Besonderes Interesse verdienen die Kapitel IV - VI zum Medium der Sprache, die sich mit Sprechen und Hören, Schreiben und Lesen und Gebärden und Sehen befassen, gefolgt von den Kapiteln VII Kindlicher Spracherwerb, VIII Sprache, Gehirn und Sprachstörungen, IX Die Sprachen der Welt (das Spektrum historischer und gegenwärtiger Sprachen), X Sprache in der Welt (sprache(n)bedingte Verständigungsprobleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung), XI Sprache und Kommunikation.
Die vorliegende Ausgabe stellt nicht eine bloße Übersetzung, sondern
eine weitgehend auf die Bedürfnisse eines deutschsprachigen Publikums
abgestimmte Bearbeitung des englischsprachigen Originals[1] dar. Dennoch
wurden zu häufig englischsprachige Beispiele beibehalten, auch in
Kontexten, in denen sie in einem deutschsprachigen Werk eindeutig
fehlplaziert sind, etwa im Abschnitt Soziale Identität, in dem
Sprachliche Statusanzeiger (S. 39) mit Hilfe englischsprachiger
Beispiele (Textpassagen aus fünf englischen Romanen, davon vier aus
der viktorianischen Zeit !) veranschaulicht werden. Englischlastig ist
auch der Abschnitt über Stilistische Identität und Literatur,
sicherlich nicht der beste Abschnitt des Buches ("Dichter sind nicht
die einzigen, die die Sprache über ihre normalen Grenzen hinaus
treiben", S. 72). Die zahlreichen Abbildungen - Photos, Schaukästen,
Tabellen u.a. - sind nicht nur bloßes Ornament, schaffen keine
wertlosen Bild-Wort-Tautologien, sondern dienen der Versorgung mit
zusätzlichen Informationen, der exemplarischen Erläuterung, der
kontextstiftenden Erhellung, der linguistischen Propädeutik und der
assoziativen Anregung. Hier werden neue Wege einer zwischen Text- und
Bildelementen vermittelnden, graphisch faszinierenden
Wissensorganisation (auch Wissenschaftspublizistik) beschritten, die
bei den Produzenten von Nachschlagewerken Nachahmer finden sollten.
Ein markantes Beispiel: ein Photo von sprechenden Glückwunschkarten,
das das vielschichtige Verhältnis von gesprochener und geschriebener
Sprache erhellen soll (S. 178).
Den Band beschließt ein umfänglicher Anhang: I Glossar (mit
Arbeitsdefinitionen zur ersten Orientierung; Beispiel Soziolinguistik:
"Zweig der Linguistik, der sich mit den Beziehungen zwischen Sprache
und Gesellschaft beschäftigt", S. 432); II Sonderzeichen und
Abkürzungen, die in der Enzyklopädie verwendet werden; III Die
Sprachen der Welt in tabellarischer Übersicht (1000 Sprachen); IV
Weiterführende Literatur (auf den deutschsprachigen Leser
ausgerichtet); V Quellen (Texte, auf die sich der Haupttext bezieht);
VI Register der Sprachfamilien, Sprachen, Dialekte und Schriften; VII
Autoren- und Namenregister; VIII Sachregister.
Vorliegende Enzyklopädie stellt kein primär der punktuellen Suche
dienliches Informationsmittel (im Sinne der Ready-reference-Funktion
der Micropaedia zur Encyclopaedia Britannica) und auch keine der
umfassenden und detaillierten Darstellung förderliche Macropaedia (die
"knowledge in depth" vermitteln will) dar, sondern ein der ersten
Einführung und Übersicht dienendes Nachschlagewerk, das unter Verzicht
auf allzu strenge Systematisierung die Aspektvielfalt sprachlicher
Phänomene vermittelt und den gesellschaftlichen und medialen Bezug der
Sprache betont. Als eine Enzyklopädie, die in bester angelsächsischer
Manier mit erfreulichen Appetizer-Effekten arbeitet, gelingt es ihr,
den Anspruch, Sprache als Faszinosum vorzustellen ("Dieses Buch soll
die menschliche Sprache rühmen ...", S. IX), zu erfüllen. Auch aus
diesem Grunde kann die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache nicht nur
als Nachschlagewerk im vertrauten Sinne, sondern zugleich als
Einführung in Teilgebiete der Linguistik, aber auch zu eher
zweckfrei-vergnüglichem Browsing genutzt werden. Zu den Adressaten
zählen - wie aus dieser kurzen Vorstellung gefolgert werden kann
- nicht nur Linguisten, sondern alle an anthropologischen,
kulturgeschichtlichen, kommunikationswissenschaftlichen und
soziologischen Fragestellungen interessierte Leser. Das Werk zählt
mithin nicht nur zum unverzichtbaren Informationsbestand einer jeden
Universalbibliothek (ein Zweitexemplar muß freilich aufgrund der
aufgezeigten Multifunktionalität für Ausleihzwecke zur Verfügung
gestellt werden), es stellt überdies ein dringliches
Anschaffungsdesiderat für öffentliche Bibliotheken dar; auch wünscht
man seine Präsenz in zahlreichen Institutsbibliotheken, und zwar nicht
nur in jenen, die philologischen Instituten zugeordnet sind.
Werner Bies
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