Die Zählung nach getrennten Berichts- und Erscheinungsjahren, die für die Jg. 1. 1978 (1980) bis 9. 1986 (1988) galt, wurde mit Jg. 10 (1989) zugunsten der Zählung allein nach dem Erscheinungsjahr der Bibliographie aufgegeben, was jedoch nur einer Sanktionierung der von Anfang an geübten Praxis entsprach, da es nie ein eigentliches Berichtsjahr gab, sondern immer die Titel angezeigt wurden, die den Bearbeitern bis zum Redaktionsschluß bekannt wurden; die Nennung eines Berichtsjahres war auch deswegen problematisch, weil stets eine große Zahl z.T. vor Jahren erschienener Titel immer dann wieder angezeigt wurde, wenn Rezensionen dazu erschienen.
Was den objektiven Berichtszeitraum betrifft, so war dieser am Anfang mit den Jahrhunderten von 500 bis 1300 umschrieben. In Wirklichkeit wurde das Endjahr häufig überschritten, da in den einzelnen europäischen Ländern die Grenze zwischen Mittelalter und Humanismus sehr unterschiedlich anzusetzen ist und sich allenfalls in Italien einigermaßen klar beim Jahr 1300 ziehen läßt. Zur Verdeutlichung dieser Praxis wurde mit dem neuesten Band der Zusatz zum Sachtitel von ursprünglich "dal secolo V al XIII" in "dal secolo V al XIV" geändert, was aber auch wiederum nicht völlig der Praxis entspricht, da lt. Vorwort die Zeit von ca. 475 bis ca. 1350 behandelt wird. Diese Jahre erklären sich aus der Abgrenzung zu den beiden anderen Epochenbibliographien, der Année philologique einerseits, die die Zeit bis zum Ende des weströmischen Reiches behandelt und der Bibliographie de l'humanisme et de la renaissance andererseits, die ihren Schwerpunkt beim 15. und 16. Jahrhundert hat, jedoch - wiederum in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Epochisierung in den einzelnen Ländern - bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zurück- oder gar bis ins 17. Jahrhundert vorausgreift.
Die materielle Grundlage von Medioevo latino bildet die laufende Auswertung von derzeit 258 Zeitschriften. In Anbetracht der durch die Sache bedingten, nach Herkunftsländern und Disziplinen breit gestreuten Quellen, in denen einschlägige Arbeiten veröffentlicht werden, ist die Redaktion jedoch auf die Zusendung von Sonderdrucken angewiesen, was von den Forschern auch in beträchtlichem Maße praktiziert wird und worin sich auch die Hochschätzung dieser Bibliographie bei ihren Benutzern spiegelt. Eine Verbreiterung der materiellen Basis ist jetzt durch einen vom Consiglio Nazionale delle Ricerche geförderen Online-Verbund zwischen den drei wichtigsten italienischen Institutionen der Mittelalterforschung zu erwarten, der Societ… Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino in Florenz, dem Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo in Spoleto und dem Istituto Storico Italiano per il Medio Evo in Rom, das die Quellen zur mittelalterlichen Geschichte Italiens ediert. Der neueste Jahrgang wurde als Folge des Aufbaus einer Datenbank mit dem Namen Medioevo Europa bereits mit Hilfe der EDV erstellt, und es ist auch geplant, die Titel der Bd. 1 - 12 nachträglich in diese Datenbank einzubringen.
Da die Verwendung des Lateinischen primäres Aufnahmekriterium für die Bibliographie darstellt (von Dante z.B. sind also nur die lateinischen Werke berücksichtigt) und die Verwendung der lateinischen Sprache in allen Bereichen vorherrscht, deckt diese Bibliographie ein breites fachliches Spektrum ab, was sich an der folgenden selektiven Inhaltsübersicht ablesen läßt, die zugleich die gegenüber den früheren Bänden eingetretenen Veränderungen in der Anlage deutlich macht. I. Autoren und Denkmäler in einem Alphabet; II. Fortleben antiker heidnischer und christlicher Autoren und Denkmäler im Mittelalter; III. Sachteil mit Abschnitten für 1. einzelne Disziplinen (z.B. Arithmetik, Philosophie und Theologie, Medizin, Musik, Naturwissenschaften); 2. Sprach- und Literaturwissenschaft; 3. literarische Gattungen (z.B. Hagiographie, Epistolographie, Liturgie, Theater, politische Traktate); 4. Institutionen (z.B. mittelalterliche Bibliotheken, Konzilien, Schulen und Universitäten, Papsttum); 5. Kultur- und Geistesgeschichte; 6. Geschichte der Mediävistik; IV. Nachschlagewerke, unterteilt nach einzelnen Typen; V. Kongreßveröffentlichungen und sonstige Sammelschriften, darunter Festschriften. Der geprüfte Jahrgang enthält 6931 durchnumerierte Haupteintragungen, was aber einer wesentlich höheren Zahl von Eintragungen entspricht, da unter den zahlreichen in einem Aufsatz oder einer Monographie behandelten Einzelaspekten Verweisungen gemacht werden, so z.B. unter den behandelten Autoren und Denkmälern.
Register: 1. der Handschriften nach Aufbewahrungsort; 2. der behandelten Begriffe; 3. der behandelten Geographica, 4. der Verfasser von Sekundärliteratur.
Obwohl im Dezember 1990 in der Certosa del Galuzzo, dem Sitz der
Societ… Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino in Florenz,
ein internationales Treffen von Vertretern von Institutionen der
Mittelalterforschung einerseits und von Bearbeitern einiger, aber
leider nicht aller Mittelalter-Bibliographien[1] andererseits stattfand,
das sich mit Problemen der Mittelalter-Bibliographien allgemein und
mit der Zusammenarbeit zwischen ihnen im besonderen beschäftigte,
wobei letztere sinnvollerweise auch zu einer Abstimmung der Inhalte
führen sollte. Das hinderte den Vertreter des Institut de Recherche et
d'Histoire des Textes in Paris jedoch nicht, ein neues, nicht in
Abstimmung mit den bestehenden Bibliographien konzipiertes Unternehmen
anzukündigen, dessen erster Band Ende 1991 unter dem Titel
Bibliographie annuelle du moyen-ƒge tardif erschienen ist. Abgesehen
von der ebenso anmaßenden wie falschen Behauptung einer "absence
d'instruments bibliographiques" (S. 5) für die zweieinhalb
Jahrhunderte von 1250 - 1500 sind die Versuche, die die neue
Bibliographie im Vorwort (S. 6) unternimmt, um ihre
Existenzberechtigung durch Abgrenzung von den anderen konkurrierenden
Bibliographien zu rechtfertigen, alles andere als überzeugend. So ist
von der angeblich besonderen Schnelligkeit der Berichterstattung
nichts zu merken, selbst wenn der erste und auch der zweite Jahrgang
nach Aussage des Vorworts deswegen mehr alte Titel nachträglich
anzeigt, weil die Bibliographie als laufende Fortsetzung des früher in
Zettelform geführten und 1987 auf Mikrofiche veröffentlichten
Répertoire bio-bibliographique des auteurs latins, patristiques et
médiévaux[2] konzipiert ist; das Versprechen des raschen Erscheinens
jeweils zum Jahresende mit den der Redaktion im zweiten Halbjahr des
vorausgehenden und in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres
bekanntgewordenen Arbeiten konnte bereits für den zweiten Jahrgang
nicht eingehalten werden, der bis Anfang März 1993 noch immer nicht
vorlag. Das als besonderer Vorzug gepriesene Prinzip der Verzeichnung
nach Autopsie (im Gegensatz zu den zahlreichen in Medioevo latino nur
auf Grund von Rezensionen verzeichneten Monographien) ist gleichfalls
nicht ins Auge fallend, da das Balkenkreuz, das eine auf Autopsie des
Titels beruhende Annotation einleitet, insgesamt eher selten begegnet;
gegen die Annahme, daß den Bearbeitern die Quellen auf Grund der
Institutsbestände in großer Zahl zur autoptischen Bearbeitung
reichlich flössen, spricht auch der Aufruf des Vorworts an alle
Verfasser von Sekundärliteratur, ihre Arbeiten kostenlos an das
Institut zu schicken. Was die Zahl der Titel betrifft, so erscheint
diese auf den ersten Blick mit 3055 sehr hoch, doch sind im Gegensatz
zu Medioevo latino auch alle Mehrfacheintragungen (die hier anstatt
Verweisungen stehen) mit eigener Nummer versehen und deren Zahl ist
beträchtlich.
Das hängt mit der Anlage der Bibliographie zusammen, deren Hauptteil
aus einem typographisch nicht genügend differenzierten Alphabet der
zumeist mittelalterlichen Autoren, Denkmäler und einiger
Sammeleintragungen (z.B. Concilium Basiliense, Sermo, Sermones)
besteht, wobei die Ansetzung der Personen ohne Rücksicht auf die
eingebürgerte Namensform grundsätzlich in der lateinischen oder
latinisierten Form und unter dem Vornamen erfolgt (also Franciscus
Petrarca, Martinus Opitz[3], Willibaldus Pirckheimer) ohne daß sich die
Bearbeiter die Mühe machen, von den bekannten Namensformen zu
verweisen; Verweisungen fehlen im Gegensatz zu Medioevo latino auch
von den häufig abweichenden Namensformen mittelalterlicher Autoren.
Unter jeder dieser Personen finden sich dann Eintragungen mit vollen
bibliographischen Angaben derjenigen Arbeiten, in denen sie erwähnt
oder behandelt werden: so wird z.B. die 1990 bei DTV erschienene
deutsche Übersetzung von Kantorowicz's The king's two bodies (Die zwei
Körper des Königs) nicht weniger als 22mal aufgeführt.[4] Des weiteren
handelt es sich bei einer sehr hohen Zahl von Zitaten um nichts
anderes als um die Fundstellen von Handschriften in den auf S. 10 - 11
aufgeführten 15 Handschriftenkatalogen, deren Auswahl jedoch eher
willkürlich erscheint, von der Tatsache ganz abgesehen, daß etwa die
neueren Bände von Kristellers Iter Italicum allein wegen der großen
Masse der dort enthaltenen Nachweise nicht ausgewertet wurden. So
nützlich eine derartige Indexierung von Handschriftenkatalogen und
verwandten Publikationen auch sein mag, vor allem wenn sie -
allerdings nur für anonyme und durch Seltenheit auffällige Texte (so
das Vorwort auf S. 7) auch Textanfänge und -enden aufführt und über
Register erschließt - so wäre diese Funktion besser mit einem
separaten, in Mikroficheform oder auf CD-ROM laufend kumulierenden
Index zu erreichen, statt in einer klassischen Bibliographie. Zieht
man die vielen Mehrfacheintragungen und die zahlreichen Indexeinträge
von der Gesamtzahl der Nummern ab, so dürften nicht allzuviele Titel
übrigbleiben, die eine eigene neue Bibliographie rechtfertigten, zumal
unter diesen, ohne daß der Rezensent meint, das extra nachprüfen zu
müssen, nicht allzuviele sein dürften, die nicht auch in Medioevo
latino zu finden sind. Außer den beiden erwähnten Registern der
Incipits und der Textenden gibt es ein solches der Handschriften nach
Aufbewahrungsorten (mit Ausnahme der in den ausgewerteten
Handschriftenkatalogen verzeichneten) sowie eines der Verfasser von
Sekundärliteratur. Daß die Form der Verzeichnung wenig übersichtlich
ist und die Benutzungsanleitung nur als Zumutung bezeichnet werden
kann, sei wenigstens erwähnt.
Schlecht konzipierte Bibliographie, die sich in Abstimmung mit den
anderen einschlägigen Bibliographien auf ihre Indexfunktion
beschränken und diese in geeigneterer Form wahrnehmen sollte.
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