Abdahn Effendi (1908, "Grazer Volksblatt"; Buchausgabe: Stuttgart 1909; R[eprint] in: Der Krumir. Hamburg/Gelsenkirchen 1985; bearbeitet in: GWR/GWB 48, seit 2000 rückbearbeitet in: GWB 81) [GWR bzw. GWB ist die Sigle für die Gesammelten Werke in der Radebeuler bzw. Bamberger Ausgabe des Karl-May-Verlags]. (zurück)
[3]
Zu den Titeln vgl. die nachstehende Rezension der Bibliographie von Schmatz/Hermesmeier in IFB 01-2-302. - Daß beide Bibliographien nicht in die Bibliographie der Forschungsliteratur im Anhang aufgenommen wurden, läßt sich nur damit erklären, daß man ihnen den Rang von "Forschungsliteratur" abspricht. (zurück)
[4]
Die Bibliographien von Plaul und Schmatz/Hermesmeier werden noch einmal auf S. 116 genannt und letztere bei der pauschalen Beschreibung der GWR (S. 125) lobend erwähnt. (zurück)
[5]
Hier werden zwar die neuen Deutungen von Mays Person und Werk durch Ernst Bloch, Erich Loest und Hans Wollschläger, vor allem aber durch Arno Schmidt war erwähnt, doch verdienten diese eine wesentlich ausführlichere und vertiefte Darstellung. - Der Streit um den ehrenrührigen Nachruf auf Karl May in Bd. 18 (1917) des Biographischen Jahrbuchs und deutschen Nekrologs aus der Feder von Alfred Kleinberg wird auf S. 496 nur kurz gestreift; etwas mehr weiß das Karl-May-ABC zu berichten (Artikel Nekrolog, S. 144 - 145). Der Fall ist inzwischen aus der Sicht des Verlags de Gruyter unter Verwendung des im Verlagsarchiv erhaltenen Materials vom Enkel des Verlegers ausführlich dargestellt: Old Shatterhand, die Zensur und die Herausgeberehre : ein Kapitel aus dem Leben des Verlegers Walter de Gruyter / Kurt-Georg Cram. // In: Buchhandelsgeschichte. - 2000,3. - (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. - 167. 2000,75), S. B102 - B113 : Ill. (zurück)
[6]
Das Phänomen der Freilicht-Aufführungen von Karl Mays Werken kommt dabei im Hinblick auf ihre Breitenwirkung viel zu kurz weg: der bedeutendsten Spielstätte in Bad Segeberg wird gerade ein Absatz (S. 525) gewidmet; vgl. den folgenden Aufsatz anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens der Karl-May-Spiele: Am Ende siegt doch immer das Gute : falsche Indianer, echte Gefühle: im 50. Jahr setzen die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg auf die Überzeugungskraft der alten Männer / von Frank Heike. // In: Frankfurter Allgemeine. - 2001-08-10, S. 11 : Ill. (zurück)
[7]
Zu diesen beiden Bereichen gibt es ausführliche Darstellungen; s.u. IFB 01-2-334 - 335. Der Verfasser des Abschnitts Vertonungen ist Mitautor der weiter unten (IFB 01-2-352) besprochenen Monographie. (zurück)
[8]
http://www.karl-may-gesellschaft.de
Die von Ralf Schönbach erarbeitete Bibliographie hat leider den entscheidenden Nachteil, daß sie seit über drei Jahren nicht aktualisiert wurde. Bei einem Aufruf am 29.12.01 hatte sie noch den Stand vom 20.10.1998. (zurück)

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