Entgegen dem Anspruch der im selben Verlag erschienenen
Metzler-Literatur-Chronik[2], die sich ausdrücklich als
"Nachschlagewerk" zur "schnellen, sachlichen und zuverlässigen
Information auf der Basis des gegenwärtigen Forschungsstandes"
(Vorwort) versteht, handelt es sich bei Feils Werk ebenso ausdrücklich
um eine Musikgeschichtsschreibung in etwas anderer Verpackung - und
als solche ist sie demzufolge auch zu bewerten. Daß die
geistesgeschichtliche Methode längst als "tot und abgetan gilt",[3]
zumindest fragwürdig geworden ist, scheint Feil und seine Mitautoren
nicht zu belasten. Eisern wird an geistesgeschichtlichen
Erklärungsmodellen musikgeschichtlicher Zäsuren festgehalten.[4] Auch
hier baut der Verfasser vorsorglich einen Schutzwall: nicht
wissenschaftliche Diskussion wolle man bieten, sondern sich an "Kenner
und Liebhaber der Musik" wenden. Bleibt die Frage nach der
konzeptionellen "Idee" und dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand, der
den Daten und Fakten zugrunde liegt. Feil im Nachwort: "Hauptstütze im
Sachlichen ist Die Musik in Geschichte und Gegenwart [...] In gewisser
Weise beruht das Buch auf MGG" [5]. Nun ist dieser, wie sich beim Lesen
der Texte zeigt, durchweg kritiklose Rekurs auf die 1949 begonnene und
1968 im Grundwerk abgeschlossene Enzyklopädie weder besonders
anspruchsvoll noch originell. Das Buch entlarvt sich mit dieser
Konfession als eine Kompilation, als vielseitiges Zeugnis von
Belesenheit, nicht Reflektiertheit, vorgetragen in einem
Überzeugungston, der ex cathedra belehren, nicht durch die Faszination
einer eigenwilligen Sicht zum Nachdenken anregen will.[6] Es sollte
auffallen ..., Kaum kann man es deutlicher sagen als ..., Niemand hat
das so knapp und deutlich dargestellt wie ... schließlich: das ist so
- apodiktisch, mehr auf die Rhetorik vertrauend, als auf Argumente. Es
wimmelt nur so von Elativen: Beschreibungen sind unübertroffen, Texte
von Autoren, die Feil gern und ausführlich als Autoritäten zitiert,
stets hervorragend, vorzüglich oder gescheit. Die Mehrdeutigkeit des
Begriffs Historismus, der eben nicht eindimensional zu begreifen ist -
Historismus in der Komposition, der Aufführungspraxis, Editionstechnik
und Geschichtsschreibung meint je Verschiedenes - scheint Feil nicht
zu kümmern. Er illustriert den "Neuen Historismus in der Musik" des
19. Jahrhunderts mit dem unkommentierten Abdruck eines Zitats aus dem
Werk eines Autors von 1954. Erklärt ist damit nichts. Daß er zwar
einige Zeilen aus Manfred Hermann Schmids Musik als Abbild [7] als Beleg
für die Bedeutung des Freischütz anführt, ohne jedoch die Erkenntnisse
der Studie im Artikel zu reflektieren, und wenige Sätze zuvor
behauptet, zu Webers Oper sei "fast nichts musikalisch Relevantes
geschrieben worden", dies zeugt eher von des Autors Unverständnis,
denn von wissenschaftlicher Seriosität. Und an anderer Stelle: "Die
Streichquartette Bartóks sind wohl seine bedeutungsvollsten Werke".
Auch dies nur ein unkommentiert abgedrucktes Zitat aus einem Büchlein
von 1954. Wesentlich mehr erfährt der Leser zu diesen
kompositionsgeschichtlich bedeutenden Werken nicht. Soweit pars pro
toto zum Niveau der Werkbesprechungen.
Die Metzler-Musik-Chronik erweist sich angesichts anderer,
ambitionierterer Musikgeschichten schlicht als redundant. Hier hat ein
Wissenschaftler seine Chance leichtfertig vertan.
Reiner Nägele
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