Hätte irgendein Kritiker oder eine Redaktion eigenmächtig eine Liste
der besten 100 deutschen Platten erstellt und veröffentlicht, wäre
sicherlich durch Deutschland ein lauter Aufschrei der Entrüstung
erfolgt. Daher hat die Redaktion der Zeitschrift Musikexpress
klugerweise eine Vorschlagsliste mit knapp 200 wegweisenden deutschen
Platten an knapp 100 Fachleute (Journalisten, Medienleute, Radio- und
Fernsehmacher sowie Musiker)[1] verschickt, aus denen sich eine Jury von
65 Musikexperten formierte, die dann eine Liste mit knapp 120
deutschen Platten vorlegte. Die 50 ersten wurden dann in der
Februar-Ausgabe 2001 der Zeitschrift Musikexpress veröffentlicht.
Aufgrund der großen Resonanz wurde dann der vorliegende Band mit einem
Countdown von 100 deutschen Platten beim Hannibal-Verlag hergestellt.
Nach der Liste der Jury-Mitglieder folgen von hundert bis eins die
einzelnen Platten mit farbigem Cover-Abdruck und Titelbeschreibung
(Titel der Platte, Interpret, Erscheinungsjahr, Label und
Einzelstücke) mit einer Rezension. In vielen Fällen folgt noch ein
aktuelles Interview. Die Hitliste wird aufgelockert durch eingestreute
kurze Artikel über Krautrock, Elektronik und Avantgarde in
Deutschland, Rockmusik in Deutschland, eine kurze Geschichte des
DDR-Rock, die Neue Deutsche Welle, das Post-NDW-Zeitalter, den
Produzenten Conny Plank und die deutsche Musikbranche aus der
Produzentensicht.
Durch die Vorgehensweise bei der Titelauswahl wird das Ergebnis fast
unangreifbar, auch wenn die Redaktion die unterschiedlichsten und
extremsten Reaktionen erhalten hat. Wie der Chefredakteur, Christian
Stolberg, im Vorwort bemerkt: "Die Tatsache, dass es einige meiner
persönlichen Favoriten nicht unter die hier versammelten einhundert
Top-Werke gebracht haben, werte ich in aller Bescheidenheit nicht als
Symptom meines abseitigen Geschmacks, sondern eher als Indiz, dass es
so schlecht mit dem inzwischen angewachsenen Fundus an zeitlos guten
deutschen Popalben nicht stehen kann" (S. 9). Selbst bei
grundsätzlicher Kritik an der Zusammensetzung der Jury kann sich das
Ergebnis sehen lassen. Dennoch fallen einige Sachverhalte an der
Auswahl auf: zum einen werden von der Jury nur vier Platten aus den
sechziger Jahren für aufnehmenswert[2] befunden: The Rattles mit Hurra!
Die Rattles kommen!, Karl-Heinz Stockhausen (!) mit Kontakte, Amon
Düül II mit Phallus Dei und Can mit Monster Movie. Aus den siebziger
Jahren stammen 36 Platten, aus den Achtzigern 33 und 26 sind aus den
neunziger Jahren - eine abnehmende Tendenz, umso bemerkenswerter, wenn
man bedenkt, daß unter den ersten 10 gewählten Plattentiteln kein
einziger aus den neunziger Jahren stammt und nur drei aus dem Anfang
der achtziger Jahre. Insgesamt kommt kein einziger Titel aus dem Jahr
2000 vor, obgleich die Aktion wie der Einleitung zu entnehmen ist, im
Herbst 2000 anlief und die "Erstausgabe" im Februar 2001
veröffentlicht wurde. Es kam der Redaktion hier wohl nicht auf
besondere Aktualität an. Ein Schnitt mußte auf jeden Fall irgendwo
gemacht werden; leider wird dieser Sachverhalt aber nirgends
erläutert. Ebenfalls auffällig, daß nur vier Titel aus der DDR vor der
Jury bestanden haben, bzw. sechs, wenn man Nina Hagen als
DDR-Musikerin zählen will. Der Heavy Metal ist lediglich mit drei
Plattentiteln vertreten (zweimal Rammstein, einmal Helloween).
Kraftwerk geht als unbestrittener Sieger mit insgesamt sechs Platten
und Platz 1 hervor, gefolgt von Can mit fünf, Element Of Crime mit
vier und Amon Düül II und Die Fantastischen Vier mit jeweils drei
Platten.
Wer auch immer das sogenannte mangelnde deutsche Selbstbewußtsein (in
der Popmusik) kritisiert, der nehme zur Kenntnis, daß die Musiker
meistens gesellschaftlichen Trends weit voraus sind. So zeichnet sich
in der Musikwelt nach der auch dort stattgefundenen
Globalisierungsphase bereits das sogenannte "lokale Repertoire" als
Kontrapunkt ab. Möge es sich auf andere Lebensbereiche auswirken! Wer
die besprochenen Platten nicht bereits in seiner Sammlung hat und sie
nicht mehr im Handel bekommt, kann sich ersatzweise die Doppel-CD Made
in Germany, erschienen bei Zyx Music (www.zyx.de) gewissermaßen als
Soundtrack zum Buch besorgen.
Bernhard Hefele
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