Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Kleines Lexikon des Hexenwesens


01-2-395
Kleines Lexikon des Hexenwesens / Ditte und Giovanni Bandini. - Orig.-Ausg., 2. Aufl. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 2000. - 243 S. : Ill. ; 19 cm. - (dtv ; 20290). - ISBN 3-423-20290-4 : DM 17.50
[6335]

Das Autorenteam wurde bereits bei der Rezension des etwa gleichzeitig erschienenen Kleinen Lexikons des Aberglaubens (IFB 01-2-392) vorgestellt. Der nunmehr anzuzeigende Band derselben Verfasser über Hexen ist wiederum amüsant und materialreich. Er läßt sich als Nachschlagewerk und Lesebuch benutzen, ist vorzüglich geschrieben, ansprechend bebildert und wendet sich ebenfalls an einen größeren Leserkreis.

Hexen waren stets ein kontroverses Thema, und sie sind es immer noch. Vorstellungen des Volksglaubens bilden den sich nur langsam verändernden Untergrund für kürzere Wellen aktuellen Interesses, wissenschaftsgeschichtlich in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit Blick auf die Hexenprozesse und mit antikirchlichen Akzenten einsetzend, derzeit zwischen Okkultismus und Feminismus oszillierend. "Überhaupt lag es nicht in unserer Absicht", äußern sich die Autoren, "die Frage, ob es tatsächlich Hexen gebe oder je gegeben habe, zu erörtern - sie dürfte ohnehin, wenn überhaupt, äußerst schwer zu beantworten sein" (S. 8). Nach Meinung des Lexikons ist die Frage nach der objektiven Realität des Phänomens offen. "Fest steht dagegen, daß in vielen Teilen der Welt bis auf den heutigen Tag nach wie vor gern ein Sündenbock für alles unvorhergesehene Unglück verantwortlich gemacht wird. Und noch heute werden selbst mitten in Deutschland Menschen, die durch ihr Aussehen, ihr Verhalten und ihre Ansichten von der Norm abweichen, bewußt oder unbewußt in die Kategorie der Hexen eingeordnet, beargwöhnt und aus der Gemeinschaft ausgestoßen - nur glücklicherweise nicht mehr verbrannt" (S. 8). Der humanistisch zu nennende Standpunkt ist, so selbstverständlich er uns scheint, derzeit nicht unbedingt mehr communis opinio; den Autoren ist zu danken, daß sie ihn im Vorwort deutlich benennen, auch wenn er im Lexikon selbst nicht im Mittelpunkt steht. Franz Fühmann ist es gelungen, die Problematik in drei Sätzen zusammenzufassen, die die Grundlage für die weitere Beschäftigung mit dem Thema abgeben könnten und die unser Lexikon leider nicht zitiert: "Der Gesamtkomplex Hexenwesen ... ist ja nur im Sinn ihrer Verfolger überliefert worden; die Stimme der Hexen wird nur verzerrt, unter den Schrauben der spanischen Stiefel, laut. Wir sind uns darin einig, daß das Verhältnis von Hexe zum Bürger ... nicht dem Gegensatzpaar 'schlecht' (böse) - 'gut' zugeordnet werden kann. Das bestimmende Verhältnis ist das von Tag zu Nacht, und in beiden Bereichen ist Böses wie Gutes."[1]

Von dem überwältigenden Ausmaß der derzeitigen populären Beschäftigung mit dem Hexenwesen aller Schattierungen ist nur schwer eine Vorstellung zu gewinnen. Der Suchbegriff Hexe ergab über 70.000 Eintragungen im Internet. Einen Eindruck vom Selbstverständnis der Betroffenen kann beispielsweise die Newsgroup alt.paranormal.spells.hexes.magic im Usenet vermitteln, und der Hagazussa-Webring (URL: geocities.com/Athens/8736/hagazussa.html) erlaubt einen Einstieg in deutschsprachige Webseiten zu diesem Thema.[2]

Diese Situation und die angedeutete allgemeine Problematik werden in unserem Lexikon nicht gespiegelt. Von Abwehr von Hexen bis Zwiebeln umfaßt es 166 Artikel aus der historischen und brauchtümlichen Hexenforschung, dazu 21 Verweisungen nach dem Muster Magie > Zauberei. Das angebotene Material wird durch zahlreiche Binnenverweisungen innerhalb der Eintragungen vernetzt. Ein Fünftel der Artikel (31) behandelt Grundsätzliches zum Hexenwesen: Aussehen, Werdegang, Aufenthaltsort und Künste der Hexen, Erkennen und Abwehr, den Pakt mit dem Teufel, Märchen- und Wetterhexen bis hin zum Artikel Bibliothek einer Hexe (vielmehr eines Hexenmeisters Ende des 19. Jhs). Ein weiteres Fünftel behandelt Hexentätigkeiten: überwiegend Schadenzauber, bspw. Bildzauber, Böser Blick, Butterzauber, Hexenschuß und Hexenstich, Nesselknüpfen, Weichselzopf und Wirbelwind. 27 Artikel haben es mit Gegenständen zu tun: Atzmann, Erbsilber, Nadel, Pentagramm, Trudenstein, Zauberwort und Zaubertrank. Die Geschichte des Hexenwesens beleuchten Eintragungen über die Opfer großer überlieferter Prozesse und besonders hervorgetretene Verfolger und Verteidiger: Agnes Vollmerin, Agnes Bernauer (wobei Hebbels Drama nicht erwähnt wird), Katharina Kepler, Gilles de Rais;[3] Waldenser, Freimaurer und die Hexen von Salem und von Arras (wobei Tiecks Novelle Der Hexensabbat erwähnt wird); Martin Delrio, Paracelsus, Friedrich von Spee und Johann Weyer, um nur einige zu nennen. Die nächsthäufige Kategorie gehört den Zauberpflanzen. Auch das Kleine Lexikon des Aberglaubens hatte auf botanische Fragen besonderen Wert gelegt. Hier finden wir Bärlapp, Dost und Gundermann, Hexenkräuter und Hexenring, Schwarzen Nachtschatten und Zwiebel neben anderen zauberischen Kräutern. Die Zoologie ist mit Eule und Fledermaus, Katze, Kröte, Schwein, Ziegenbock und anderen Hexentieren ebenfalls vertreten. Elf Artikel behandeln einzelne Geister und Dämonen: Bilwis und Diana, die Hexe von Endor, Werwolf und Wildes Heer; drei Eintragungen schließlich betreffen literarische Werke - die Kleine Hexe von Otfried Preußler, den Simplicissimus Grimmelshausens und Ludwig Tiecks.

Unter etwa einem Drittel der Artikel finden sich ein oder mehrere Verweisungen auf Titel der Bibliographie. Die Zuordnung der Literatur zu einzelnen Artikeln ist in Lexika dieses Umfangs nicht die Regel und sehr zu begrüßen. Sie gestattet dem Leser, den Band als Ausgangspunkt für die gezielte weitere Lektüre zu nutzen.

Die 136 Titel der Bibliographie verteilen sich auf die Zeit von 1850 bis 1998. Das entspricht der Literatur der ersten Auflage; Neuerscheinungen wurden in die zweite Auflage nicht mehr eingearbeitet. Berücksichtigt wurden mit wenigen Ausnahmen nur deutschsprachige Titel. Ihre zeitliche Verteilung entspricht im wesentlichen der Forschungsgeschichte - die Schwerpunkte liegen in den Zeiträumen vor 1910 und nach 1980. In der Regel werden Ausgabe und Auflage nicht besonders bezeichnet. Ältere Schriften werden mit dem Jahr der Neuauflage oder des Reprints zitiert, wenn ein solcher zur Verfügung stand. Nur die Occulta philosophia Agrippas von Nettesheim haben die Autoren offenbar in einer Ausgabe von 1531 benutzt (Erstausg. 1510). Der Volkskundler, aber auch der Historiker wird manches vermissen, das er als Standardwerk zum Thema anzusehen gewohnt ist. Besonders überrascht der Verzicht auf eines der großen Grundlagenwerke und Materialspeicher zum Hexenwesen und zu den Hexenprozessen, die zweibändige Geschichte der Hexenprozesse von W. G. Soldan und Heinrich Heppe, zuerst 1843 erschienen und noch 1969 von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in einem unveränderten Nachdruck der 3. Auflage von 1912 wieder vorgelegt.[4] Aber auch das Grundlagenwerk von Julio Caro Baroja[5] wird man vergeblich suchen; von neueren Veröffentlichungen fehlt der überaus materialreiche Sammelband von Richard van Dülmen (1987).[6] Merkwürdig scheint auch die Randstellung, die die Autoren Will-Erich Peuckert einräumen, der sich nach eigener Bekundung dreißig Jahre lang mit dem Hexenwesen auseinandergesetzt hat: als volkskundlicher Dozent und Sachverständiger, als Teilnehmer an schlesischen und niedersächsischen Hexenprozessen, in der Aufarbeitung der theoretischen Implikationen, in der umstrittenen praktischen Erprobung mittelalterlicher Hexenrezepte. Sein Oeuvre ist allerdings umfangreich und etwas schwer zu erschließen; die Bandinis nennen Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters von 1942, das kein eigenes Hexenkapitel enthält, während Titel, in denen Peuckert sich im Zusammenhang zu unserem Thema äußert, nicht angeführt werden.[7]

Die Artikel folgen der ausgewerteten Literatur und sind entsprechend ungleich in ihrer Qualität. Der Artikel Märchenhexen faßt zum Beispiel auf einer Seite aphoristisch einige Eigenschaften von Hexen aus den Grimmschen Märchen zusammen, ohne die Problematik der Provenienz in gerade dieser Sammlung zu berücksichtigen, und gerät deshalb auf die von Heinrich Jung-Stilling als literarische Figur erfundene und von den Brüdern Grimm übernommene Hexe in Jorinde und Joringel, die nicht zur typischen Märchenhexe taugen kann.[8] Der Artikel Faust befaßt sich entgegen unserer Erwartung nicht mit dem in zahllosen mündlich und literarisch tradierten Varianten überlieferten Hexenmeister dieses Namens, sondern bietet lediglich einige allgemeine Bemerkungen in Anlehnung an die Anfang der achtziger Jahre zum Bestseller gewordene Goethe-Interpretation Albrecht Schönes.[9]

Material- und aufschlußreich sind hingegen die Brauchtums- und Dingartikel sowie die zusammenfassenden grundsätzlichen Darstellungen. In ihnen wird auch auf den Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie hingewiesen und zwischen der bösen Hexe und der guten Zauberfrau unterschieden. Der begrenzte Umfang des Werkes verbietet oft die strikte Trennung von autochthoner Überlieferung, ethnologischer Parallele und literarischer Erfindung, die gerade bei diesem Thema hilfreich sein kann. Vielleicht sind den Autoren derlei Abgrenzungen aber auch nicht so wichtig.

In seiner Gesamtheit kann das hier zusammengestellte Material einen guten Eindruck von den Ergebnissen der Hexenforschung unter brauchtümlichen und historischen Gesichtspunkten vermitteln. Zu bedauern ist der Verzicht auf die Darstellung des gegenwärtigen Hexenwesens, besonders mit Blick auf den im Vorwort deutlich gemachten humanistischen Standpunkt der Autoren. Auch die Einbeziehung medienvolkskundlicher Aspekte würde den Band aufwerten. Insbesondere der Hexenfilm könnte in der hier beschriebenen Grauzone zwischen realer und virtueller Wirklichkeit zu weiteren Erkenntnissen führen. Filme wie Die Hexen von Salem (Frankreich/DDR 1957) oder Die Hexen von Eastwick (USA 1987) sind als öffentlicher Bewußtseinsinhalt gewiß eher präsent als die Kenntnis von der zauberischen Wirkung des Spuckens (S. 185) oder der apotropäischen Kraft der Unruhe, dem Mobile am Kinderbett (S. 204).

Man wird, unbeschadet der unbestreitbaren Vorzüge in der Zusammenstellung des Materials und der Art der Darstellung, denselben Vorbehalt wie gegenüber dem Kleinen Lexikon des Aberglaubens machen müssen: auch hier gewinnt der Leser den unzutreffenden Eindruck von der Volkskunde als einer antiquarisch orientierten und dem Kuriosen zuneigenden Wissenschaft und muß auf die Ergebnisse der neueren Forschung weitgehend verzichten.

Willi Höfig


[1]
Simplicius Simplicissimus / Franz Fühmann. // In: [Werke] / Franz Fühmann. - Rostock. - Bd. 8 (1993), S. 7 - 178, hier S. 80. (zurück)
[2]
Suche mit der Suchmaschine Google und Usenet-Recherche über usenet.com am 24. Mai 2001. (zurück)
[3]
Zu ergänzende Literatur: Gilles de Rais / Georges Bataille. - 4. Aufl. - Hamburg [vielm. Vastorf] : Merlin, 1984. (zurück)
[4]
Daß das Frontispiz bei Bandini und Soldan/Heppe identisch ist - eines der Hexengemälde von Hans Baldung-Grien aus den Städelschen Sammlungen -, mag Zufall sein. (zurück)
[5]
Las brujas y su mundo / Julio Caro Baroja. - 1961. - Deutsch u.d.T. Die Hexen und ihre Welt. - Stuttgart, 1967. (zurück)
[6]
Hexenwelten : Magie und Imagination vom 16. - 20. Jahrhundert / Richard van Dülmen (Hg.). - Frankfurt am Main : Fischer Taschenbuch-Verlag, 1987. - (Fischer-Taschenbücher ; 4375). (zurück)
[7]
Etwa Geheimkulte (Heidelberg 1951) und die Einleitung sowie das Ergänzende Kapitel über das deutsche Hexenwesen in Baroja (s.o.); ergiebiger als Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters wäre Die große Wende (Hamburg 1948; Neudr. Darmstadt 1966). Deutscher Volksglaube ... wurde denn auch lediglich für den Artikel Mahr/Mahrt herangezogen. (zurück)
[8]
Vgl. den Artikel Jorinde und Joringel von Hans-Jörg Uther in der Enzyklopädie des Märchens, Bd. 7 (1993), Sp. 632 - 635. (zurück)
[9]
Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult / Albrecht Schöne. - München, 1982. - Die Faust-Literatur mit und ohne Bezug auf Goethe ist unübersehbar. In unserem Zusammenhang immer noch nützlich: Faust in der Geschichte und Tradition / Carl Kiesewetter. - Neudruck der Ausg. 1893. - Osnabrück : Kuballe, 1983, sowie The fortunes of Faust / E. M. Butler. - Cambridge : Cambridge University Press, 1952. (zurück)

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