Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2

Made in Germany


01-2-374
Made in Germany : die 100 besten deutschen Platten / [Red.: Albert Koch. Autoren: Mike Bayer ...]. - Höfen : Verlagsgruppe Koch/Hannibal, 2001. - 239 S. : Ill. ; 24 cm. - (Ein Musikexpress-Buch). - ISBN 3-85445-193-8 : DM 38.00, EUR 19.90
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Man ist versucht, das Erscheinen eines Buches mit diesem Titel und Anspruch als typisch für eine Zeit zur Kenntnis zu nehmen, in der das wiedervereinigte Deutschland (wieder) seine neue internationale Rolle sucht. Zum Glück hat das vorliegende Buch nichts mit Kriegseinsätzen zu tun, dennoch geht es um die Rolle, die die deutsche Rock- und Popmusik in der Welt spielt oder spielen soll bzw. will. Immer wieder gab es in den letzten Jahren hierzulande Diskussionen über Quotenregelungen in Rundfunk und Fernsehen mit dem Ziel, nur einen gewissen Prozentsatz an fremdsprachiger Popmusik zuzulassen, also möglichst gesetzlich zu regeln. Dem Vorwurf deutscher Minderwertigkeitsgefühle wurde immer wieder das französische Beispiel entgegengehalten. Der Band Made In Germany dokumentiert eindrucksvoll, daß von Minderwertigkeit keine Rede sein kann.

Hätte irgendein Kritiker oder eine Redaktion eigenmächtig eine Liste der besten 100 deutschen Platten erstellt und veröffentlicht, wäre sicherlich durch Deutschland ein lauter Aufschrei der Entrüstung erfolgt. Daher hat die Redaktion der Zeitschrift Musikexpress klugerweise eine Vorschlagsliste mit knapp 200 wegweisenden deutschen Platten an knapp 100 Fachleute (Journalisten, Medienleute, Radio- und Fernsehmacher sowie Musiker)[1] verschickt, aus denen sich eine Jury von 65 Musikexperten formierte, die dann eine Liste mit knapp 120 deutschen Platten vorlegte. Die 50 ersten wurden dann in der Februar-Ausgabe 2001 der Zeitschrift Musikexpress veröffentlicht. Aufgrund der großen Resonanz wurde dann der vorliegende Band mit einem Countdown von 100 deutschen Platten beim Hannibal-Verlag hergestellt.

Nach der Liste der Jury-Mitglieder folgen von hundert bis eins die einzelnen Platten mit farbigem Cover-Abdruck und Titelbeschreibung (Titel der Platte, Interpret, Erscheinungsjahr, Label und Einzelstücke) mit einer Rezension. In vielen Fällen folgt noch ein aktuelles Interview. Die Hitliste wird aufgelockert durch eingestreute kurze Artikel über Krautrock, Elektronik und Avantgarde in Deutschland, Rockmusik in Deutschland, eine kurze Geschichte des DDR-Rock, die Neue Deutsche Welle, das Post-NDW-Zeitalter, den Produzenten Conny Plank und die deutsche Musikbranche aus der Produzentensicht.

Durch die Vorgehensweise bei der Titelauswahl wird das Ergebnis fast unangreifbar, auch wenn die Redaktion die unterschiedlichsten und extremsten Reaktionen erhalten hat. Wie der Chefredakteur, Christian Stolberg, im Vorwort bemerkt: "Die Tatsache, dass es einige meiner persönlichen Favoriten nicht unter die hier versammelten einhundert Top-Werke gebracht haben, werte ich in aller Bescheidenheit nicht als Symptom meines abseitigen Geschmacks, sondern eher als Indiz, dass es so schlecht mit dem inzwischen angewachsenen Fundus an zeitlos guten deutschen Popalben nicht stehen kann" (S. 9). Selbst bei grundsätzlicher Kritik an der Zusammensetzung der Jury kann sich das Ergebnis sehen lassen. Dennoch fallen einige Sachverhalte an der Auswahl auf: zum einen werden von der Jury nur vier Platten aus den sechziger Jahren für aufnehmenswert[2] befunden: The Rattles mit Hurra! Die Rattles kommen!, Karl-Heinz Stockhausen (!) mit Kontakte, Amon Düül II mit Phallus Dei und Can mit Monster Movie. Aus den siebziger Jahren stammen 36 Platten, aus den Achtzigern 33 und 26 sind aus den neunziger Jahren - eine abnehmende Tendenz, umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß unter den ersten 10 gewählten Plattentiteln kein einziger aus den neunziger Jahren stammt und nur drei aus dem Anfang der achtziger Jahre. Insgesamt kommt kein einziger Titel aus dem Jahr 2000 vor, obgleich die Aktion wie der Einleitung zu entnehmen ist, im Herbst 2000 anlief und die "Erstausgabe" im Februar 2001 veröffentlicht wurde. Es kam der Redaktion hier wohl nicht auf besondere Aktualität an. Ein Schnitt mußte auf jeden Fall irgendwo gemacht werden; leider wird dieser Sachverhalt aber nirgends erläutert. Ebenfalls auffällig, daß nur vier Titel aus der DDR vor der Jury bestanden haben, bzw. sechs, wenn man Nina Hagen als DDR-Musikerin zählen will. Der Heavy Metal ist lediglich mit drei Plattentiteln vertreten (zweimal Rammstein, einmal Helloween). Kraftwerk geht als unbestrittener Sieger mit insgesamt sechs Platten und Platz 1 hervor, gefolgt von Can mit fünf, Element Of Crime mit vier und Amon Düül II und Die Fantastischen Vier mit jeweils drei Platten.

Wer auch immer das sogenannte mangelnde deutsche Selbstbewußtsein (in der Popmusik) kritisiert, der nehme zur Kenntnis, daß die Musiker meistens gesellschaftlichen Trends weit voraus sind. So zeichnet sich in der Musikwelt nach der auch dort stattgefundenen Globalisierungsphase bereits das sogenannte "lokale Repertoire" als Kontrapunkt ab. Möge es sich auf andere Lebensbereiche auswirken! Wer die besprochenen Platten nicht bereits in seiner Sammlung hat und sie nicht mehr im Handel bekommt, kann sich ersatzweise die Doppel-CD Made in Germany, erschienen bei Zyx Music (www.zyx.de) gewissermaßen als Soundtrack zum Buch besorgen.

Bernhard Hefele


[1]
Leider sind laut Jury-Liste nur 5 Musiker vertreten. (zurück)
[2]
Ob dies an der Qualität der Musik liegt oder vielleicht am Alter der Jurymitglieder, deren Geburtstage im Unterschied zu den Autoren der Besprechungen leider nicht angegeben sind, wäre eine eigene Untersuchung wert. (zurück)

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