Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Theories of myth


01-2-397
Theories of myth : an annotated bibliography / Thomas J. Sienkewicz. - Lanham, Md. ; London : Scarecrow Press ; Pasadena, Calif. [u.a.] : Salem Press, 1997. - XI, 227 S. ; 22 cm. - (Magill bibliographies). - ISBN 0-8108-3388-3 : $ 32.00
[5307]

Die vorliegende annotierte Bibliographie zur Theorie des Mythos widmet sich den vielfältigen "theoretical approaches to the interpretation of traditional stories, legends, tales, and sagas from around the world" (S. 7), die sich mit "gods, heroes, and the origin of the universe" (S. 4) befassen, den "major patterns and problems of myth interpretation" (S. 2). Sie schließt also auch die Theorie weiterer Gattungen wie der folktales und Märchen (häufig: Cinderella) ein. Der Verfasser scheint moderne Adaptationen von Mythen ebenso wie Mythen des Alltags und der Massenmedien ausschließen zu wollen (S. 2 - 3), doch zeigt sich in den Annotationen, daß diese - und sei es nur im Vergleich mit traditionellen Mythen - auch vertreten sind (Beispiele: American football, S. 20; John Barth, S. 133; Ingmar Bergman, S. 150; Albert Camus, S. 130; Huckleberry Finn, S. 39; Nazism, S. 116). Als Leser angesprochen sind "the college undergraduate, the advanced high school student", "the general reader" (S. 1) und "the beginning student of myth theory" (S. 2).

Die Bibliographie - ein Pendant zu des Verfassers Band World mythology,[1] der dem Rezensenten nicht zur Verfügung stand - ist in sieben, chapters genannte Bereiche aufgeteilt: General Studies (S. 13 - 38: general surveys of theories of myth, S. 7, unter problematischem Ausschluß der als unwissenschaftlich erachteteten allegorischen Interpretationen, S. 6); The Meaning of Myth (S. 39 - 58, mit einem Schwerpunkt auf Definitionen des Mythos); Comparative Mythology (S. 59 - 105), Myth and Anthropology (S. 106 - 129, auch mit einem Schwerpunkt auf ethnographischer Literatur); Myth and Psychology (S. 130 - 160), Myth, Religion, and Cult (S. 161 - 177) und The Structural Study of Myth (S. 178 - 197), letztere, wie nicht anders zu erwarten, vor allem Literatur von und zu Claude Lévi-Strauss anführend. Mag der zugreifende Pragmatismus einer solchen Grobgliederung auf den ersten Blick hin auch gefallen, angesichts des hohen trans- und interdisziplinären Anspruchs einer Theorie des Mythos ist eine solche Einteilung jedoch höchst problematisch und im Einzelfall auch nur schwer nachvollziehbar. Warum wird beispielsweise der zweite Band von Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen ausgerechnet dem Kapitel Myth and Psychology zugeordnet (S. 136)? Und nicht nur die Schriften von Cassirer, auch die anderer Autoren wie z.B. Mircea Eliades werden verschiedenen Bereichen zugewiesen und sind somit über das Buch verstreut: Inhaltlich Benachbartes wird auseinandergerissen, wenn beispielsweise Eliades The sacred and the profane : the nature of religions (19599 der Sektion Myth and Psychology (S. 138), die mit dieser Studie eng verwandte Publikation Images and symbols : studies in religious symbolism (1961) hingegen der Sektion Myth, Religion, and Cult (S. 163 - 164) zugeordnet wird. Manche Titel werden zweifach aufgeführt, so Robert Graves' Suche nach der weißen Göttin, The white goddess, die - mit unterschiedlich akzentuierten Annotationen - sowohl der Sparte Myth and Anthropology (S. 116) als auch der Sparte Myth, Religion, and Cult (S. 167) zugewiesen wird.

Die Bibliographie verzeichnet Monographien, Zeitschriftenaufsätze sowie Beiträge zu Sammelwerken (letztere ohne Angabe der Seitenzahlen). Der Band versammelt wichtige Theoretiker des Mythos wie Roland Barthes, Marcel Detienne, Georges Dumézil, Mircea Eliade, James George Frazer, Algirdas Julien Greimas, Karl Kerényi, Bronislaw Malinowski oder Vladimir Ja. Propp und führt gerne auch einführende (didaktische) Literatur und college textbooks auf (z.B. S. 15, 17). Unter den deutschsprachigen Autoren finden sich Rudolf Bultmann, Walter Burkert, Max Lüthi, Walter Friedrich Otto, Lutz Röhrich, Heinz Rölleke und Walter Scherf. Leider fehlen jedoch wegweisende deutschsprachige Theoretiker des Mythos wie z. B. der Kulturwissenschaftler Aby M. Warburg oder der Philosoph Hans Blumenberg, der durch zahlreiche Übersetzungen inzwischen auch im englischsprachigen Kulturraum präsent ist.[2] Auch die deutschsprachige Naturmythologie des 19. Jahrhunderts - so wichtig für die Entwicklung der comparative mythology - ist nur spärlich vertreten (Wilhelm Mannhardt und Friedrich Leberecht Wilhelm Schwartz werden nur kurz in Annotierungen erwähnt, S. 24, 101). Das romantische Programm einer 'Neuen Mythologie' bleibt unberücksichtigt. Im übrigen sind nicht-englischsprachige Autoren bestenfalls aufgeführt, wenn eine Übersetzung ins Englische vorliegt (S. 1). Auch gleichsam warnende Einschränkungen wie "Some untranslated quotation in German" (S. 33) zeugen von einem deutlichen Anglozentrismus.

Fast immer ist eine annotierte Bibliographie einer reinen Titelbibliographie vorzuziehen. Und auch im vorliegenden Fall enthalten die Annotierungen zahlreiche nützliche Hinweise, die bei der Entscheidung, ob man ein bestimmtes Buch konsultieren will, helfen können. Daß die Annotierungen oftmals dann, wenn sie einzelne Mythen und Ethnien (z.B. Bororo, S. 23) zum Gegenstand haben, hilfreicher sind, als wenn sie theoretische Prämissen, methodische Ansätze, Zugriffe und Perspektiven kommentieren, ist verständlich, bei einer Bibliographie, die der Mythentheorie gewidmet ist, aber um so bedauerlicher. Leider, aber nicht überraschend, versagen die Annotationen, wenn in nur wenigen Zeilen Hauptwerke der Philosophie kommentiert werden sollen. Man vergleiche beispielsweise A. Honneths - die philosophischen Grundzüge herausstellende - Würdigung von Claude Lévi-Strauss' La pensée sauvage (1962) im Lexikon der philosophischen Werke[3] mit der Annotation dieses Werkes bei Sienkewicz, die enumerativ Themen ("totem, caste, elements, species, numbers, individuals, time, and history") und Ethnien ("the Hidatsa, Navajo, Osage, and Pima of North America, the Murngin of Australia, the Yoruba of Africa", S. 189) wiedergibt. Ebenso geben die Annotationen Hinweise auf die wissenschaftliche Provenienz und/oder Status der Autoren (hilfreich: Angaben wie "theologically trained archaeologist", S. 104, oder "Egyptologist and professor of religion", S. 106; weniger aufschlußreich: "professor at the University of Texas", S. 92) und auf vorhandenes 'Beiwerk': Vorworte, Bibliographien, Anmerkungsapparate, Register, Glossare, Illustrationen, Tabellen, Tafeln, Karten. In einer Annotation wird Ernst Cassirer als "important Swedish philosopher" (S. 42), in einer anderen als "major German philosophical linguist" (S. 111) bezeichnet. Nicht ersichtlich ist, warum der Autor - zur Bezeichnung der gleichen Methode - zwischen structural (S. 32) und structuralist (S. 34) changiert.

Der Band enthält zwei Register, einen Author and Editor Index (S. 198 - 204) und ein Sachregister (S. 205 - 225), das nicht nur die Titel, sondern weitgehend auch die Annotationen erschließt. Spätestens bei der Nutzung des Registers wird deutlich, wie hilfreich eine Numerierung der einzelnen Eintragungen gewesen wäre. Das 'Bestiarium' der Mythologie ist im Register schlecht vertreten: Wir treffen hier nicht Tiere wie spider (S. 59, 96), wolf (S. 162; immerhin aber werewolves) oder horse (S. 92). Auch Pflanzen wie lotus und rose (beide S. 66) und Symbole wie circle (S. 49), food (S. 88) oder hair (S. 88) sowie gegenüber den Mythos abzugrenzende Gattungen wie fairy tale (S. 40), folktale (S. 49, 71) oder legend (S. 40) fehlen im Register. Theoretische Konzepte, sofern sie in den Annotationen hinreichend vermittelt werden, sind im Sachregister nur unzureichend vertreten (Beispiele: causality, S. 117; changeability, S. 106; conflict-resolution, S. 139; contradictions, S. 146; demythologization, S. 47; nonlinear, S. 40; organic, S. 103; plasticity, S. 115; secularization, S. 67, 164; spatial problems, S. 112; universality, S. 48; immerhin sind aber Begriffe wie aetiology oder euhemerism vertreten).

Der Band ist nicht befriedigend redigiert[4] und insbesondere nicht-englischsprachige Namen werden nicht selten falsch geschrieben.[5]

Angesichts äußerter Vorbehalte - insbesondere hinsichtlich des Adressatenkreises, der erfaßten Autoren sowie der Qualität der Annotationen wie der Redaktion - wird eine Anschaffung des Bandes für wissenschaftliche Bibliotheken hierzulande nicht empfohlen.

Werner Bies


[1]
World mythology : an annotated guide to collections and anthologies / Thomas J. Sienkewicz. - Lanham, Md. ; London : Scarecrow Press ; Pasadena, Calif. [u.a.] : Salem Press, 1996. - IX, 469 S. - (Magill bibliographies). - ISBN 0-8108-3154-6 : $ 49.50. (zurück)
[2]
The legitimacy of the modern age (1983), Work on myth (1985), The genesis of the Copernican world (1987), Shipwreck with spectator : paradigm of a metaphor for existence (1997). (zurück)
[3]
Lexikon der philosophischen Werke / hrsg. von Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin. - Stuttgart : Kröner, 1988. - XVI, 863 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 486). - ISBN 3-520-48601-6 : DM 48.00. - Rez.: ABUN in ZfBB 35 (1988),3, S. 275 - 276. - Der Artikel auf S. 500. (zurück)
[4]
Lies anthropologist statt anthopologist (S. 178); bibliography statt bibliogrpahy (S. 196); Literatursoziologie statt Literatursociologie (S. 118); Prolegomenon statt Prologomenon (S. 165). (zurück)
[5]
Lies Detienne, Marcel statt Détienne, Marcel (S. 18, 43, 107, 181), Greimas, Algirdas Julien statt Greimas, Algirdas Julian (S. 181); Immanuel Kant statt Emmanuel Kant (S. 67); Scherf statt Scheft (S. 125). (zurück)

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