Hexen waren stets ein kontroverses Thema, und sie sind es immer noch.
Vorstellungen des Volksglaubens bilden den sich nur langsam
verändernden Untergrund für kürzere Wellen aktuellen Interesses,
wissenschaftsgeschichtlich in den dreißiger Jahren des 19.
Jahrhunderts mit Blick auf die Hexenprozesse und mit antikirchlichen
Akzenten einsetzend, derzeit zwischen Okkultismus und Feminismus
oszillierend. "Überhaupt lag es nicht in unserer Absicht", äußern sich
die Autoren, "die Frage, ob es tatsächlich Hexen gebe oder je gegeben
habe, zu erörtern - sie dürfte ohnehin, wenn überhaupt, äußerst schwer
zu beantworten sein" (S. 8). Nach Meinung des Lexikons ist die Frage
nach der objektiven Realität des Phänomens offen. "Fest steht dagegen,
daß in vielen Teilen der Welt bis auf den heutigen Tag nach wie vor
gern ein Sündenbock für alles unvorhergesehene Unglück verantwortlich
gemacht wird. Und noch heute werden selbst mitten in Deutschland
Menschen, die durch ihr Aussehen, ihr Verhalten und ihre Ansichten von
der Norm abweichen, bewußt oder unbewußt in die Kategorie der Hexen
eingeordnet, beargwöhnt und aus der Gemeinschaft ausgestoßen - nur
glücklicherweise nicht mehr verbrannt" (S. 8). Der humanistisch zu
nennende Standpunkt ist, so selbstverständlich er uns scheint, derzeit
nicht unbedingt mehr communis opinio; den Autoren ist zu danken, daß
sie ihn im Vorwort deutlich benennen, auch wenn er im Lexikon selbst
nicht im Mittelpunkt steht. Franz Fühmann ist es gelungen, die
Problematik in drei Sätzen zusammenzufassen, die die Grundlage für die
weitere Beschäftigung mit dem Thema abgeben könnten und die unser
Lexikon leider nicht zitiert: "Der Gesamtkomplex Hexenwesen ... ist ja
nur im Sinn ihrer Verfolger überliefert worden; die Stimme der Hexen
wird nur verzerrt, unter den Schrauben der spanischen Stiefel, laut.
Wir sind uns darin einig, daß das Verhältnis von Hexe zum Bürger ...
nicht dem Gegensatzpaar 'schlecht' (böse) - 'gut' zugeordnet werden
kann. Das bestimmende Verhältnis ist das von Tag zu Nacht, und in
beiden Bereichen ist Böses wie Gutes."[1]
Von dem überwältigenden Ausmaß der derzeitigen populären Beschäftigung
mit dem Hexenwesen aller Schattierungen ist nur schwer eine
Vorstellung zu gewinnen. Der Suchbegriff Hexe ergab über 70.000
Eintragungen im Internet. Einen Eindruck vom Selbstverständnis der
Betroffenen kann beispielsweise die Newsgroup
alt.paranormal.spells.hexes.magic im Usenet vermitteln, und der
Hagazussa-Webring (URL: geocities.com/Athens/8736/hagazussa.html)
erlaubt einen Einstieg in deutschsprachige Webseiten zu diesem
Thema.[2]
Diese Situation und die angedeutete allgemeine Problematik werden in
unserem Lexikon nicht gespiegelt. Von Abwehr von Hexen bis Zwiebeln
umfaßt es 166 Artikel aus der historischen und brauchtümlichen
Hexenforschung, dazu 21 Verweisungen nach dem Muster Magie > Zauberei.
Das angebotene Material wird durch zahlreiche Binnenverweisungen
innerhalb der Eintragungen vernetzt. Ein Fünftel der Artikel (31)
behandelt Grundsätzliches zum Hexenwesen: Aussehen, Werdegang,
Aufenthaltsort und Künste der Hexen, Erkennen und Abwehr, den Pakt mit
dem Teufel, Märchen- und Wetterhexen bis hin zum Artikel Bibliothek
einer Hexe (vielmehr eines Hexenmeisters Ende des 19. Jhs). Ein
weiteres Fünftel behandelt Hexentätigkeiten: überwiegend
Schadenzauber, bspw. Bildzauber, Böser Blick, Butterzauber, Hexenschuß
und Hexenstich, Nesselknüpfen, Weichselzopf und Wirbelwind. 27 Artikel
haben es mit Gegenständen zu tun: Atzmann, Erbsilber, Nadel,
Pentagramm, Trudenstein, Zauberwort und Zaubertrank. Die Geschichte
des Hexenwesens beleuchten Eintragungen über die Opfer großer
überlieferter Prozesse und besonders hervorgetretene Verfolger und
Verteidiger: Agnes Vollmerin, Agnes Bernauer (wobei Hebbels Drama
nicht erwähnt wird), Katharina Kepler, Gilles de Rais;[3] Waldenser,
Freimaurer und die Hexen von Salem und von Arras (wobei Tiecks Novelle
Der Hexensabbat erwähnt wird); Martin Delrio, Paracelsus, Friedrich
von Spee und Johann Weyer, um nur einige zu nennen. Die nächsthäufige
Kategorie gehört den Zauberpflanzen. Auch das Kleine Lexikon des
Aberglaubens hatte auf botanische Fragen besonderen Wert gelegt. Hier
finden wir Bärlapp, Dost und Gundermann, Hexenkräuter und Hexenring,
Schwarzen Nachtschatten und Zwiebel neben anderen zauberischen
Kräutern. Die Zoologie ist mit Eule und Fledermaus, Katze, Kröte,
Schwein, Ziegenbock und anderen Hexentieren ebenfalls vertreten. Elf
Artikel behandeln einzelne Geister und Dämonen: Bilwis und Diana, die
Hexe von Endor, Werwolf und Wildes Heer; drei Eintragungen schließlich
betreffen literarische Werke - die Kleine Hexe von Otfried Preußler,
den Simplicissimus Grimmelshausens und Ludwig Tiecks.
Unter etwa einem Drittel der Artikel finden sich ein oder mehrere
Verweisungen auf Titel der Bibliographie. Die Zuordnung der Literatur
zu einzelnen Artikeln ist in Lexika dieses Umfangs nicht die Regel und
sehr zu begrüßen. Sie gestattet dem Leser, den Band als Ausgangspunkt
für die gezielte weitere Lektüre zu nutzen.
Die 136 Titel der Bibliographie verteilen sich auf die Zeit von 1850
bis 1998. Das entspricht der Literatur der ersten Auflage;
Neuerscheinungen wurden in die zweite Auflage nicht mehr
eingearbeitet. Berücksichtigt wurden mit wenigen Ausnahmen nur
deutschsprachige Titel. Ihre zeitliche Verteilung entspricht im
wesentlichen der Forschungsgeschichte - die Schwerpunkte liegen in den
Zeiträumen vor 1910 und nach 1980. In der Regel werden Ausgabe und
Auflage nicht besonders bezeichnet. Ältere Schriften werden mit dem
Jahr der Neuauflage oder des Reprints zitiert, wenn ein solcher zur
Verfügung stand. Nur die Occulta philosophia Agrippas von Nettesheim
haben die Autoren offenbar in einer Ausgabe von 1531 benutzt
(Erstausg. 1510). Der Volkskundler, aber auch der Historiker wird
manches vermissen, das er als Standardwerk zum Thema anzusehen gewohnt
ist. Besonders überrascht der Verzicht auf eines der großen
Grundlagenwerke und Materialspeicher zum Hexenwesen und zu den
Hexenprozessen, die zweibändige Geschichte der Hexenprozesse von W. G.
Soldan und Heinrich Heppe, zuerst 1843 erschienen und noch 1969 von
der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in einem unveränderten
Nachdruck der 3. Auflage von 1912 wieder vorgelegt.[4] Aber auch das
Grundlagenwerk von Julio Caro Baroja[5] wird man vergeblich suchen; von
neueren Veröffentlichungen fehlt der überaus materialreiche Sammelband
von Richard van Dülmen (1987).[6] Merkwürdig scheint auch die
Randstellung, die die Autoren Will-Erich Peuckert einräumen, der sich
nach eigener Bekundung dreißig Jahre lang mit dem Hexenwesen
auseinandergesetzt hat: als volkskundlicher Dozent und
Sachverständiger, als Teilnehmer an schlesischen und niedersächsischen
Hexenprozessen, in der Aufarbeitung der theoretischen Implikationen,
in der umstrittenen praktischen Erprobung mittelalterlicher
Hexenrezepte. Sein Oeuvre ist allerdings umfangreich und etwas schwer
zu erschließen; die Bandinis nennen Deutscher Volksglaube des
Spätmittelalters von 1942, das kein eigenes Hexenkapitel enthält,
während Titel, in denen Peuckert sich im Zusammenhang zu unserem Thema
äußert, nicht angeführt werden.[7]
Die Artikel folgen der ausgewerteten Literatur und sind entsprechend
ungleich in ihrer Qualität. Der Artikel Märchenhexen faßt zum Beispiel
auf einer Seite aphoristisch einige Eigenschaften von Hexen aus den
Grimmschen Märchen zusammen, ohne die Problematik der Provenienz in
gerade dieser Sammlung zu berücksichtigen, und gerät deshalb auf die
von Heinrich Jung-Stilling als literarische Figur erfundene und von
den Brüdern Grimm übernommene Hexe in Jorinde und Joringel, die nicht
zur typischen Märchenhexe taugen kann.[8] Der Artikel Faust befaßt sich
entgegen unserer Erwartung nicht mit dem in zahllosen mündlich und
literarisch tradierten Varianten überlieferten Hexenmeister dieses
Namens, sondern bietet lediglich einige allgemeine Bemerkungen in
Anlehnung an die Anfang der achtziger Jahre zum Bestseller gewordene
Goethe-Interpretation Albrecht Schönes.[9]
Material- und aufschlußreich sind hingegen die Brauchtums- und
Dingartikel sowie die zusammenfassenden grundsätzlichen Darstellungen.
In ihnen wird auch auf den Unterschied zwischen weißer und schwarzer
Magie hingewiesen und zwischen der bösen Hexe und der guten Zauberfrau
unterschieden. Der begrenzte Umfang des Werkes verbietet oft die
strikte Trennung von autochthoner Überlieferung, ethnologischer
Parallele und literarischer Erfindung, die gerade bei diesem Thema
hilfreich sein kann. Vielleicht sind den Autoren derlei Abgrenzungen
aber auch nicht so wichtig.
In seiner Gesamtheit kann das hier zusammengestellte Material einen
guten Eindruck von den Ergebnissen der Hexenforschung unter
brauchtümlichen und historischen Gesichtspunkten vermitteln. Zu
bedauern ist der Verzicht auf die Darstellung des gegenwärtigen
Hexenwesens, besonders mit Blick auf den im Vorwort deutlich gemachten
humanistischen Standpunkt der Autoren. Auch die Einbeziehung
medienvolkskundlicher Aspekte würde den Band aufwerten. Insbesondere
der Hexenfilm könnte in der hier beschriebenen Grauzone zwischen
realer und virtueller Wirklichkeit zu weiteren Erkenntnissen führen.
Filme wie Die Hexen von Salem (Frankreich/DDR 1957) oder Die Hexen von
Eastwick (USA 1987) sind als öffentlicher Bewußtseinsinhalt gewiß eher
präsent als die Kenntnis von der zauberischen Wirkung des Spuckens (S.
185) oder der apotropäischen Kraft der Unruhe, dem Mobile am
Kinderbett (S. 204).
Man wird, unbeschadet der unbestreitbaren Vorzüge in der
Zusammenstellung des Materials und der Art der Darstellung, denselben
Vorbehalt wie gegenüber dem Kleinen Lexikon des Aberglaubens machen
müssen: auch hier gewinnt der Leser den unzutreffenden Eindruck von
der Volkskunde als einer antiquarisch orientierten und dem Kuriosen
zuneigenden Wissenschaft und muß auf die Ergebnisse der neueren
Forschung weitgehend verzichten.
Willi Höfig
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