Der zweite Teil ist Organe überschrieben. Organe heißt hier Periodika, und wenn man die Einführung genau gelesen hat, weiß man, daß es sich hier auch um die Liste der ausgewerteten Peridodika handelt, während sich ganz am Ende - hinter den Registern - eine Liste der nicht ausgewerteten Bibliographien und Organe findet. Hochland und Das innere Reich finden sich in der Liste der Organe, die Corona nicht, obwohl aus ihr verschiedene Beiträge des "betörten Germanisten" (M. Rall) Josef Nadler zitiert sind. Gibt es also noch eine dritte, eine "virtuelle" Liste der zwar nicht verzeichneten, aber doch ausgewerteten Organe? Wieder Konfusion!
Den größten Teil des Abschnitts Literaturgeschichte nehmen Arbeiten zu - nach welchem Prinzip ausgesuchten? - einzelnen Autoren (von E. M. Arndt über Heine zu Wieland) ein. Darunter sind wahllos gemischt Arbeiten, die im Titel zu erkennen geben, wie sich die Wissenschaft an das politische System verraten hat, oder deren Verfasser sich als Wissenschaftler oder Literaten den Nazis angedient hatten (z. B. Heinz Kindermann, Franz Koch, Hermann Pongs oder Walter Thomas), aber auch solche Veröffentlichungen, in denen sich die riskierte Distanz zu den Nazis zeigt, etwa das Claudius-Buch von Bruno Adler (der Name Urban Roedl ist nicht als Pseudonym für Adler erkannt), der Gryphius-Aufsatz von Johannes Pfeiffer im Inneren Reich oder eine im Hochland erschienene Quellenedition von Briefen der Günderrode (noch als Günderode angesetzt).
Obwohl die entsprechenden Organe ausgewertet sind, wird zur Überraschung und Enttäuschung weder unter Literaturkritik noch unter Literaturgeschichte dokumentiert, wie sich die nationalsozialistische Literaturlenkung in diesen Zeitschriften durch "Förderung" der systemkonformen Autoren niedergeschlagen hat: nicht die Lobhudeleien eines Franz Koch auf E. G. Kolbenheyer 1941 in Dichtung und Volkstum oder auf Johannes Linke 1934 in der Neuen Literatur; nicht Franz Tumlers entgleiste Geburtstagsadresse an Hanns Johst 1940 im Inneren Reich; nicht Siegfried Caspers Johst-Buch (1940); nicht die "Literaturkritik" zu Grenzlandroman und -erzählung, wie sie sich 1939 in der (ausgewerteten) Zeitschrift für Deutschkunde spiegelt usw. usw. Hier wäre viel Interessantes, beinahe alles noch zu heben gewesen, wofür gern der Abschnitt Literaturgeschichte hätte ausgedünnt werden können.
So kommen auch all die Versuche nationalsozialistischer Literaturlenkung nicht in den Blick, die bereits vor der Machtergreifung auf publizistischer Ebene (aber teilweise, etwa in Thüringen, auch schon auf der institutionellen) stattfanden und in denen sich die erwähnte Kombination aus Unterdrückung und "Förderung" bereits abzeichneten. Zu diesem Komplex geben Hillesheim/Michael[1] mehr her.
Der zweite Teil mit der Forschungsliteratur bietet viel, wieder in
einer wenig übersichtlichen Systematik, aber nicht genug, manchmal
auch zuviel. Er ist auch mit dem ersten Teil nicht abgestimmt: So
fehlt die grundlegende Monographie von Marlene Rall,[2] in der u. a.
auch von den Gründen gehandelt wird, warum J. Nadler als Beiträger
geduldet wurde. Zur Bücherverbrennung werden drei Seiten von Björn
Engholm angeführt, die 30 Seiten aus R. Wittmanns Geschichte des
deutschen Buchhandels zur NS-Zeit fehlen. Bei der unter Nr. 694
zitierte Autorin M. Elstermann handelt es sich um die bekannte
Buchhandelshistorikerin Estermann.
Zu den Titelaufnahmen (für die Monographien folgen sie strikt den RAK
mit aller daraus für eine Bibliographie resultierender Redundanz)
finden sich gelegentlich unverständliche Notizen: Da heißt es zu J.
Carl Ernst Sommer (Nr. 5548) "Vollständiger Vorname nicht zu
ermitteln"; richtig wäre "nicht ermittelt", denn der Vorname Johann
ist bekannt; da wird bei einem FAZ-Artikel aus dem Jahre 1957 (Nr.
7106) mitgeteilt "Seitenzahl nicht zu ermitteln" (Kommentar
überflüssig!). Das Verfasserregister hätte nach der EDV-Rohfassung
eine redaktionelle Überarbeitung erfahren müssen: dann wären die
verschiedenen von Hans Frank gezeichneten Dokumente nicht bald nur
unter dem Nachnamen, bald unter dem vollen Namen (durch
dazwischengeordnete Einträge unterbrochen) zu finden.
Der zweite Band überzeugt von Konzeption und Durchführung her ungleich
mehr als der erste. Er gliedert sich formal in die Rubriken:
A Allgemeine Bibliographien (Handbücher, Nachschlagewerke ..)
AA Allgemeine Bibliographien (nach 1945 erschienen)
B Bibliographien von staatlichen und parteiamtlichen
Institutionen
C Bibliographien von Personen und Institutionen des
Büchereiwesens
D Ablehnungs-, Säuberungs-, Verbotslisten
DD Ablehnungs-, Säuberungs-, Verbotslisten (nach 1945 erschienen)
E Bestandsverzeichnisse von Bibliotheken
F Auswahlverzeichnisse von Bibliotheken
G Verzeichnisse, Kataloge von Ausstellungen
GG Verzeichnisse, Kataloge von Ausstellungen nach 1945
H Bibliographien von sonstigen Personen und Institutionen
Unter den nur 19 Titeln zu A (darunter mehrere
Übersetzungsbibliographien) fehlt die DNB, obgleich in AA (24 Titel,
darunter das Handbuch der Exilpresse, H. Fromms Bibliographie
deutscher Übersetzungen aus dem Französischen) völlig zu Recht die
1949 publizierten Ergänzungen 1 und 2 zur DNB verzeichnet sind.
Die Abschnitte B - H (ohne DD und GG) machen den wichtigsten Teil des
ganzen Unternehmens aus. Hier wird künftiger Forschung ein so
umfangreicher Materialfundus erschlossen, daß von seiner
wissenschaftlichen Bearbeitung wirklich neue Erkenntnisse zu erwarten
stehen. Vom Reichspropagandaministerium über das Deutsche
Auslandsinstitut, über OKW, DAF, KdF, BdM, NSLB bis zu den in der
entsprechenden Reicharbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen
Werksbüchereien reichen die Dokumente der an der Literaturlenkung
beteiligten Einrichtungen. So werden - um nur ein Beispiel zu nennen
- die bereits 1934 in Danzig einsetzenden Versuche der
Literaturlenkung
durch die Nazis durch einschlägige Quellenhinweise in den Blick
gerückt.
DD bringt einige Quellen, die sich auf die Maßnahmen zur Reeducation
durch die Westalliierten bzw. die sowjetische Literaturpolitik in der
SBZ beziehen; in der Rubrik GG fehlt nun gerade der unter Nr. 6596 im
ersten Band nachgewiesene große Katalog der Berliner Akademie der
Künste von 1983.
Im Gegensatz zum ersten ist der zweite Band als annotierte
Bibliographie angelegt. Die Annotationen bieten zu den einzelnen
Bibliographien folgende Informationen: Kurzcharakteristik (ggf. durch
Zitat aus Vorwort o. ä.); Besitznachweise nach der Sigelliste des
Leihverkehrs; Erscheinungsweise; Typen des verzeichneten Schrifftums;
Anzahl der verzeichneten Titel; Charakteristik der Bibliographie
("anzeigend", "empfehlend", "verbietend" usw.); Art der
Titelaufnahmen; Anlage usw. Am Schluß stehen jeweils einige
Deskriptoren.
Der zweite Band ist durch folgende Register erschlossen:
Chronologisches Register (nach Jahren),
Personen-, Körperschafts-, Titel-, Reihen- und Sachregister. Es fehlt
ein Ortsregister, was um so mehr zu bedauern ist, als eine Vielzahl
von Nachweisen sich auf lokale literaturpolitische Aktivitäten
(Danzig, Wien) bezieht.
Hans-Albrecht Koch
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