Der Katalog einer Sammlung beruht als Bestandsverzeichnis auf lückenloser Autopsie der Quellen. Wie wurde diese Chance im vorliegenden Fall genutzt? Für die bibliographische Standardbeschreibung solid, aber nicht voll befriedigend. So fehlen die Bandtitel und die entsprechenden Seitenzahlen bei mehrbändigen Ausgaben. Bei den Erstausgaben wurde leider bis auf wenige Ausnahmen auf tiefergehende textgeschichtliche Annotationen verzichtet, obwohl mit den Veröffentlichungen von Waltraud Hagen und ihren Mitarbeitern zur Druckgeschichte der Goetheschen Werke (Katalog Nr. 1251, 1252, 3258 und 4065) die Standardwerke hierfür zur Verfügung stehen. Die buchkünstlerischen Daten werden allerdings in knapper Form mitgeteilt. Letztere werden in den bibliophilen Ausgaben und Pressendrucken zu ausführlichen Annotationen, ja sachkundigen Kommentaren, teilweise mit Hinweisen auf weiterführende Sekundärliteratur, ausgeweitet; dies stellt die wichtigste Leistung des Katalogs überhaupt dar. Wie ist es gelungen, die Qualität im einzelnen durch eine adäquate Systematik zu einem Gesamtbild zu formen? Erscheint die generelle Einteilung der Primärliteratur in 8 Hauptgruppen (Werkausgaben, Teilausgaben, Einzelausgaben, naturwissenschaftliche Schriften, zeichnerisches Werk, Tagebücher, Briefe und Briefwechsel sowie Gespräche) durchaus angemessen und übersichtlich, so wirft die - von den Katalogbearbeitern selbst im Vorwort als problematisch zugestandene - Aufsplitterung der Hauptgruppe "Einzelausgaben" in der Tat Fragen auf. Die Zweiteilung in "zeitgenössische Ausgaben und spätere Gebrauchsausgaben" und "illustrierte, numerierte und signierte Ausgaben sowie Pressendrucke" ist nicht nur terminologisch unscharf, sondern zerstört auch die besondere Chance, eine vom Material her mögliche eindrucksvolle chronologische druckgeschichtliche und buchkünstlerische Suite zu präsentieren, wie sie an anderer Stelle, z. B. bei den Werkausgaben oder für das zeichnerische Werk, sichtbar ist. Der Verlust an Übersicht wird auch durch den Registerapparat nicht kompensiert, da die Goetheschen Werktitel in ihn nicht mit aufgenommen wurden. Auch die Aufsplitterung der Gruppe "Teilausgaben" in vier Untergruppen ist nicht sinnvoll. Einen gewissen Ausgleich bietet lediglich das gut durchdachte System von Gruppen- und Einzelverweisungen, wenn es auch in einer Reihe von Fällen noch hätte ausgebaut werden können (z.B. bei Nr. 1125 durch Verweisung auf 1175, nach Nr. 2092 auf 46 und 868, nach Nr. 2527 auf 65). Trotz der Breite und Vielfalt der verzeichneten Primärliteratur überwiegt in dem zweibändigen Katalog mit ca. 60 % doch der Anteil der Sekundärliteratur, also der Veröffentlichungen über Goethes Leben, Werk und deren Wirkung. Vergleicht man dies mit den entsprechenden Relationen bei einer vollständigen personalbibliographischen Erfassung, so ist gerade im Falle Goethes daraus zu schlußfolgern, daß selbst mit 60 % die Sekundärliteratur nicht die erforderliche Dichte des Materials erreicht. Dem Sammler, der in erster Linie "systematisch an den Erwerb von Erstausgaben sowie von bibliophilen Drucken" gegangen war (Geleitwort, S. XII), ist dies allerdings nicht anzukreiden. Wissenschaftliche Literatur über Goethe wurde von ihm vor allem im Sinne einer "Arbeitsbibliothek" für die Einordnung und Bewertung der gesammelten Zimelien erworben. Auch der gedruckte Katalog hat nicht das "primäre Ziel", "einen Beitrag zur Goethe-Bibliographie zu leisten" (Vorwort im Hauptbd., S. XIV). Dennoch wäre es falsch gewesen, auf die Verzeichnung der Sekundärliteratur zu verzichten. Allerdings darf man die sui generis gegebenen Grenzen des vorliegenden Katalogs nicht vergessen. Spezifischen Recherchen zur Forschungsliteratur hält er nur bedingt stand, zumal er Einzelbeiträge aus Periodica eher zufällig nur in Form von Sonderdrucken enthält und leider die vorhandenen Sammelbände nicht im einzelnen erschließt. (Dies alles hat übrigens auch Konsequenzen für die bibliothekarische Ausstattung des künftigen Goethe-Museums in Rom, das also auf diesem Gebiet einen ergänzenden, zusätzlichen Bestandsaufbau benötigt.) Positiv fällt ins Gewicht, daß die Forschungsliteratur in einigen Gruppen (z. B. zur Druck- und Verlagsgeschichte und zur Wirkungsgeschichte) eine beachtliche Dichte aufweist. Andererseits fehlen in den betreffenden Gruppen wichtige Darstellungen wie die von G. Sichardt zum Weimarer Liebhabertheater (Weimar 1957) oder von H. Bräuning-Oktavio über die Herausgaber und Mitarbeiter am berühmten Jahrgang 1772 der Frankfurter Gelehrten Anzeigen (Tübingen 1966), um nur zwei Standardwerke zu nennen. Auch eine Reihe neuerer Reprints zu in der Sammlung vorhandenen Werken vermißt man (z. B. zu Nr. 2621, 2614, 2617, 2565 und 3279); sie wären für den ständigen Gebrauch nützlich, um die Originale zu schonen.
Nicht gut beraten waren die Bearbeiter, als sie das Material in den Gruppen der Sekundärliteratur entgegen der üblichen chronologischen Abfolge alphabetisch nach Autoren bzw. Sachtiteln ordneten. So geht der interessante forschungsgeschichtliche Progreß verloren; als "Nebeneffekt" entstanden kuriose "Nachbarschaften" wie Kannegießer (1835) und Walther Killy (1982, Nr. 2660/61), der Altvater des Positivismus Düntzer (1836) und der unbequeme moderne Psychoanalytiker Kurt R. Eissler (1984, Nr. 2795/97) u. a. Methodisch souverän wird dagegen die Verklammerung des Ergänzungs- mit dem Hauptband durch Konkordanz der Inhaltsverzeichnisse und der laufenden Nummern am unteren Seitenrand des Ergänzungsbandes, durch Gruppen- und Einzelverweisungen sowie die kumulierenden Register realisiert. Wie bereits angedeutet, ist zu bedauern, daß in dem ansonsten gut ausgebauten Registerapparat (getrennte Register der Verfasser und Herausgeber, Buchkünstler bzw. Pressen, Verleger und bibliophilen Gesellschaften) die Titel der Goetheschen Werke (Primär- und Sekundärliteratur) nicht mit erfaßt wurden. Dadurch geht u.a. der Konnex zwischen den bibliophilen Ausgaben einzelner Werke (Gruppe A 3 b) und den der Sekundärliteratur zugeordneten "reinen" Illustrationsfolgen zu denselben Werken (in Gruppe B IV) verloren. Trotz gegenteiliger Versicherung der Bearbeiter werden die in den Titelbeschreibungen bzw. Annotationen genannten Namen nicht immer im Register der Verfasser und Herausgeber bzw. der Buchkünstler berücksichtigt (vgl. hierzu die Nr. 6, 7, 1021, 1023, 1025 u.a.), was sehr zu bedauern ist. Der im einzelnen sehr sorgfältig gearbeitete Katalog weist verschwindend wenige Fehler oder Versehen auf: Nr. 1348: Holtzhausen muß heißen Holtzhauer (auch im Register); bei Nr. 2010 und 2556 fehlt der Verlagsort Weimar; Nr. 4015: Erscheinungsjahr 1896, nicht 1986; Nr. 2676 betrifft die Venezianischen Epigramme, müßte also nach Nr. 2714 eingeordnet werden. Pikanterweise haben die Bearbeiter die bekannten Ulkschriften des Herrn Baus (Nr. 3461, 3781, 3844, 3863 und 3865) offensichtlich nicht durchschaut, so daß sie nicht in der Gruppe B VI 2 (Obtrectationes, Pamphlete, Satiren), sondern in den vermeintlichen Sachgruppen auftauchen.
Der zweibändige Katalog der Goethe-Bibliothek Dorn ist eine wichtige, willkommene Arbeit, eine gehaltvolle neue Quelle zur Goethe-Druckgeschichte und -Bibliophilie. In Rom wird er ein nützlicher Schlüssel zum "in der Ferne gegenwärtigen" Werk Goethes sein.
Siegfried Seifert