Das vorliegende Lexikon beschränkt sich auf den Aberglauben im
deutschsprachigen Raum "mit gelegentlichen Seitenblicken auf den Rest
der Welt" und trifft außer dieser geographischen Einschränkung noch
eine inhaltliche: "Nicht aufgenommen wurden Orakel, die sich auf die
Frage nach dem eigenen Tod beziehen, und gefährliche, grausame oder
anstößige Rituale" (S. 8). Es wendet sich an den größten denkbaren
Leserkreis, nämlich alle, die gelegentlich abergläubischen Ritualen
folgen und "nun vielleicht doch zögern, über das zu lächeln, was
unsere Vorfahren, ja, noch unsere Großeltern glaubten und in ihrem
Brauchtum bewahrten" (S. 7). Daß bei der Unmasse überlieferter
abergläubischer Phänomene ohnehin nur eine Auswahl geboten werden
kann, versteht sich für die Autoren dabei von selbst. Doch ist es
ihnen nicht lediglich um die Kenntnis brauchtümlicher Überlieferungen
zu tun; das Lexikon könnte "vielleicht auch bewirken, daß der eine
oder andere Brauch wieder aktiviert wird und dadurch - wer weiß?
auch ein wenig mehr Poesie in das Leben des einen oder anderen Lesers
- gelangt" (S. 8) - denn, so der erste Satz des Vorworts, "Goethe
sagte
vom Aberglauben, er sei die Poesie des Lebens." Es wird derzeit Mode,
dieses Dictum zur Legitimierung der Popularisierung von Volksglauben,
Aberglauben und Okkultismus heranzuziehen. Gewiß, Goethe hat auch dies
geäußert; die Fortsetzung "deswegen schadet's den Dichtern nicht,
abergläubisch zu sein", wird dann schon meist unterschlagen.[2] Wie
nicht anders zu erwarten, sind auch gegenteilige Meinungsäußerungen
des Dichterfürsten überliefert: "Nun begegnet mir noch gar der
Aberglaube, der mir als das Schädlichste, was bei den Menschen
einkehren kann, verhaßt bleibt" oder "So muß man durchaus bemerken,
daß, praktisch genommen, sich Glaube und Aberglaube nicht
unterscheiden lassen und daß man vernünftigerweise wohl tue, sich in
diesen bedenklichen Regionen nicht zu lange aufzuhalten, sondern
dergleichen Vorfallenheiten als symbolische Andeutungen, sittliches
Gleichnis und Erweckung des guten Sinnes zu benutzen". Goethe-Zitate
haben, als Rechtfertigung einer Veröffentlichung, immer etwas
Bedenkliches.[3] Aberglauben ist zudem kein ganz so gemütliches
Phänomen, wie die Autoren uns glauben machen wollen. Theologen machen
mit Recht darauf aufmerksam, daß eine seiner Grundwurzeln die Angst
ist.[4]
Das Material verteilt sich auf 284 Artikel von Aal bis Zweites
Gesicht; das ergibt eine durchschnittliche Länge von etwas über einer
Druckseite pro Artikel. Eine Anzahl glücklich ausgewählter älterer
Abbildungen und einige botanische Zeichnungen der Autorin beleben den
Band. Querverweisungen innerhalb der Artikel sind häufig, Verweisungen
mit Stichwortcharakter sehr selten (der Rez. zählte neun). Das
Literaturverzeichnis umfaßt 126 selbständige, deutschsprachige
Veröffentlichungen und gibt Anlaß zu einigen Bemerkungen. Schon eine
flüchtige Durchsicht zeigt, daß die angegebenen Titel - mit einer
Ausnahme - nicht über das Erscheinungsjahr 1927 in die Gegenwart
reichen, die sämtliche angeführte Literatur also älter als siebzig
Jahre ist. Damit erübrigt sich die kritische Auseinandersetzung mit
dem bibliographischen Material, das bis auf vier Angaben aus dem
ersten Band des Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens (HdA), der
1927 erschien, übernommen worden ist, wie ein Vergleich Titel für
Titel ergibt.[5] Für den heutigen Leser wird es nicht einfach sein, die
darin enthaltenen Sonderdrucke aus dem ersten Jahrzehnt des letzten
Jahrhunderts bei Bedarf noch ausfindig zu machen oder exotisch
anmutende Schulprogramme (Zabrze 1901, Schäßburg 1877, Patschkau 1900,
Annaberg 1862) in die Hand zu bekommen. Was im monumentalen HdA
sinnvoll war, die Verzeichnung auch entlegenster Veröffentlichungen,
wirkt an dieser Stelle eher unüberlegt, wenn auch für einen
Bibliothekar mit antiquarischen Interessen ein Quentchen der im
Vorwort angedeuteten Poesie in solchen Abseitigkeiten stecken mag. Das
Manko kann im Rahmen einer Rezension nicht gutgemacht werden. Die
Auswahlbibliographie von Dietz-Rüdiger Moser und Gabriele Dietrich in
dem Sammelband Glaube im Abseits von 1992 und die entsprechenden
Abschnitte der Internationalen volkskundlichen Bibliographie wären
wohl zunächst heranzuziehen, sodann die Literaturanalyse von Martin
Stute.[6]
Die Lemmata sind, wie die Titel der Bibliographie, ebenfalls dem HdA
entnommen: von 284 Artikeln haben lediglich fünf dort keine direkte
Entsprechung und sind auf verschiedene Stichwörter verteilt (die
allerdings über den Registerband problemlos zusammenzuführen sind).
Die enge Anlehnung an den älteren Text führt oft zur Wiedergabe eines
überholten Forschungsstandes, beispielsweise beim Stichwort
Rauchnächte, deren Name von den Autoren in der Nachfolge des
HdA-Autors Paul Sartori (dasselbe Stichwort) auf kultische
Räucherungen in der Zeit der winterlichen Sonnenwende bezogen wird,
während die zeitgenössische Forschung dazu neigt, die Benennung von
pelzvermummten Heischeumgängen abzuleiten und folgerichtig Rauhnächte
schreibt.[7]
Der Rezensent möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob die Autoren
etwa in allen Fällen lediglich das HdA paraphrasiert hätten. Eine
gewisse Skepsis, was die Verwendung von Literatur nach 1927 betrifft,
scheint jedoch angebracht. Die Durchsicht einiger Artikel mag einen
Eindruck des angewandten Verfahrens vermitteln. Der Artikel Aal (S. 9)
faßt die eindrucksvollsten Inhalte aus zwei von vier Absätzen
(Biologisches und In der Volksmedizin) des gleichnamigen HdA-Artikels
(Bd. 1, Sp. 1 - 5, von Eduard Hoffmann-Krayer) zusammen und zitiert
den dort genannten Zauberspruch aus Ruppin (Brandenburg) mit der
Bemerkung "den man in Mecklenburg aufzusagen pflegte". Die Darstellung
geht mit dem Quellenmaterial frei um, faßt zusammen und gewichtet, im
wesentlichen durch Auslassung. So liegt das Schwergewicht des Artikels
bei Bandini auf der Volksmedizin; die Belege zur Weissagung und zur
Sage, die das HdA anfügt, werden übergangen. Über das HdA hinaus haben
unsere Autoren nichts hinzugefügt. - Auto (S. 33 - 34): Auch dieser
Artikel entspricht inhaltlich dem Artikel Automobil im HdA (Bd. 1, Sp.
739 - 740, von Hanns Bächtold-Stäubli). Der kundige Leser gewinnt den
Eindruck, daß sich seit siebzig Jahren der Aberglaube im Zusammenhang
mit diesem "angeblich liebsten Kind der Deutschen" (Bandini S. 33)
nicht verändert hat - während das HdA urteilt: "Der sich an das
Automobil ... anknüpfende Aberglaube ist meist international und
raschen Wandlungen unterworfen" (Sp. 739). Diese raschen Wandlungen
lassen sich bei Bandini nicht nachvollziehen. Die Autoren
paraphrasieren ihre Quelle wiederum frei und ohne direkte Anlehnung an
den ursprünglichen Wortlaut, nehmen inhaltlich keine Veränderungen
oder Zusätze vor, kürzen aber eine Passage über Talismane, die ohne
Änderung nicht hätte übernommen werden können. Wiedergegeben werden
hingegen die Angaben aus einem mysteriösen "englischen Handbuch des
Aberglaubens", das Bächtold-Stäubli schon 1927 nicht dingfest machen
konnte und dessen unüberprüfbare Angaben mit dem Zusatz "wie es in
England heißt" wieder abgedruckt werden. Nicht für alle Einträge ist
die Quellenlage so deutlich. So versammelt der Artikel Lichtmeßtag (S.
167 - 168) zwar eine Auswahl aus Artikel Lichtmeß des HdA (Bd. 5, Sp.
1261 - 1272, von Paul Sartori), zitiert aber einen an dieser Stelle
nicht angeführten Vers für den Brauch des Lerchenweckens und hat daher
noch weitere Literatur genutzt. Die Auswahl der Stichwörter und die
Formulierung der Artikel bleiben unabhängig davon jedenfalls die
Leistung der Autoren. Aus dem alle Glaubens- und Brauchtumsbereiche
umfassenden Material des HdA sind in unser Lexikon übernommen worden
65 Lemmata zur Botanik (bspw. Kirschbaum, Klebkraut, Klee, Knoblauch,
Königskerze, Kornblume im Buchstaben K) und 41 zur Zoologie (bspw.
Pfau, Pferd im Buchstaben P), zusammen etwa ein Drittel des Lexikons;
30 zu Zeiten (Heiligentage, Wochentage, Feste usw.); aus dem
verbleibenden Material heben sich 14 Artikel zu (Edel- und Zauber-)
Steinen heraus (die Artikel Chalzedon, Chrysolit und Chrysopras machen
bspw. die Gesamtheit der Einträge des Buchstabens C aus).[8]
Der Band bietet ein knappes, farbiges und zutreffendes Bild
abergläubischer Phänomene, wie sie die deutsche Volkskunde Ende der
zwanziger Jahre zusammengetragen hatte. Gegenwartsvolkskunde,
Großstadtvolkskunde, die Volkskultur in der technischen Welt[9] sind
ausgeklammert. Der Titel der nächsten Auflage sollte diese
Einschränkung zum Ausdruck bringen. Vielleicht können die Autoren den
Verlag auch für einen Fortsetzungsband erwärmen. Ohne eine solche
Ergänzung muß der Leser, in der Regel ohne es zu wissen, nicht nur auf
die Forschungsergebisse der letzten siebzig Jahre verzichten, er
gewinnt auch den unzutreffenden Eindruck von der Volkskunde als einer
antiquarisch orientierten und dem Kuriosen zuneigenden Wissenschaft.
Das Buch ist vorzüglich geschrieben und nicht nur für den im Vorwort
angesprochenen allgemein interessierten Leser nützlich. Bibliotheken
sollten im Sachkatalog die inhaltliche Einschränkung deutlich machen.
Willi Höfig
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