Doch ist es eine Bibliotheksgeschichte eigener Art. Sie zerfällt in 34
Einzel- und weitere eingestreute "Beschreibungen", besser Textauszüge,
umspannend einen Zeitraum von gut drei Jahrhunderten (1590 - 1906),
wobei dem 19. Jahrhundert der Löwenanteil zugebilligt ist. Jedem der
ausgewählten, auch fremdsprachigen und mitunter amüsanten Beiträge -
längere Reiseberichte oder Stadtbeschreibungen, kürzere Reise-, Kunst-
oder Bibliotheksführer, auch Zeitungsartikel, Reglements und gar ein
Carmen - folgt eine sachkundige Kommentierung. Diese begnügt sich nun
nicht mit einer bloßen Erklärung oder Korrektur
interpretationsbedürftiger Einzelheiten. Sie holt vielmehr oft weit
aus, indem sie allgemein- und bibliothekshistorische Zusammenhänge
herstellt, mitgeteilte Ereignisse und zumal erwähnte Bibliothekare
näher charakterisiert.[2] So entsteht ein wenn auch locker geknüpfter
Leitfaden zur Geschichte der BSB, die immerhin 100 Jahre älter ist als
ihr Berliner Schwesterinstitut und überdies stolz auf den derzeit
"höchsten Erwerbungsetat" einer deutschen Bibliothek (S. 201)
hinweisen kann. Eigens hervorzuheben sind die Beigaben: 16 herrliche
Farbtafeln und ebensoviele Schwarzweißabbildungen vom Haus und seinen
Schätzen, eine ausführliche annotierende Sekundärbibliographie, das
genaue Titel- und Signaturenverzeichnis der im Text angesprochenen
Zimelien sowie ein zuverlässiges biographisches und Sachregister; sie
verleihen dem Buch zugleich den Charakter eines Nachschlagewerkes.
Neben gängigen Daten zur Organisation und Verwaltung, zu den
Beständen, besonders den zahlreich aufgeführten Zimelien und leitenden
Bibliothekaren (aufschlußreich immer wieder die Bemerkungen, die
Schmeller seinem Tagebuch anvertraut hat, besonders S. 173), findet
man hier Hinweise auf die Einwirkungen der großen Politik, sowohl die
negativen (Dreißigjähriger Krieg) wie die für die BSB positiven
(Säkularisation nach 1800). Auch die nach "Klassen" getrennte
alphabetische Bücheraufstellung, wie sie das ganze 19. Jahrhundert
hindurch beibehalten wurde, wird registriert und kritisiert - "ein
wahrer Ausweg der Verzweiflung" sagt Friedrich Jacobs 1807 (S. 92,
133). Und es fehlt natürlich nicht der vielgerühmte Gärtner-Bau an der
Ludwigstraße (S. 127 ff.). Doch erfährt das 1832 - 1843 errichtete
Gebäude auch manchen Tadel; so sei der Lesesaal zu klein geraten und
schlecht placiert (S. 199 f.) und der "darmartige" Grundriß ungünstig
und zu teuer - weil es "der König so will" (Schmeller, S. 130 f.).
Andere Kritik wird laut an Kurfürst Maximilian I., der die
Heidelberger Manuskripte von München hat nach Rom wegziehen lassen (S.
103), an der mangelnden Fürsorge des bayerischen Hofes für die
Wissenschaft im 18. Jahrhundert (S. 33), der Vernachlässigung der
Neuerscheinungen um und nach 1800 sowie an einer allzu sorglosen
"Dublettenverwertung" im 19. Jahrhundert (S. 116, 166).
Insgesamt aber verkündet das Buch, wie kann es anders sein, den Ruhm
der Kunststadt München, einmal sogar zur "heimlichen Hauptstadt
Deutschlands" erhoben (S. 193), und ihrer zentralen wissenschaftlichen
Bibliothek. Es ruft den Wunsch wach nach einer voll ausgeführten
modernen Gesamtgeschichte des Hauses. Eine Aufgabe für den nunmehrigen
"Ruheständler"?
Werner Schochow
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