Die Erhebungen, die zu Einträgen von 2.399 Nachlässen in 218
Bibliotheken führten sowie das Beschreibungsmodell orientieren sich
u.a. stark an Brandis und den DFG-Richtlinien.[5] Verzeichnet werden
Bestände von Bibliotheken (ausgenommen die Österreichische
Nationalbibliothek und die Theatersammlung des Österreichischen
Theatermuseums, deren Nachlässe gemeinsam in einem zweiten Band folgen
sollen) und bibliothekarischen Einrichtungen, wie z.B. von
Gesellschaften, Vereinen, Stiftungen, Universitäten, Museen (eine
ähnliche Abgrenzung wie bei Brandis); Österreichische Archive des
Bundes, der Länder und Gemeinden sollen ihre Nachlässe unter
Federführung des Österreichischen Staatsarchivs in einem dritten Band
verzeichnen.
Die Einträge beginnen mit dem Namen oder gebrauchten Pseudonym (vom
jeweils anderen wird im Register verwiesen), den Lebensdaten (nur
Jahre) und dem Beruf und dem Tätigkeitsbereich. Das
Beschreibungsmodell kennt mit Denecke/Brandis den gleichen, dem
Provenienzprinzip folgenden Nachlaßbegriff, eine ähnliche Einteilung
in Nachlaß, Teil- und Splitternachlaß, Kryptonachlaß und Sammlung.
Abweichungen hiervon bei den vier Hauptkategorien: Werkmanuskripte,
Korrespondenzen, Lebensdokumente, Sammlungen sowie
Nachlasser-Bibliothek. Bei der Verzeichnung von Korrespondenz sind 20
Briefe als Mindestgrenze für den Eintrag nötig, was häufig Autopsie
voraussetzt; bei den Werkmanuskripten wurden 5 Manuskripte eines
Autors aus einer Provenienz festgelegt. Erwerbungsart und -jahr und
Hinweise auf andere Standorte von Teilnachlässen folgen. Ohne die
Bestände der ÖNB war kein Übergewicht an Schriftstellernachlässen zu
erwarten, überraschend aber ist aufgrund der Museumsbibliotheken der
große Anteil von Nachlässen bildender Künstler, von Naturforschern und
-wissenschaftlern.[6] Anders als bei Brandis werden wenig Abkürzungen
verwendet, was die Lesbarkeit verbessert, das zweispaltig und mit
relativ großer Type gedruckte Werk jedoch etwas aufbläht. Demgegenüber
leidet die Übersichtlichkeit deutlich durch die Nachstellung der
Standortangabe hinter die Bestandsbeschreibung, was bei ungünstigen
Spalten- und Seitenumbrüchen verwirrend sein kann. Problematisch sind
die Umfangsangaben: Brandis' Kompromiß, die Angaben der Bibliotheken
unverändert zu lassen, ist dem vorliegenden Versuch vorzuziehen,
Umfangsangaben dadurch vergleichbar zu machen, daß meist in "Kartons"
gerechnet wird - bei so heterogenen Institutionen eine zu
unspezifische Behältnisgröße. - Exzellente Register (Standorte, Berufe
und Arbeitsgebiete, Personen und Institutionen) helfen bei der
Erschließung.
Eine Teilmenge stellt das ebenfalls von Gerhard Renner erarbeitete
Nachlaßverzeichnis der Wiener Stadt- und Landesbibliothek dar; da
dessen Redaktionsschluß später lag, sind gegenüber dem nationalen
Verzeichnis hier noch zusätzliche Nachlässe zu finden. Eine
Unterteilung der Nachlaßmaterialien nach Standorten innerhalb der
verschiedenen Sammlungen der Bibliothek nützt der direkten Benutzung
in der Bibliothek, jedoch kaum dem recherchierenden externen Benutzer
des Verzeichnisses; ebenso scheint der großzügige, einspaltige Druck
mit breiten Seitenrändern speziellen Bedürfnissen am Ort zu dienen.
Ein Register (Namen, Institutionen, Periodika) bietet nützliche
Erschließungshilfe. Abweichend vom nationalen Nachlaßverzeichnis
werden hier auch Hinweise auf nachlaßbezogene Forschungsliteratur
geboten.
Nicht nur hierin sind Gemeinsamkeiten mit dem dritten hier
anzuzeigenden Handbuch zu finden: Das von Murray G. Hall und
(wiederum) Gerhard Renner erarbeitete Handbuch der Nachlässe und
Sammlungen Österreichischer Autoren, in das die relevanten Nachweise
aus den beiden anderen Österreichischen Nachlaßverzeichnissen
eingeflossen sind.
Hall/Renner verzeichnen Nachlässe von 1.100 Autoren an in- und
ausländischen Standorten (auch solche in Privatbesitz). Als
österreichische Schriftsteller werden diejenigen definiert, die in
Österreich geboren wurden (vor 1918: in den Grenzen der
Habsburgermonarchie) bzw. für die Österreich "eine wichtige
Wirkungsstätte" (IV) war: letzteres kann zu fragwürdigen
Entscheidungen führen, z.B. verwundert die Aufnahme des englischen
Schriftstellers W. H. Auden. Der Personenkreis umfaßt "belletristische
Autoren" (IV) sowie Journalisten, Literaturkritiker und
Literaturhistoriker. Lebende Autoren wurden nur dann berücksichtigt,
wenn ein Teilnachlaß bereits abgegeben worden ist. Es überrascht der
Eintrag von Autoren, von denen kein Nachlaß (mehr) existiert wie z.B.
bei Fritz Janowitz: hier wird das Nachlaßverzeichnis zum
Literaturlexikon. Es ist auch das Nachlaßmaterial von Verlagen
aufgenommen (sofern österreichische Autoren betroffen sind), so daß
z.B. der Nachlaß des Exil-Verlages Allert de Lange zu finden ist sowie
Zeitungsarchive (unter der gleichen Bedingung), wie z.B. das der
Prager Presse oder das Nachlaßmaterial der Landesleitung Wien der
Reichsschrifttumskammer. Die Quellenbasis der Eintragungen beruht bei
den österreichischen Bibliotheken auf Autopsie, wenn keine
Verzeichnisse vorhanden waren; Privatbesitz wurde größtenteils
autopsiert, wobei positiv auffällt, daß hier die Beschreibungen häufig
umfangreicher sind als bei öffentlichen Institutionen.
Die Einträge nennen: Name bzw. gebrauchte Pseudonyme, die
vollständigen Lebensdaten, Beruf, die literarischen
Arbeitsschwerpunkte, evtl. die Wirkungsstätten und somit Daten, die
auch in Literaturlexika zu finden sind. Hierbei sollten - laut
Einleitung - verbreitete Fehler korrigiert werden, doch diese Absicht
führte auch zu unnötigen Eigenwilligkeiten, wie z.B. der
Charakterisierung von Alma Mahler-Werfel als "Schriftstellerin,
Gesellschaftsdame" (170). Weitere Eintragskategorien sind Standorte
des Nachlasses, Kategorien des Materials (wie bei den bereits
beschriebenen Verzeichnissen von Renner) und der unbefriedigenden
Standardisierung der Mengenangaben des Nachlaßmaterials: wiederum die
Umfangsangabe "Karton", die innerhalb eines Archivs eine feste Größe
darstellen mag und deshalb nur in Verzeichnissen einer Institution als
Vereinheitlichung sinnvoll ist.[7] Die Literaturhinweise umfassen nicht
nur nachlaßbezogene Literatur, sondern auch Editionen, wohl aber
beschränkt auf wissenschaftliche Gesamtausgaben, denn z.B. bei
Caroline Pichler oder Stefan Zweig sind keine erwähnt, obwohl es große
Werkausgaben gibt. Überraschend und wichtig für die Benutzung ist die
Entdeckung, daß in dem Verzeichnis der Nachlässe in der Wiener
Stadt- und Landesbibliothek bei den entsprechenden, meist textidentischen
Bestandseinträgen erheblich umfangreichere Hinweise zur
Forschungsliteratur zu finden sind als bei Hall/Renner. Anordnung und
zweispaltiges Druckbild sind erheblich übersichtlicher als bei Renners
nationalem Nachlaßverzeichnis, auch steht der Standort jeweils vor der
Bestandsbeschreibung.
Trotz des etwas unscharfen Profils als Nachlaßverzeichnis mit dem
Teil-Anspruch eines Literatur- bzw. Autorenlexikons: ein überaus
wichtiges Handbuch, das, sozusagen auf Verdacht, bei deutschsprachigen
Autoren immer dann konsultiert werden sollte, wenn nicht mit
Sicherheit eine Geburt oder ein längerer Aufenthalt in
K.u.K.-Monarchie und/oder der Republik Österreich ausgeschlossen
werden kann.
Unabhängig vom großen Wert des ersten umfassenderen
Nachlaßverzeichnisses für Österreich und des unnötigerweise in Teilen
damit konkurrierenden[8] germanistischen Nachlaßverzeichnisses
Österreichischer Autoren ist zu fragen, ob nicht ein Projekt nach dem
Konzept des neuen Handbuchs der Handschriftenbestände in der
Bundesrepublik Deutschland[9] auch für Österreich nachahmenswert sein
könnte.
Klaus Ulrich Werner
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