Diese ist nicht nur stark verändert worden, was erst bei genauem
Hinsehen auffällt, sie ist, wie man sofort erkennt, vor allem auch
beträchtlich erweitert worden, was man bereits an äußeren Merkmalen
ablesen kann: sieht man einmal vom Leineneinband ab, der das
Leinenimitat ersetzt, so fällt sowohl das etwas vergrößerte Format und
der dreistatt zweispaltige Satz auf als auch insbesondere die
Vermehrung der Gesamtbandzahl von sechs auf acht, was sich auch
bereits an den gleichzeitig erschienenen ersten drei Bänden der
Neuausgabe beim Vergleich mit denen der Vorauflage ablesen läßt:
erstere enden bei S. 1568 und gehen bis HEV, letztere hatten nur 1408
Seiten und reichten bereits bis KAL. Während die Werbung für die 1.
Aufl. mit ebenso eindrucksvollen wie letztlich nichtssagenden Zahlen
antrat ("mit über 500.000 Stichwörtern und Definitionen, mehr als 1
Million Angaben zu Aussprache, Herkunft, Grammatik, Stilschichten,
Fachsprachen, mit über 2 Millionen Beispielen aus der Literatur der
Gegenwart"), heißt es im Vorwort zur 2. Aufl. nur "mehr als 200.000
Stichwörter",[8] worunter wohl Lemmata zu verstehen sind und womit
dieses Wörterbuch gerade zwischen die beiden in der amerikanischen
Wörterbuchkritik üblicherweise verwendeten Größenklassen unabridged
bzw. abridged dictionary fällt.
Um den Unterschieden zwischen den beiden Auflagen auf die Spur zu
kommen, werden zunächst die einzelnen Punkte des ersten Abschnitts
Wortauswahl aus der Einleitung Anlage und Artikelaufbau verglichen:
"Das Wörterbuch will den Wortschatz der deutschen Gegenwartssprache
möglichst vollständig erfassen", "veraltetes Wortgut wurde nur in
beschränktem Maße aufgenommen, gewöhnlich dann, wenn es heute noch
scherzhaft-ironisch verwendet wird", "bestimmend für die Aufnahme von
Wörtern aus Fach- und Sondersprachen waren ihre Häufigkeit in der
gesprochenen Sprache und ihr Mitteilungswert"; während bis hierher
beide Auflagen übereinstimmen, berücksichtigte die 1. Aufl.
"Abkürzungen und Kurzwörter ... nur (dann), wenn sie wortartig
gebraucht werden", während jetzt ohne diese Einschränkung "auch
gängige Abkürzungen und Kurzwörter, ebenso wichtige geographische
Namen,[9] Namen von Institutionen und Organisationen, Stern-, Götter-,
Stammesnamen u.a." aufgenommen wurden. Darüber, was "wichtige" Namen
sind, wird man sicher verschiedener Meinung sein können und man hätte
gerne wenigstens ein paar erläuternde Worte über die Auswahlkriterien
erfahren, desgleichen eine Erklärung dafür, warum in beiden Auflagen
Vornamen (zumindest die "wichtigen") fehlen, deren Berücksichtigung
ein Wörterbuchbenutzer mindestens ebenso erwarten könnte (und die der
Brockhaus-Wahrig berücksichtigt). Beiden Auflagen ist wiederum
gemeinsam, daß "Personennamen, Warenzeichen und Kunstwörter nur dann
aufgenommen (wurden), wenn sie als Appelative ... oder wortartig
gebraucht werden", desgleichen die Nichtberücksichtigung der
"Verkleinerungsformen auf -chen". Neu und begrüßenswert ist dagegen,
daß die 2. Aufl. "auch die produktiven Wortbildungsmittel ..., z.B.
a-, super-, Traum-, -abel, -freundlich, -muffel" verzeichnet.
Diese zusätzlich berücksichtigten Wortarten können jedoch kaum für die
beträchtliche Umfangsvermehrung verantwortlich sein, die sich in der
höheren Seitenzahl (bei etwa identischer Zeichenzahl pro Seite)
niederschlägt. Es bietet sich daher an, zum Vergleich ein Beispiel für
ein "etymologisch zusammengehörendes 'Nest'"[10] abzudrucken und dafür
ein Wort aus der Fachsprache der Leser von IFB zu wählen. Zum
Vergleich wird in der dritten Spalte auch die entsprechende Eintragung
aus dem Duden "Deutsches Universalwörterbuch" (DudenUW)[11] reproduziert,
aus der ersichtlich wird, daß dieses bereits einige der Neuerungen der
2. Aufl. des DudenGW vorausnimmt.
DudenGW 1993 DudenGW 1976 DudenUW 1989
Beispiel derzeit nur in der Printform von IFB
Die Vermehrung ganz spezieller, auch im Bibliotheksalltag nicht
vorkommender Wörter ist dabei freilich ebenso vermerkenswert wie die
hohe Zahl der weiblichen Formen, die jetzt anscheinend - dem Zeitgeist
folgend - prinzipiell zusätzlich zu den männlichen nicht nur mit
eigenem Lemma, sondern, noch unnötiger, mit der stereotypen Formel "w.
Form zu ..." erklärt werden, wo doch ein Hinweis in der Einleitung
wie im Falle der Verkleinerungsformen in den allermeisten Fällen
vollauf genügt und dazu viel Platz gespart hätte; und die seltenen
Fälle, in denen männliche und weibliche Form identisch sind, hätte
man, wie jetzt schon, ausdrücklich erwähnen können (Bibliophage, der
und die). Platz kosten aber auch die redundanten Erklärungen wie die
bei Bibliotheksbeamter und -direktor, die nichts erklären, da man
trotzdem wissen muß, was ein Beamter bzw. ein Direktor ist und wenn
man es nicht weiß, muß man es sowieso unter diesen Lemmata
nachschlagen. Viel Platz hätte man auch mit der Ersetzung
gleichbleibender Wortteile durch eine Tilde sparen können, was noch
die 1. Aufl. praktizierte, und das ohne Nachteil für den Benutzer.
Obwohl sonst Besonderheiten des Wortschatzes, "die nur in einem Teil
des deutschen Sprachraumes üblich sind" (S. 20), vermerkt werden,
fehlt die im bayerisch-bibliothekarischen Sprachgebrauch eingebürgerte
Form Bibliotheksbenützer(in); sie findet sich jedoch, dazu mit einem
Beispiel aus dem Bibliotheksbereich, unter Benutzer, (südd. ...
meist:) Benützer ...: jmd., der etw. [leihweise] benutzt: die B.
werden gebeten, die Bücher schonend zu behandeln. Die Sanktionierung
von bibliographieren in der ersten Bedeutung fand sich schon in der 1.
Aufl.[12], während die ebenso wenig befriedigende Verwendung des Wortes
biographieren i.S. von in einem biographischen Nachschlagewerke
verzeichnen (dazu das Substantiv der / die Biographierte i.S. von die
in einem biographischen Nachschlagewerk verzeichnete Person männlichen
oder weiblichen Geschlechts) in allen genannten Wörterbüchern fehlt,
was aber bekanntlich die Verwendung nicht verhindern kann und wenn
diese nur oft genug belegt ist, wird sie auch Eingang in die
Wörterbücher finden.[13]
Daß "Wörter- und Verwendungsweisen, die erst in jüngster Zeit
aufgekommen sind" berücksichtigt werden, ist dem Vorwort zu entnehmen
und wird bei allen Wörterbüchern in der Werbung immer besonders
herausgestellt, manchmal so, als handele es sich dabei um das
wichtigste Beurteilungskriterium für ein Wörterbuch. Beispiele für
neue Wörter und neue Bedeutungen seien aus den Zusammensetzungen mit
Bio- / bio- zitiert (die mit Asteriskus markierten fanden sich bereits
im DudenUW): -alkohol; *-energetik; *-feedback-(Methode); *-gas;
*-kost; -kurve; *-laden; -mant ...: jmd., der sich mit Biomantie
befaßt; Biomantie ...: Voraussage des Lebensschicksals aus
biologischen Zeichen (z.B. aus den Linien der Hand); das im Alphabet
fällige Lemma Biomantin fehlt sträflicherweise, obwohl das Lesen aus
der Hand doch als ausgesprochen frauenspezifischer Beruf gilt; -müll;
*-satellit; -tonne, 2-zid ...: Vernichtung, Zerstörung von Biotopen;
am Anfang des "Nestes" stehen dann im DudenGW und im DudenUW Angaben
zu Bio- / bio- als Wortbildungsmittel, mit Erwähnung u.a. von
Biobauer, der nicht selbst als Lemma erscheint und von Biotonne, die
nur im DudenGW als Lemma vorkommt.[14]
Daß neue Verwendungsweisen glücklicherweise auch wieder aus den
Wörterbüchern ausgeschieden werden, dann nämlich, wenn sie ihre
Aufnahme nur einer permissiven Grundhaltung gegenüber der
Umgangssprache verdanken, ist immerhin erwähnenswert. So fehlt jetzt
wieder die nur im Duden "Rechtschreibung der deutschen Sprache" 16.
Aufl. (1967) und im DudenGW 1976 registrierte Verwendung von frugal
als "heute bereits vielfach üppig, schlemmerhaft".
Dem Vorwort ist ferner zu entnehmen, daß "andererseits ... Wörter und
Verwendungsweisen aus der Literatur, die heute nicht mehr üblich, aber
für den Zugang zu den klassischen deutschsprachigen Autoren wichtig
sind" berücksichtigt wurden. Diese Wörter "aus der klassischen
Literatur von Lessing bis Fontane"[15] werden mit Hilfe einer fetten
Raute markiert. Mit diesem Autorenpaar werden hier auch sonst
stellvertretend die Eckpunkte der deutschen "klassischen Literatur"
bestimmt. Beispiele aus deren Werken werden anscheinend auch nur in
den auf die Raute folgenden Teilen zitiert,[16] während sonst Autoren und
Texte des 20. Jahrhunderts, insbesondere solche der neuesten Zeit[17]
angeführt sind, in der Absicht, "die deutsche Sprache so
dar(zustellen), wie sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
ist" (Vorwort).
DudenGW "wertet mehrere Millionen Belege aus der Sprachkartei der
Dudenredaktion aus, ... (die) als Beispiele oder Zitate in das
Wörterbuch eingeflossen (sind), um die Verwendung der Wörter im Satz
zu veranschaulichen". Das Quellenverzeichnis zu den zitierten Belegen
nennt ca. 1200 (gegenüber ca. 700 in der 1. Aufl., dort mit einem
Supplement in Bd. 6) Titel, die eine bunte Mischung aus Textsorten
aller Art darstellen. Bemerkenswert ist die Willkür bei der Auswahl
der Ausgaben, bei denen es sich häufig um Taschenbuchausgaben, oder
bei den "Klassikern" um beliebige, für die Textgestaltung unerhebliche
Ausgaben handelt.[18] Daß der DudenGW auf einem Textkorpus basiert und
sich dadurch wesentlich vom Brockhaus-Wahrig unterscheidet, der
weitgehend auf anderen Wörterbüchern, nicht zuletzt der direkten
Konkurrenz basiert,[19] gereicht ihm zu besonderem Vorteil. Darüber
jedoch, wie hoch der Wert der Anführung dieser Belege, deretwegen man
dem DudenGW dem Typ des Belegwörterbuchs zurechnen muß, einzuschätzen
ist, mag man unterschiedlicher Meinung sein und der Rezensent
veranschlagt ihn nicht sonderlich hoch, nicht zuletzt deswegen, weil
man nicht weiß, nach welchen Kriterien und wie häufig die Quellen
exzerpiert wurden und wieviele Belege davon im Wörterbuch zitiert
werden. Daß derselbe Zweck, nämlich "die Verwendung der Wörter im Satz
zu veranschaulichen", auch ohne die Zitierung von Belegen zu erreichen
ist, mag folgendes Beispiel belegen, das der Eintragung aus dem
DudenGW die aus dem DudenUW gegenüberstellt, der keine Belege zitiert,
sondern von der Redaktion gebildete Beispiele verwendet:
Beispiel derzeit nur in der Printform von IFB
Unter den umfassenden Wörterbüchern der deutschen Sprache der
Gegenwart gibt es derzeit keine Konkurrenz zum DudenGW. Wem es dagegen
nicht um die hier zitierten Belege geht und wer auf manche
fachsprachlichen Wörter sowie auf veraltete Wörter aus den Werken der
Klassiker "von Lessing bis Fontane" verzichten kann, dem ist
wahrscheinlich mit dem DudenUW genausogut gedient, den auch seine
Handlichkeit für den täglichen Gebrauch besonders prädestiniert.
sh
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