Obwohl uns Titelei und CIP-Aufnahme belehren, daß Michael Buchberger
(1874 - 1961) der Begründer des LThK ist - der Mitherausgeber der 1.
Aufl. und des Vorläufers Kirchliches Handlexikon -, hat das Werk doch
eine wesentlich längere Tradition[1]. Es steht in der direkten Nachfolge
des Kirchenlexikons, herausgegeben von dem Freiburger Orientalisten
und Bibliothekar Josef Wetzer und dem Tübinger Alttestamentler
Benedikt Welte (1846 - 1856. - Bd. 1 - 11 + Erg.-Bd.) und ist somit
Dokument einer fast hundertfünfzigjährigen lexikalischen
Publikationsgeschichte. In seinen verschiedenen Stadien war es jeweils
das katholisch-theologische enzyklopädische Lexikon im
deutschsprachigen Raum und in mancher Hinsicht auch wohl darüber
hinaus. Mit der Pioniertat des Kirchenlexikons (KL) betrat der Verlag
Herder Neuland,[2] denn eine enzyklopädische volkssprachliche
theologische Lexikographie gab es zu dieser Zeit noch nicht. Auch die
22bändige Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche
(RE) erschien erst ab 1854 im Gefolge des KL.[3] Das Zustandekommen des
KL ist dabei sowohl theologie- und kirchengeschichtlich (als Ausdruck
der katholischen Selbstbesinnung nach den "Kölner Ereignissen",
Dokumentation und Ausfluß der Erneuerungsarbeit der deutschen
katholischen Theologie, vor allem der Tübinger Schule etc.) als auch
wissenschaftsorganisatorisch von großem Interesse. Lexikalische
Erfahrungen für solche Unternehmen fehlten noch, wesentliche
Herausgeberaufgaben übernahm der Verlag (die beiden theologischen
Herausgeber sollen nicht einmal in Briefkontakt gestanden haben). Die
Verarbeitung solcher Stoffmengen war ein Novum, das Einfügen in ein
Gemeinschaftswerk kaum geübt[4]. Die vollständige Neuausgabe von Wetzer
und Welte's Kirchenlexikon (1882 - 1901. - Bd. 1 - 12) zeigte schon
wesentlich mehr Professionalität, die auch durch andere Unternehmungen
gewonnen worden war. Sie betraf organisatorische (Nomenklator),
buchtechnische (Spalten) und inhaltliche Aspekte. Bemerkenswert ist,
daß die protestantische Theologie noch vor Beenden dieses Werkes
bereits mit der 3. Aufl. der nunmehr 24bändigen RE weit gediehen war
und die Führungsrolle übernommen hatte.
Mit Übernahme der Verlagsrechte an dem Kirchlichen Handlexikon (KHL),
(1907 - 1912. - Bd. 1 - 2) von Michael Buchberger beginnt die engere
Vorgeschichte des LThK. Protestantischerseits gibt es jetzt - statt
der RE - einen parallelen Weg mit den Auflagen von Die Religion in
Geschichte und Gegenwart. Dabei spiegeln beide die theologische
Zeitsituation: So ist es nicht verwunderlich, wenn man das KL als
"betont traditionalistisch"[5] bezeichnet. In der nachmodernistischen
Zeit des Pontifikats Pius X. wäre allem anderen kein imprimatur
erteilt worden. RGG1 (1909 -1913. - Bd. 1 - 5) ist dagegen Ausdruck
der in Blüte stehenden religionsgeschichtlichen Schule, die dem Werk
ja auch den Titel gegeben hat.
Die 1. Aufl. des LThK (1930 - 1938. - Bd. 1 - 10) ist von einer
Theologie geprägt, die im historischen Bereich Profil gewonnen hatte.
Die Erforschung der Scholastik (M. Grabmann zeichnete fachlich dafür
verantwortlich), der liturgischen Tradition (L. Eisenhofer), der
christlichen Archäologie (J. Sauer) mögen dafür stehen. In der
Systematik suchte man eine vorsichtige Öffnung gegenüber Lebens- und
Wertphilosophie (E. Krebs), die die Konflikte zu vermeiden suchte, die
der Modernismusstreit hervorgerufen hatte. Darin lag sicher noch eine
enge Vorstellung von Kirchlichkeit; imponierend ist aber anderseits
die Geschlossenheit des Unternehmens.
Stellt man RGG2 (1927 - 1932. - Bd. 1 - 5 + Reg.-Bd.) daneben, so ist
hier theologiegeschichtlich ein Übergangsprodukt entstanden, das
insbesondere die Umwälzungen der dialektischen Theologie noch nicht
integrieren konnte. Unter den Herausgebern seien beispielsweise H.
Gunkel, A. Bertholet, H. Stephan genannt, man sucht aber im
Mitarbeiterverzeichnis vergeblich K. Barth oder F. Gogarten; R.
Bultmann ist dagegen vertreten (u.a. Artikel M. Heidegger, der im
wesentlichen von diesem selbst stammt!).
Die nächste Serie theologischer Lexika bringt mit RGG3, LThK2, EKL
gleich drei parallele Unternehmungen.[6] Das LThK2 (1957 - 1968. - Bd. 1
- 10 + Reg.-Bd. + Erg.-Bd. 1 - 3) ist dabei am besten auf die
katholische Kirche des Zweiten Vaticanum zu beziehen, wenn man dieses
nicht bloß auf das Ereignis beschränkt, sondern die theologische
Vorbereitung besonders in Frankreich und Deutschland hinzunimmt.[7] Denn
obwohl es Jahre vorher zu erscheinen begann und die Ergebnisse des
Konzils erst in den drei Ergänzungsbänden dokumentiert werden konnten,
kann man es sachlich durchaus als Ausdruck der Konzilstheologie sehen.
Der (verspätete) Durchbruch der historisch-kritischen Bibel-Exegese im
katholischen Raum, die Aufnahme der noch kurz vorher suspekten
nouvelle th‚ologie und vor allem auch der theologischen Systematik
Karl Rahners - der nicht nur als Herausgeber fungierte, sondern auch
mit vielen grundlegenden, vor allem auch wissenschaftstheoretischen
Artikeln (neben viel Lückenbüßerarbeit) das Werk prägte - sind
Kennzeichen dafür und machen diese Ausgabe zu einem
theologiegeschichtlichen Zeitdokument.
Wieder ist ein Blick auf RGG3 (1956 - 1965. - Bd. 1 - 6 + Reg.-Bd.)
lehrreich. Hier hat man gewissermaßen ein theologisches Stadium
übersprungen, indem bereits die Schülergeneration der Barth, Bultmann
etc. dominiert. Der Titel des Werks wirkt jetzt nach Barths
Denunziation von "Religion" und ihren Nachwirkungen einigermaßen
schief. Der Artikel Hermeneutik von G. Ebeling mag als Programm für
diese Auflage stehen; ein Blick ins Register zeigt aber eine ganze
Reihe aus heutiger Sicht interessanter Namen, die man nicht unbedingt
in diesem Zusammenhang suchen würde (z.B. H. Blumenberg).
Eine Erwähnung verdient nunmehr auch das Evangelische Kirchenlexikon
(EKL) (1956 - 1961. - Bd. 1 - 4). Mit Übernahmen aus dem Calwer
Kirchenlexikon und dem Nordisk teologisk uppslagsbok war hier ein
dreibändiges Werk mit "kirchlichem" Schwerpunkt geschaffen, das doch
schon in die Nähe der genannten umfassenderen und größeren
Enzyklopädien kam und sich durch seinen praktischen Charakter als
Nachschlagewerk auszeichnete.
Das aus den internationalen Beziehungen der Konzilszeit entstandene,
auch in englischer, französischer, spanischer und niederländischer
Sprache erschienene "Theologische Lexikon für die Praxis" Sacramentum
mundi (SM) (Freiburg : Herder, 1967 - 1969. - Bd. 1 - 4) dokumentiert
die Internationalität und die größere Offenheit der katholischen
Theologie nach dem Konzil, steht aber letztlich vor demselben
Hintergrund wie das LThK2 (und wird auch in vielem von den gleichen
Autoren getragen). Als Mischform zwischen Überblicks- und
Nachschlagewerk stellt es sozusagen einen Seitentrieb in unserer
Filiations-Geschichte katholisch-theologischer Lexika dar. Herders
theologisches Taschenlexikon (1972 - 1973. - Bd. 1 - 8) ist dagegen
nur eine nach unklaren Kriterien zusammengestellte Mischung aus
Artikeln beider Werke (LThK2 und SM), die lediglich bibliographisch
ergänzt wurde. Für den studentischen Gebrauch mag es dennoch ein
sinnvolles Unternehmen gewesen sein. Original-Taschenbuchausgaben
waren im folgenden ein besserer Weg.[8]
Etwa dreißig Jahre nach Abschluß des LThK2 hat sich die theologische
Landschaft verändert. Wir kommen damit vom historischen Überblick zur
gegenwärtigen Lexikographie. Die bislang genannten Werke weisen
wesentlich eine konfessionelle Prägung auf, so sehr auch die
Entwicklung zur Objektivität in der Darstellung anderer Standpunkte
festzustellen ist, etwa durch Mitarbeiter anderer Konfession in LThK2.
Einen Meilenstein stellt auch in dieser Hinsicht die Theologische
Realenzyklopädie (TRE) dar, die sich zwar in die Tradition der RE
stellt, aber die konfessionelle Spitze schon im Titel vermeidet.
Lexikalisch gesehen repräsentiert sie einen eigenen Typ: Ein
eingeschränkterer Nomenklator ermöglicht es, zu den Hauptthemen
Darstellungen von monographischem Umfang zu liefern, die in vielen
Fällen geradezu als Forschungsbeiträge, nicht nur als lexikalische
Zusammenfassung angesehen werden können - gewissermaßen wieder eine
Anknüpfung an Werke des 19. Jahrhunderts. Daß man auch den in Lexika
üblichen Spaltensatz vermeidet, zeigt ebenfalls, daß hier ein
"Lesewerk", nur bedingt ein "Nachschlagewerk" konzipiert worden ist.
Bandregister und ein Zwischenregister zu Bd. 1/17[9] machen die Suche
unter Feinaspekten allerdings möglich, was jedoch Einzelartikel zu
diesen oft nicht ersetzen kann. Durch eine Taschenbuchausgabe der
Bände 1 - 17[10] - für den Rest kann man eine solche nach Abschluß des
Werkes erwarten - macht auch dieses Monument den erfreulichen
Vermarktungstrend für theologische Großlexika mit. Trotz der
inhaltlichen Dominanz kann die TRE aber wegen ihrer Anlage die
Funktion des theologischen enzyklopädischen Nachschlagewerks nicht
wahrnehmen. Zudem ist ein solcher "Koloß" letztlich auch von Umfang
und Preis her auf eine engeren wissenschaftlichen Zirkel beschränkt.
Trotz gleichen Titels wie die früheren Auflagen ist auch die seit 1986
erscheinende 3. Aufl. des - bei Abschluß vermutlich vierbändigen
- Evangelischen Kirchenlexikons (EKL3)[11] den Weg zu einer
interkonfessionellen Enzyklopädie gegangen. Die "ökumenischen
Pespektiven", der "gesellschaftliche Wandel" und die
"sozio-kulturellen Einflüsse" sind als "Herausforderungen der Zeit" im
Vorwort hervorgehoben, über die es "Rechenschaft" abzulegen gilt.
Damit sind Punkte genannt, die sich auch bei der Lektüre des LThK3
aufdrängen. Eine Parallelität gerade in den Unterschieden zu den
Vorgängerausgaben ist zwischen den dritten Auflagen von EKL und LThK
nicht zu übersehen.
Zur Skizzierung der gegenwärtigen Situation ist aber auch
Gegenläufiges zu nennen. Die konfessionellen Identitätskrisen, wie sie
sich kirchlicherseits in verschiedenen Gruppierungen,
katholischerseits auch in manchen römischen Äußerungen und Maßnahmen
zeigen, machen es verständlich, daß auch von hier aus lexikalische
Arbeit konstruiert werden könnte bzw. kann. Einziges größeres Beispiel
ist bislang in Deutschland das Evangelische Lexikon für Theologie und
Gemeinde (ELThG).[12] "Unser Lexikon will eine Stimme des
deutschsprachigen Protestantismus sein, und zwar desjenigen Teils des
Protestantismus, der vom Pietismus und der Erweckungsbewegung geprägt
ist und sich für Impulse aus der weltweiten evangelikalen Bewegung
offenhält." Immerhin ist der eingeschränkte Nomenklator nicht zu eng.
Ein so typisch katholischer Denker wie Maurice Blondel ist z.B.
dargestellt. Aufmachung und Stil des Lexikons zielen auf ein breiteres
Publikum. So ist etwa die Beigabe von Abbildungen zu Personenartikeln
zu nennen - sicher angebracht, aber viel Platz verbrauchend. Bedenken
wird ein Theologe anderer Schule bei den hermeneutischen
Voraussetzungen haben, die in vielen Artikeln - besonders im
Sachbereich Bibel - durchscheinen, wobei gerade die Kompetenz im
Realien-Bereich der evangelikalen Forschung zugegeben werden kann.
Doch ist konfessionelle Pointierung bei der Lektüre immer deutlich
einzubeziehen. Wenn man vom Informationsgehalt ausgeht, so ist das
Lexikon gerade als "positionelle" Literatur interessant. Über Billy
Graham wird man vermutlich im 4. Bd. des LThK3 weniger finden und auch
im EKL3 fehlt das Stichwort. Aus bibliothekarischer Sicht machen
solche thematischen Spezialitäten ein Lexikon natürlich bedeutsam,
auch wenn es in manchen Darstellungen etwas quer zum derzeitigen
überkonfessionellen wissenschaftlichen Konsens steht.
Der Überblick wäre noch durch einige kleinere Werke zu ergänzen.
Herausheben könnte man etwa das in Zusammenarbeit zwischen einem
evangelischen und einem katholischen Verlag erschienene einbändige
Wörterbuch des Christentums[13]; doch sprengt das bereits den Rahmen
unserer Übersicht.
In diesem Umfeld ist nun die Eigenart des neuen LThK3 zu skizzieren.
Der schon vom LThK2 begonnene Weg korrekter überkonfessioneller
Information ist konsequent weiter begangen. Das LThK3 steht hier in
einem Strom mit der TRE und dem EKL3. In vielen Bereichen sind
Differenzen der konfessionellen Herkunft heute nicht mehr relevant
- trotz ELThG. Gebiete, die durch historisch-kritische Forschung
abgedeckt sind, spiegeln oft eher andere hermeneutische Differenzen
wider; die konfessionellen Grunddifferenzen lassen sich zudem selbst
historisch-kritisch objektivierend explizieren (alles andere wirkt
unangebracht aufgeregt; das ließe sich etwa an manchen Stellungnahmen
zu den Ergebnissen des Ökumenischen Arbeitskreises zu den
Lehrverurteilungen der Reformationszeit belegen, um am Beispiel zu
argumentieren). Das Bemühen um Objektivität wirkt sich auch in der
Sprache der Artikel aus. Ein genaueres Vergleichen zeigt, daß noch im
LThK2 vielfach eine moralisierend-wertende Terminologie verwendet
wurde, die hier einem distanzierenden und objektivierenden
Darstellungsmodus weichen muß. Standpunktbezogene Aussagen werden
deutlicher als solche gekennzeichnet. Daß man damit nicht in der Spur
sogenannter "postmoderner" Beliebigkeit steht, soll vorsichtshalber
aber eigens betont werden.
Neben diesen geänderten Rahmenbedingungen fällt die organisatorische
Konzeption des Ganzen auf. Durch EDV-Unterstützung sind heute zwar
kalkulatorische Vorgaben (etwa zu Umfangsplanung) leichter als früher
zu machen und durchzuhalten; die ursprünglich auf 30 Bd. geplante TRE,
die jetzt bis "M" bereits 23 Bd. verbraucht hat, oder das Historische
Wörterbuch der Philosophie, das auf 6 Bände geplant war und dem
Abonnenten bis Sc bereits 8 Bd. zur Abrechnung vorlegte, belegen aber,
daß solches nicht selbstverständlich ist. Der 1. Bd. des LThK3 läßt
jedenfalls erkennen, daß man gewillt ist, strikt die Vorgaben
einzuhalten. Das Werk bleibt damit bei seinem Nachschlagecharakter. Es
bietet hochkomprimierte Informationen auf engem Raum und im Vergleich
zu anderen Enzyklopädien einen umfangreichen Nomenklator an. Natürlich
waren dadurch Kürzungen unvermeidbar, selbstverständlich auch einige
bedauerliche.
Fragt man nach den inhaltlichen Unterschieden zur Vorgängerauflage, so
ist zum einen ein Drittel-Jahrhundert nachzutragen. Das beginnt bei
Biographischem und zeigt gleichzeitig (nachvollziehbare) Wertungen:
eine Verweisung bei Abb‚ Pierre, 24 Zeilen zu Karl Adam, 26 zu Pedro
Arrupe, 156 zu H. U. von Balthasar.[14] Es betrifft zweitens Ereignisse:
so ist "1989" bereits rezipiert (z.B. s.v. Atheismus, Sp. 1141, oder
man vgl. z.B. die Darstellung der ökumenischen Aktivitäten in
Anglikanische Kirche). Drittens gibt es kirchliche, liturgische oder
kanonistische Neuerungen, die erläutert sein müssen: Abendmesse (wobei
viel Material aus dem alten Artikel stammt). Viertens ist die
theologische Bedeutung säkularer Fakten ganz anders erkannt: Auschwitz
war 1957 noch kein Stichwort und es fehlt auch im Zwischenregister zur
TRE, während es im LThK3 fast drei Spalten einnimmt. Fünftens ist die
soziale Situation verantwortlich für Begriffe wie Alleinerziehende
oder Aussiedler(in); "Ausländer" gibt es nun zusätzlich zu
Ausländerseelsorge und Asyl und Asylant(in) haben einen wesentlich
größeren Umfang als vormals Asylrecht. Sechstens wurden Artikel zu
Einzelbegriffen manchmal wohl deshalb nötig, weil die differenziertere
Diskussion die Subsumption obsolet gemacht hat: Statt der Verweisung
Atomwaffen s. Krieg gibt es jetzt ABC-Waffen, einen eigenen Artikel
Abschreckung usw.
Auch wenn die Zeit, in der andere Wissenschaften ancillae theologiae
waren, längst vorbei ist, so ist aus Sicht der Theologie die Zahl der
"Hilfswissenschaften" nicht vermindert worden. Anders ausgedrückt: Der
Blick auf andere Wissenschaftsbereiche ist geschärft worden, und das
drückt sich besonders im Bereich der Humanwissenschaften aus.
Zunächst zum sozialwissenschaftlichen Bereich, der vielfach mit dem
caritativen, anderseits mit dem sozialethischen Komplex verbunden ist.
Schon oben tauchten Begriffe auf, die wir aus der sozialen Situation
hergeleitet haben. Das läßt sich hier erweitern. Beispiel: der Komplex
Arzt (nebenbei: wenn Aussiedler(in) dann doch auch Arzt/Ärztin? Oder
soll man es nicht besser gleich mit Konrad Duden halten? Einem
strikten Feminismus wird ein LThK ohnehin nicht genügen können).
Im sonstigen geisteswissenschaftlichen Bereich gibt es eine größere
Breite. Die (Kirchen-)Musik wird man noch zum klassischen Feld des
LThK zählen können. Daß das Lexikon nun mit a capella beginnt, ist
zwar nur der neuartigen Alphabetisierung zuzuschreiben (früher unter
acapella eingeordnet). Neu aufgenommen ist aber z.B. Jehan Alain. Daß
man weiterhin ganze Artikel zu Hymnen und Antiphonen (Ad cenam agni
providi; Audi benigne conditor; Ave maris stella ...) findet, ist ein
großer Vorzug auch des LThK.
Der Bereich Literatur bietet überraschend viele Personenartikel: W. H.
Auden, I. Aichinger, I. Bachmann, - wobei die Frage ist, wer welche
Information gerade in diesem Lexikon sucht. Die genannten Artikel
scheinen mir ein Gefälle in Richtung einer gewissen Beliebigkeit
aufzuweisen, was daran liegt, daß die Artikel - je knapper sie sind
desto leichter - nur noch biographische Daten verzeichnen können und
nicht auf den Rahmen religiöser bzw. theologischer Information bezogen
sind. Genau diese findet man aber auch bequem anderswo. Prinzipiell
ist der Ausbruch aus einer Engführung gerade hinsichtlich der
Literatur natürlich zu begrüßen.
Die Philosophie als die klassische ancilla war immer schon gut
dokumentiert, ist dies nun aber auf "modernere" Weise: Es gibt keine
katholische Eigenphilosophie mehr, wie sie die schulmäßige
Neuscholastik zuletzt bot. Personenartikel erhalten Autoren nach Rang,
nicht nach Richtung und ohne "katholische" Wertungen (neu etwa Th. W.
Adorno; H. Arendt; J. L. Austin; A. J. Ayer).
Hinsichtlich der systematischen Theologie wird man konstatieren
dürfen, daß wir uns einerseits heute in einer historisierenden Epoche
befinden. Das Wagnis geistiger Durchdringung von einem systematischen
Ansatz aus, wie es Rahners Beiträge zum LThK2 (und SM) zeigen, findet
man im LThK3 kaum. Aber das gilt heute ja auch für monographische
Arbeiten in der Theologie. Der Bezugsrahmen ist eher eine historisch
aufgeklärte, hermeneutisch differenzierte Theologie. Es kann
vermutlich auch nicht anders sein, da die Lexikographie nur ein
Spiegel der realen Situation ist. Beispiele dafür, wie sich
systematische Deutungsversuche zu hermeneutisch differenzierten
Darstellungen verschieben, bietet etwa das Stichwort Abendland. Bei
Anthropologie ließe sich ähnliches zeigen, - beidemal stehen
Rahnersche Artikel im Vorgängerwerk.
Selbstverständlich lassen sich bei einem solchen Werk auch manche
Dinge kritisieren. 1. Einiges mag an der rigorosen Umfangsbegrenzung
liegen. Augustinismus ist auf zwei Spalten kaum darstellbar, dennoch
sollte - wenn man Scheler nennt - die viel genuiner augustinische
philosophische Tradition von Malebranche bis Blondel nicht fehlen.
Nebenbei: Der philosophische Augustinismus hätte einen eigenen Punkt
verdient und ist nicht so eng katholisch anzusetzen; bis Husserl und
Heidegger reicht er schon. Zur Entschuldigung sei aber angeführt, daß
die TRE (Bd. 4, S. 721 ff.) trotz ihres Platzvorrats genau die gleiche
Informationslücke aufweist und hier keineswegs mehr bietet. 2.
Unterschiedlicher Meinung kann man selbstverständlich manchmal bei den
knappen Literaturangaben sein. Unklar ist, wie man es mit
Übersetzungen hält: Blondels Zur Methode der Religionsphilosophie
(1974) hätte m.E. jedenfalls Sp. 842 beigegeben werden müssen (gut
ebd.: Bouillard); die Nennung des Sonderdrucks (?!) der originalen
Zeitschriftenveröffentlichung dieser Arbeit ist bibliographisch
ohnehin unsinnig und wird im bibliothekarischen Signierdienst Pein
verursachen. 3. Gibt es ein Mißtrauen gegenüber möglicher
Kurzlebigkeit der neuen elektronischen Medien? So hätte man in dem
sehr guten Augustinus-Artikel bei den Werken sicher die elektronisch
vorliegende Gesamtausgabe im CLCLT nennen müssen. 4. Auch der
Nomenklator läßt sich befragen. Bei den Autorenartikeln der Literatur
haben wir das oben in Richtung "zu viel" angedeutet. Es gibt leider
auch Kürzungen, die sehr diskutabel sind. So kommen aus der
Arnauld-Familie nur noch MŠre Ang‚lique und der "große" Antoine vor.
Der Hinweis auf die Familie am Anfang des Artikels wirkt daher ortlos.
- So könnte man sicher leicht noch weiteres finden. Die Aufreihung
zeigt allerdings, daß solche Einschränkungen für die Beurteilung des
Ganzen letztlich recht wenig bedeuten, auch wenn man einige
Einzelentscheidungen bedauerlich findet.
Buchtechnisch gesehen ist das Lexikon von der Typographie her
"moderner", lesbarer gestaltet. Das etwas kleinere Format ist bei
längerer Lektüre - ohne Schreibtisch - angenehmer. Die Verarbeitung
wirkt solide. Es fehlen allerdings die früher vorhandenen
Kunstdrucktafeln, was bedauerlich ist, da manche Gegenstände (z.B.
Altar) nach Abbildungen verlangen. Karten sind in einfacher
Strichzeichnung vorhanden. Bei den Beigaben ist das selbständig
publizierte Abkürzungsverzeichnis zu nennen. Es ist im übrigen ein
indirektes Produkt der bereits oben erwähnten bibliothekarischen
Kärrnerarbeit von Siegfried M. Schwertner. Es ist gut, daß man bei
ähnlichen Unternehmungen - und so auch beim LThK3 - heute auf
grundsätzliche Kompatibilität zu Schwertner setzt.
Fragt man nach der kirchlichen Aufgabe des Lexikons bzw. seiner
Bedeutung im katholischen Raum, so kann man zum einen froh sein, daß
kein katholisches Werk nach dem Vorbild des ELThG als KLThG
zustandegekommen ist. Inhaltlich zeigt schon eine kurze vergleichende
Durchsicht, daß eine Neubearbeitung nach einer Generation bei solchen
Werken allemal wünschenswert, sachlich gesehen sogar unvermeidlich
ist. Man wird gespannt sein dürfen, wie sich ggf. RGG4 in dem nun
"gefüllteren" Raum theologischer Lexikographie daneben ausmachen
wird.
Überblickt man die deutschsprachigen theologischen Lexika im
internationalen Rahmen, so kann man ihr bei den Großunternehmen
insgesamt wohl einen guten Stand bescheinigen. Die französischen
Monumentalwerke, deren Laufzeit meist viele Jahrzehnte umspannt, sind
zum Teil in ihren ersten Bänden längst veraltet, bevor sie zu einem
Abschluß gelangen. Beispiele sind das Dictionnaire de th‚ologie
catholique [1 (1909) - 16 (1967)] - dessen Erscheinen sich in
Wirklichkeit von 1903 bis 1972 erstreckte, aber auch das in vielem
sehr gute und m.E. eher zu wenig benützte Lexikon Catholicisme [1
(1948) - ; derzeit bis solitude] und das ausgezeichnete, aber
ebenfalls seit 1932 erscheinende und jetzt gerade abgeschlossene
Dictionnaire de spiritualit‚ [1 (1937) - 16 (1994)] oder das seit 1909
erscheinende Dictionnaire d'histoire et de g‚ographie eccl‚siastiques
[1 (1912) - ; derzeit ist Bd. 24 (1993) abgeschlossen und das erste
Faszikel von Bd. 25 reicht bis Hyacinthe ...].[15] Der angloamerikanische
Raum bietet viele einzelne Werke, als katholisches Gesamtprojekt ist
die New catholic encyclopedia [1 (1967) - 15 (1967)] aber auch bereits
veraltet. Das hier übliche Prinzip, solche Werke mit einem Schlag auf
den Markt zu bringen, läßt hoffen, daß sich dies ebenso überraschend
wieder ändern kann. Interessant ist der italienische Sprachbereich, wo
viele Teilbereiche sehr gut abgedeckt sind - etwa in den theologischen
Fachlexika der Edizioni Paoline, so daß hier fast nur noch der
Datenpool ergänzt und zusammengespielt werden müßte! Die EDV dürfte
solche Perspektiven eröffnen. Das Hantieren mit einer Reihe
spezifischer Fachlexika im Gesamtbereich Theologie ist aber auch an
sich nicht uninteressant, gerade hinsichtlich der Aktualisierbarkeit.
Eine Gesamtbeurteilung eines Lexikons nur nach dem ersten Band ist
naturgemäß nicht möglich. In einzelnen Rezensionen ist das meist vom
Standpunkt einer bestimmten theologischen Fachkompetenz schon
geschehen. Zwischenbilanzen unter einzelnen Aspekten haben wir oben
schon gezogen. Von Anlage und Größenordnung her kann man aber doch
noch einige Aussagen anfügen. Das LThK3 wird zweifellos seinen
Vorgänger ersetzen. Es enthält zu viel an neuer Information, als daß
Bibliotheken und wissenschaftliche Benutzer daran vorbeigehen könnten.
Es ist zu hoffen, daß auch der Durchbruch bei einem im weiteren Sinne
theologisch oder kirchlich interessierten Publikum gelingt, wie dies
beim Vorgänger in der Aufbruchstimmung der sechziger Jahre möglich
war. Das LThK2 bleibt dabei zweifellos ein bedeutendes Dokument einer
wichtigen theologiegeschichtlichen Epoche und wird für entsprechende
Fragestellungen weiterhin zu nutzen sein.
Für den Bibliothekar ist zudem die Terminologie des neuen LThK3 von
Bedeutung. Als Referenzwerk für die Katalogisierung nach RSWK ist
LThK3 inzwischen an Stelle des LThK2 zu benutzen.
Am Ende drängt sich die Spekulation auf, ob solche Werke von der
technischen Konzeption her in Zukunft noch möglich sind. Gerade für
die lexikalische Information bieten elektronische Medien ja
vielfältige Möglichkeiten: Recherche, Verknüpfung mit Bild und Ton,
Datenübernahme usw. Sobald die Entwicklung hier zu Standards geführt
hat, die sich nicht alle paar Jahre ändern, wird man andere
Konzeptionen - als Ergänzung oder als Ersatz - entwickeln müssen. Dazu
kommt, daß die Preisentwicklung auf diesem Gebiet einen großen
potentiellen Käuferkreis erst bei Sekundärvermarktungen einsteigen
läßt (wie die oben genannten Taschenbuchausgaben zeigen). Als
Bibliothekar kann man sich angesichts eines auch buchtechnisch schönen
Werkes einer leichten Nostalgie nicht erwehren.
Albert Raffelt
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