Die Orientierung an einer weit gefaßten, nicht spezialisierten, inhomogenen Zielgruppe, die wohl auch einer Atomisierung der linguistischen Disziplinen entgegentreten will, hat die Autoren nicht zu einer vereinfachenden oder gar popularisierenden Darstellung der oft recht komplexen Sachverhalte verleitet. Aus der Zielgruppenadressierung erklären sich 1. der Wunsch nach größtmöglicher Inklusivität, der zu einer Berücksichtigung von Fachwörtern unterschiedlichster Provenienz führt (Fibel, Kulturnation, Terminologienormung), bisweilen aber auch übertriebene Züge trägt (Datenschutz, Technikfolgenforschung); 2. die Entscheidung, nicht nur "harte", technizistische Termini (Autosegmentale Phonologie, Scrambling), sondern auch viele "weiche" Termini (z. B. Babel, Witterungsverb, Wolfskinder) aufzunehmen; 3. das Bemühen um "Neutralität" in bezug auf theoretische Konzepte und Forschungsrichtungen der Linguistik; 4. das Streben nach der Vermittlung vielfältiger Aspekte (deutlich erkennbar beispielsweise in dem Artikel Ironie). Dem Paradigma der "Materialität" und "Medialität" der Kommunikation wird - im Unterschied zu den meisten sprachwissenschaftlichen Wörterbüchern - hinreichende Aufmerksamkeit geschenkt (dies zeigt sich in Artikeln zur Buchwissenschaft und Paläographie wie z.B. Incipit, Inkunabel, Ligatur, Palimpsest und Textura). Auch Fachwörter aus dem Bereich der Computerlinguistik und den neueren Technologien (z.B. ASCII-Code, Mensch-Maschine-Interaktion, Modul, Multi-Media-System, Textverarbeitung) werden großzügig aufgenommen. Fachwörter aus Stilistik, Rhetorik und Poetik sind verzeichnet, wenn deren Kenntnis für unverkennbar linguistische Thememstellungen nötig ist (Beispiele Konkrete Dichtung, Lettrismus).
Das größte Kontingent an Lemmata wird freilich von grammatischen Termini eingenommen - solchen aus der traditionellen "Schulgrammatik" (Konditionalsatz, Partizip) ebenso wie solchen aus der neueren linguistischen Theorie (Nullmorphem, Tiefenkasus).
Mit der Entscheidung, etwa 1.000 - teilweise von detaillierten Karten
begleitete - Artikel zu Einzelsprachen, Sprachfamilien- und
Sprachgruppen (Beispiele: Mittelenglisch, Papua-Sprachen, aber
immerhin auch: Kölnisch und Chiquitano) aufzunehmen, scheint das
Metzler-Lexikon Sprache einen Trend zu markieren. Sachwörterbücher zur
Linguistik wie Abraham[1] und Lewandowski[2] schließen Sprachbezeichnungen
noch völlig aus, die 2. Aufl. von Bußmanns Lexikon der
Sprachwissenschaft[3] hingegen verzeichnet schon deutlich mehr
Bezeichnungen von Sprachen, Sprachgruppen und -familien (etwa 300) als
die 1. Aufl.
Die Artikel werden durch ein deutlich gekennzeichnetes, fett
gedrucktes Lemma eingeleitet, dem in Klammern eventuelle Synonyma und
gelegentlich auch französisch- und englischsprachige Äquivalente
folgen. Sie sind in der Regel von angemessener Länge; zu den Ausnahmen
zählt der viel zu kurze Artikel Übersetzung. Den meisten Artikeln sind
weiterführende, häufig aber doch recht knapp gehaltene
Literaturhinweise beigefügt; sie konzentrieren sich in vielen Fällen
zu einseitig auf monographische, deutschsprachige, auf die deutsche
Sprache bzw. auf Gegenwartssprache bezogene Literatur (Beispiel:
Infinitivkonstruktion). Für viele Lemmata, die nicht als
Internationalismen gelten dürfen, existieren als verweisende Lemmata
die entsprechenden englischen oder französischen Bezeichnungen (Bsp.
Langue enfantine, Child language, children's language verweisen auf
Kindersprache).
Die Qualität der einzelnen Artikel, von insgesamt 70 mit Autorenkürzel
zeichnenden Verfassern geschrieben, ist freilich unterschiedlich.
Gelegentlich fehlen entscheidende, auch kontextstiftende Informationen
(im Artikel Karolingische Minuskel beispielsweise explizite Hinweise
auf Karl den Großen oder auf das ebenmäßige Erscheinungsbild der
Schrift). Für einen detaillierten Vergleich einzelner Lexikonartikel
bietet sich eine Gegenüberstellung mit dem Lexikon von Bußmann an, das
ebenfalls eindeutig dem wissensorganisatorischen Prinzip der
micropaedia verpflichtet ist. In vielen Fällen empfiehlt sich Bußmann
durch die anschaulichere Darstellung (vgl. z.B. die Artikel
Diskursmarker bzw. Diskurspartikel), durch die größere Bedeutung, die
Beispielen beigemessen wird (vgl. Phrase), oder durch die
ausführlichere Erläuterung (vgl. code-switching bei Bußmann und
Metzler).
Ein Platz im Grundbestand an Informationsmitteln jeder
wissenschaftlichen Universalbibliothek, aber auch jeder öffentlichen
Bibliothek dürfte dem Metzler-Lexikon Sprache jedoch trotz der
vorgetragenen Defizite kaum streitig gemacht werden.[4]
Werner Bies
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