Mit dem ersten Jg. 1989 (1990) der Hellenike ethnike bibliographia[3] ist die Aufgabe der Verzeichnung des griechischen Schrifttums nun endlich von der Nationalbibliothek Griechenlands übernommen worden. Das von P. Nikolopulos, dem Direktor der Bibliothek, verfaßte Vorwort geht auf die Frage einer eventuellen Schließung der Berichtslücken zu den Vorgängern, die nur knapp in zwei Zeilen erwähnt werden, nicht ein. Auch ein kürzerer Erscheinungsrhythmus der Bibliographie oder die Kumulation des Materials zu größeren Berichtszeiträumen werden nicht in Aussicht gestellt.
Der Umfang der HEB ist von 3408 über ein Tief von 3255 auf 4075 laufend numerierte Eintragungen gestiegen. Die Anlage ist in der ursprünglich gewählten Form beibehalten worden, mit einer Ausnahme: die Titel sind 1991 in einem eigenen Register zusammengefaßt. Die Struktur der Bibliographie wirkt überzeugend. Jeder verzeichnete Titel ist von jedem denkbaren Rechercheansatz her zu ermitteln. Die bibliographische Beschreibung der Titel läßt keine Wünsche offen. Preisangaben fehlen leider. An gewisse Eigenheiten im Detail wird man sich gewöhnen können, an die Ordnungsfunktion des einleitenden Artikels im Stichwortregister z.B. oder an die Behandlung von Zahlen, die nicht alphabetisiert dem Alphabet vorangestellt werden. Mehr Einheitlichkeit wünschte man sich bei solchen Namen und Titeln, die aus dem kyrillischen Alphabet übernommen wurden.
Der Inhalt der HEB wird im Vorwort vage mit Büchern und Broschüren angegeben. Was damit ausgegrenzt bleibt, braucht im einzelnen nicht aufgeführt zu werden. Bedauerlich vor allem das Fehlen der Zeitschriften, denen in Griechenland eine besondere Bedeutung zukommt. Mit 16 Amtsdruckschriften für 1991 ist diese Schriftenklasse auf jeden Fall unterrepräsentiert, auch nicht im Buchhandel erschienene Dissertationen begegnen selten außer bei den Naturwissenschaften. Zwei über das Stichwortregister zu ermittelnde Karten zeigen, daß das Konzept zur Frage des Inhalts noch Entwicklungen zuläßt, die o.a. Einschränkung eher als eine Schutzbehauptung gegen überzogene Ansprüche denn als die Mitarbeiter bindende Norm zu interpretieren ist.
Kollaros, eine der führenden Buchhandlungen Athens, gibt viermal im Jahr für seine Kunden einen Verkaufskatalog Nea Biblia heraus. In der Nr. 57 (Jan./März 1989) sind für die Metaphysik und Parapsychologie 21 Werke aufgeführt, von denen die HEB 1989 0, 1990 4 und 1991 0 Titel verzeichnet, insgesamt also bisher weniger als 20%. Auch wenn die Ergebnisse in anderen Bereichen günstiger ausfallen (Theologie 50%, Politik 55%, Dichtung fast 75%), die Hauptschwäche der griechischen Nationalbibliographie liegt ganz offensichtlich in ihrer materiellen Unvollständigkeit.
Als Jahresverzeichnis ist die HEB für die Literaturkontrolle völlig ungeeignet, auch wenn für die Berichtsjahre 1990 und 1991 jeweils ein Halbjahresband vorausgeschickt wurde, der ohnehin wieder wegfallen dürfte, sobald die HEB sich Marktbedingungen zu stellen hat. Wenn auch die Mehrjahresverzeichnisse ausbleiben und sogar Verkaufskataloge von Buchhandlungen weiterhin mehr Titel anbieten als die Nationalbibliographie, werden sich die Verantwortlichen der HEB über kurz oder lang der Frage der Funktion ihres Verzeichnisses zu stellen haben.
International ist immer wieder Druck auf Griechenland ausgeübt worden, endlich das Schrifttum des Landes zu verzeichnen, und selbstverständlich haben die Griechen sich selbst unter Druck gesetzt, wenn sie bei ihren Nachbarn in Albanien (seit 1958) oder in der Türkei (seit 1939) deren in erstaunlicher Regelmäßigkeit vorgelegte Nationalbibliographien bewundern konnten. Das Desinteresse der zuständigen staatlichen Stellen, ein zentralistisch ausgerichtetes Unterrichtssystem, das die Lektüre von der ersten Volksschulklasse bis zum Staatsexamen vorschreibt, die entsprechende Literatur zur Verfügung stellt und bibliographische Recherchen damit überflüssig macht, ein wenig beachtetes Pflichtexemplargesetz und eine Bibliothekslandschaft, in der die herausragenden Beispiele Museen mit guten Altbeständen oder interessanten Sondersammlungen sind, die Bibliothek als Dienstleistungsbetrieb aber erst noch entdeckt werden muß, erschweren den Verantwortlichen der HEB ihre Aufgabe. Trotz aller Lichtblicke im formalen Bereich wird man die Leistungen der HEB nicht positiver zusammenfassen können als zu der Feststellung: Sie ist die beste periodische Nationalbibliographie, die Griechenland je hatte, mehr leider noch nicht.
Zur Erleichterung der Benutzung der HEB hat die griechische Nationalbibliothek inzwischen zwei Hilfsmittel veröffentlicht, 1991 den Katalogos hellenikon thematikon Epikephalidon mit den in Anlehnung an die subject headings der Library of Congress gebildeten Schlagwörtern für die von 1978 bis 1990 in die Bibliothek eingegangenen Bücher sowie 1992 den Katalogos kathieromenon onomaton physikon prosopon, in dem die verbindlichen Ansetzungen von Personennamen vorgelegt werden. Dieses Werk sollte jede deutsche Bibliothek besitzen, die es in größerem Umfang mit neugriechischer Literatur zu tun hat, bereitet doch die Ermittlung der korrekten Nominativ-Form deklinierter Namen erhebliche Schwierigkeiten, die griechischer Autorinnen oft unüberwindliche.
Finanziert vom griechischen Bildungsministerium und herausgegeben vom Verband Griechischer Verleger ist das vierteljährlich erscheinende Deltio hellenikes bibliographias (DHB)[4] als Handelsverzeichnis konzipiert, das Absatzchancen erhöhen und Informationen vermitteln soll. Der nach der DDC gegliederte Hauptteil wird durch ein Verfasser- und ein Titelregister erschlossen. Dazu kommt ein Verzeichnis der Verlage mit Adressen und Telephonnummern. Die griechischen Titel werden zusätzlich in lateinischer Transkription, ab Nr. 2 auch mit einer englischen Übersetzung angeboten.
Das DHB basiert auf den Pflichtexemplaren, die das griechische ISBN-Büro in der Nationalbibliothek zur Verfügung stellt. Es kann also nicht vollständiger als die griechische Nationalbibliographie sein und den Vorzug des kürzeren Erscheinungsrhythmus, der einen höheren Grad an Aktualität garantieren sollte, vermag der Konkurrent nach Belieben zu beeinflussen. Während die frühen Nummern des DHB das mit Nachdruck betonte Bemühen um kurze Berichtsfristen auch erkennen lassen, enthält Nr. 9 (1993,Apr./Juni) nur noch ca. 25% Titel des Berichtsjahres. Und für Nr. 10, falls sie denn unter einer neuen Regierung mit neuen Schwerpunkten in der Kulturpolitik wirklich noch erscheinen sollte, stellt sich die Frage der Aktualität nun natürlich gar nicht mehr. Nichts Neues also von der griechischen Bibliographien-Front.
Winfried Uellner