Die Kolleginnen und Kollegen, die seit 1951 neue Regeln ausarbeiteten, haben aufgrund der oft recht allgemein gehaltenen Bestimmungen der Preußischen Instruktionen (PI) vor allem bei der bibliographischen Beschreibung immer detailliertere Anweisungen formuliert. Die PI kamen für die bibliographische Beschreibung, zieht man die Definitionen ab, mit 25 Paragraphen aus, die RAK-WB brauchen dafür 71. Diese Ausweitung ist seit Erscheinen der Vorabdrucke (seit 1969, Allgemeine Regeln 1973) häufig kritisiert worden, dabei wurde gelegentlich übersehen, daß jetzt viele "Fälle", über die es zuvor Diskussionen gab, auf Anhieb gelöst werden konnten. Mit der Übernahme von ISBD(M) und ISBD(S) ist die bibliographische Beschreibung ohne Zweifel besser strukturiert worden, auch wenn sie dazu zwang, sämtliche Angaben einer vorgegebenen Kategorie zuzuordnen. Beim Übergang von den Voll-RAK zu den RAK-WB ist an vielen Stellen eine Straffung erfolgt, leider sind dabei aber auch sinnvolle Regelungen eleminiert worden, die trotz heftigen Protests nicht wieder Aufnahme fanden (Stichwort: Illustrationsvermerk).
Zu beurteilen ist die zweite, überarbeitete Auflage der RAK-WB. Zur Erinnerung: nach den Vorabdrucken (1969 - 1976) erschien 1977 die erste Buchausgabe der RAK (sogen. Voll-RAK), zugleich begannen die Überlegungen, eine Ausgabe für wissenschaftiche und eine für öffentliche Bibliotheken herauszubringen. Bei aller oft beschworenen Einheit des deutschen Bibliothekswesens, beim Katalogisieren blieb man lieber unter sich. Die Regeln für die wissenschaftlichen Biblioheken (RAK-WB) sind nach zwei Vorabdrucken 1983 in gebundener Form erschienen, die für die Öffentlichen Bibliotheken (RAK-ÖB) 1986; von 1984 bis 1992 folgten in Form von elf im Bibliotheksdienst veröffentlichten RAK-Mitteilungen Präzisierungen und Änderungen. Die 1983 nicht geänderten 400er Paragraphen kamen 1988 in veränderter Form als RAK-Körperschaften heraus. Beim täglichen Geschäft des Katalogisierens brauchte man also den Grundtext von 1983, die elf RAK-Mitteilungen und die RAK-Körperschaften, wahrlich kein Idealzustand. Die vorliegende Ausgabe versteht sich als aktuelle und vollständige Textausgabe, in die alle seit 1984 veröffentlichten Änderungen eingearbeitet sind. Bei der Redaktion dieser Ausgabe sind, wenn auch nicht ganz so zahlreich wie 1983, mehrere kleinere Änderungen vorgenommen worden, die zuvor in den RAK-Mitteilungen nicht zu finden waren.
Verantwortlich für die Textausgaben und die "kontinuierliche Pflege des Regelwerkes", wie es im Vorwort (S. III) in klassischem Understatement heißt, war bis 1990 die Kommission des DBI für Alphabetische Katalogisierung, seit 1991 die Expertengruppe RAK der Kommission des DBI für Erschließung und Katalogmanagement. Was schon lange angekündigt wurde, ist jetzt eingetreten, der Übergang von der gebundenen Form zur Loseblattausgabe. Hoffen wir, daß sich die Expertengruppe bei weiteren Änderungen (die 1. Ergänzungslieferung war für Ende 1993 angekündigt, steht aber zur Zeit der Drucklegung dieser Rezension Ende Februar immer noch aus) eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegt; vielleicht sind auch Einschnitte in den Haushalt des DBI hier segensreich. Der vorletzte Satz im Impressum "Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier" gibt zu der Hoffnung Anlaß, daß nicht schon nach zwei Jahren alle Seiten ausgetauscht sein werden. Mit der 1. Ergänzungslieferung soll auch das bisher fehlende Gesamtregister erscheinen.
Das eingangs genannte Dilemma, möglichst viele Einzelheiten zu regeln, ohne letzten Endes alle künftigen Titelformulierungen berücksichtigen zu können, kann auch nicht durch immer neue Abschnitte gelöst werden (z.B. durch Ausdehnung von 128,6). Es ist überhaupt die Frage, ob hier immer neue Präzisierungen helfen, und ob es nicht praktischer ist, Die Deutsche Bibliothek zu beauftragen, Entscheidungen zu treffen und diese in ihren Katalogisaten bekannt zu machen.
Jetzt zu einzelnen Regelungen, Hinweise und Fragen. Relativ gering sind die Änderungen bei den Grundbegriffen ( 1 - 36). Daß Sekundärausgaben als verschiedene Ausgaben (Gegensatz: bibliographisch identische Exemplare) gelten, leuchtet ein. Die Expertengruppe konnte sich (noch?) nicht zu einer Ausdehnung des ersten Kapitels verstehen, durch die auch alle späteren Definitionen (Körperschaften, Gebietskörperschaften, Religionsgemeinschaften, Kongresse) in dieser ersten Paragraphengruppe zu finden wären, wie dies der Entwurf für RAK-Online tut. In den 20 und 22 finden sich noch die bekannten Definitionen von Sachtitel und Titel. Muß man die neue Definition in RAK-Online als Versuchsballon verstehen?
Bei den allgemeinen Regeln ( 101 - 193) ist die neue Ausgabe schon wegen des ewigen Hin und Her bei 110 zu begrüßen, hoffentlich bleibt es jetzt dabei. In diesem Zusammenhang hätte man sich endlich ein besseres Beispiel in 486 gewünscht. Daß "die zum Band gehörigen Angaben ... in Form der Vorlage ..." ( 166,2) erfolgen, läßt sich nicht nachvollziehen. Die Überarbeitung hat vor allem 122 gut getan, nicht nur, daß jetzt die Absätze übersichtlicher sind, auch das bisherige Rätselraten in Abschnitt d) letzter Halbsatz ist durch dessen Streichung beendet worden. In 128,1 (Don Juan...) ist die mißverständliche Erläuterung ebenfalls gestrichen worden. In 141 (und entsprechend in 147) vermißt man einen Absatz über die verschlüsselten Angaben zu Druck und Erscheinungsjahr, die seit einiger Zeit immer häufiger auftauchen. Teilweise neu formuliert wurde 145, dabei ist die praktische Regelung aus 145,2 in einen Nebensatz von Abs. 3 gerutscht. Auf die Kenntlichmachung eines nicht genannten Verlages durch s.n. scheint man jetzt verzichtet zu haben, warum dann die Aufführung im Abkürzungsverzeichnis (S. 426)? Die Beispiele in 147, 4 und 5 sind leider unverändert geblieben; bei mehreren Bibliotheken hat man daraus gefolgert, es dürften in eckigen Klammern nur durch 5 teilbare Jahreszahlen stehen. Die unglückliche Lösung bei den Illustrationsangaben wollte man wohl nicht aufgeben, obwohl auch die Expertengruppe weiß, daß die Bibliotheken sich mit Faustregeln wie "mehr als 10 %" bzw. "mehr als 50 %" behelfen. Warum auf eine exakte Zahl verzichten, wenn diese auf der Haupttitelseite steht? Kunstbibliotheken (und andere) tun gut daran, sich nicht an 152,2 zu halten. Nebenbei bemerkt: gemäß Anlage 4 ist "überwiegend" abzukürzen ( 152,2d).
In 320 ist man dem Zug der Zeit (Rekatalogisierung) nicht gefolgt und hat die Abkürzung des zweiten Vornamens vorerst wieder festgeschrieben; wenigstens ist aber die analoge Behandlung der römischen Namen aufgegeben worden; hoffen wir weiter für alle anderen Namen. Es muß ja nicht immer erst ein TITAN[1] kommen. Bei den Beispielen für die deutschen Könige Konrad III. und Maximilian I. in 337 fällt auf, daß das Territorium Römisch-Deutsches Reich heißt, das gemäß Anlage 7 jedoch nur als Verweisungsform anzusehen ist. Vielleicht könnte in einer der nächsten Änderungen hier eine Anmerkung für Klärung sorgen.
Die Beschränkung in 401,2 auf die genannten vier Körperschaften ist willkürlich, ursprünglich dienten sie lediglich als Beispiel für die Ansetzung unter der Kurzform; von der letztgenannten Körperschaft (Komsomol) dürften in Zukunft keine Publikationen mehr zu erwarten sein. Ein Redaktionsfehler findet sich in 479, nach dem "Expeditionen und Ausgrabungen, Lehrgänge, Vortragsreihen" nach wie vor als Kongresse zu behandeln sind, obwohl nach der Änderung von 682,1, Anm. Veranstaltungen dieser Art gerade nicht mehr als Kongresse gelten.
Etwas überrascht stellt man fest, daß in 502 (und entsprechend in 714) zwischen den einleitenden Teilen (Hier hebt sich an ...) und den nur den Umfang bezeichnenden Wendungen unterschieden wird. Die HE erfolgt jetzt unter dem vollständigen Sachtitel bei nur ankündigenden Wendungen, mit NE unter der eigentlichen Sachaussage; die bisherige Regelung von 501,2 und 502 gilt also nur noch für die den Umfang bezeichnenden Wendungen.
603 ist auch in der jetzigen Form nicht restlos befriedigend. Nach wie vor werden die Regeln dem Übersetzer nicht gerecht, da er, wie das Beispiel Terenz, Plautus (S. 276) zeigt, hinter einem zufälligen Herausgeber zurückstehen muß. Auf diese Weise wird es z.B. nicht gelingen, Wielands Shakespeare-Übersetzungen zu finden, wenn bei jeder Ausgabe ein Herausgeber genannt ist. Die Beschränkung auf die klassische und schöne Literatur führt gelegentlich zu Ungereimtheiten. So erhält z.B. Traugott König als Übersetzer von Das Sein und das Nichts keine Eintragung, wohl aber als Übersetzer von Die Eingeschlossenen. Im Hinblick auf die Suchmöglichkeiten in Online-Katalogen täte die Expertengruppe gut, diese Verbohrtheiten aufzugeben. Ein Wunsch für die nächste Ausgabe: den 603,1 mit Minuskeln durchzunumerieren, denn es werden stets nur einzelne Sätze daraus gebraucht. Könnte auch in 616,2, Abs. 2 und 617,2, Abs. 2 eine Verweisung auf 708 hinzugefügt werden? Die Wendung "nur als Widmungen geltenden Präsentationstiteln" in 630,1 gibt immer wieder zu unterschiedlichen Interpretationen Anlaß; nach dieser Regelung dürfte z.B. die zweibändige Festschrift für Gerhard Liebers (1979) nicht als Festschrift behandelt werden. Vielleicht könnte man die Anmerkung um eine Formulierung wie "es sei denn das Werk stelle nach Aufmachung und Inhalt eindeutig eine Festschrift dar" ergänzen. Die Beispiele im Kommentar von Haller/Popst (4. Aufl., S. 249) sind hier wenig hilfreich.
Die Anlagen sind mit Ausnahme weiterer Transkriptionstabellen jetzt vollständig, zu den bisher bereits in RAK-WB enthaltenen sind die aus den RAK-Körperschaften hinzugekommen. Auf die nicht mehr benötigte Abkürzung s.n. wurde hingewiesen, die Abkürzung s.l. ist insofern mißverständlich, als nicht berücksichtigt wurde, daß sie stets am Anfang des Erscheinungsvermerkes steht und dann stets S.l. geschrieben werden muß. Ein Vorschlag: kann man nicht wieder Komm. als Abkürzung für kommentiert, Kommentar, Kommentator zulassen, denn für Kommission kann die Abkürzung nur dann verwendet werden, wenn diese auf der Haupttitelseite steht, was eher unwahrscheinlich ist, oder sie findet bei der Verlagsangabe Verwendung, was wohl auch nicht so häufig vorkommt. Bezeichnenderweise haben sich einige Verbundsysteme die Funktionsbezeichnung [Komm.] geschaffen.
Ein abschließender Wunsch: die grauen Zwischenblätter sind nicht fest genug, nach mehrmaligem Blättern sind sie bereits zerknittert, die Flattermarke ist bei geschlossenem Buchblock nicht sichtbar. Von der vor vielen Jahren einmal versprochenen Beispielsammlung scheint inzwischen nicht mehr die Rede zu sein. Ob die Expertengruppe sich jetzt verstärkt darauf konzentrieren könnte?
Rudolf Jung