Neben den augenfälligen Vorteilen des Systems, vor allem der optimalen, methodisch variablen Erschließung, demonstrieren die neuen Bände erneut auch einige Probleme. Es bleibt die Tatsache, daß ein solch differenziertes System an den Rand des Überschaubaren gerät, wobei die Verwendung von kombinierten Buchstaben-Ziffern-Notationen (statt leichter durchschaubarer, auch für die EDV praktikablerer rein numerischer) zusätzliche erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem besteht die Gefahr, daß die gleichermaßen (nur in umgekehrter Reihenfolge) aus Buchstaben und Ziffern zusammengesetzten Gruppenbezeichnungen des Materialbandes mit den Notationen in den systematischen Teilen des Erschließungsbandes verwechselt werden können.
Die Bindung an den Bestand des Hölderlin-Archivs bringt es mit sich, daß im Vergleich zu den Hölderlin-Kapiteln der über einen Bibliotheksbestand hinausgehenden Weimarer Internationalen Bibliographie zur deutschen Klassik 1750-1850[3] nur ca. 75 % der aktuellen Literatur nachgewiesen werden. Etwas günstiger sieht es lediglich im Teil D aus, der die Rezensionen verzeichnet. So erhebt sich in einer ganzen Reihe von Fällen die Frage, ob bestimmte Publikationen deswegen ausgeschlossen wurden, weil es sich um Nachauflagen oder Nachdrucke handelt. Im Sinne des in den beiden (gleichlautenden) Einleitungen bekräftigten Strebens nach Vollständigkeit (S. XIV beider Erschließungsbände) sollten jedoch solche Veröffentlichungen wie z.B. der Reprint des Bandes 6,2 der Großen Stuttgarter Ausgabe (1991) der Werke Hölderlins oder die 5. Aufl. des Hölderlin-Buches von P. Bertaux (1991) unbedingt angezeigt werden. Wichtiger als ein Zeitungsaufsatz sind sie allemal, auch als Teil der beabsichtigten Dokumentation der Wirkungs- und Forschungsgeschichte. Als Verzeichnis mit erfreulich kontinuierlich-periodischer Erscheinungsweise bringt die IHB mit Recht auch Nachträge zu den bisherigen Bänden: der älteste betrifft das Jahr 1790 (IHB 1989/90, Nr. 96)! Der Anteil dieser Nachträge ist allerdings relativ hoch, in der Folge 1989/90 43 %, in der Folge 1991/92 über 53 %. Insofern vermißt man den Hinweis "mit Nachträgen aus früheren Jahren" auf den Titelblättern, die in der jetzigen Form einen Anspruch vertreten, der nicht voll eingelöst wird.
Die Modernität und Aussagefähigkeit der IHB wird wesentlich gefördert durch jene Teile, in denen ergänzende Materialien zur Zeit und zu den Zeitgenossen Hölderlins oder spezielle Dokumente zur Wirkungsgeschichte nachgewiesen werden. Das große, oft schwer überschaubare Feld der Theaterinszenierungen, Filme, Werke der bildenden Kunst und Illustrationen, Vertonungen, Kompositionen und entsprechender Aufführungen und Konzerte wird mit bemerkenswerter Dichte dokumentiert. Auch die Zeugnisse der literarischen Behandlung von Hölderlins Leben und Werk von Volker Braun über Peter Härtling bis Uwe Zellmer werden mit Akribie zusammengetragen. Ein umfangreicher eigener Hauptabschnitt verzeichnet Rezensionen. Eine unverdiente Nebenrolle spielt der (auch nicht sehr glücklich mit Ausgewertete, in A - D nicht nachgewiesene Dokumente überschriebene) Anhang. Hier findet man (sofern man sie überhaupt dort sucht) solch wichtige Periodica und Sammelbände wie das Hölderlin-Jahrbuch, die Bad Homburger Hölderlin-Vorträge, die Tübinger Turm-Vorträge, die Pariser Hölderlin-Cahiers u. a., deren Beiträge zwar einzeln im Kapitel Sekundärliteratur verzeichnet sind, die aber auch als Gesamtpublikation unbedingt "vorn" mit einer zusammenfassenden Übersicht ihres jeweiligen Inhalts hätten verzeichnet werden müssen. Für die Benutzung günstiger wäre auch eine Zusammenfassung der verschiedenen Abkürzungs- und Siglenverzeichnisse in einem Alphabet, wobei man auch die fremdsprachigen Abkürzungen bei dieser Gelegenheit nicht nur aufschlüsseln, sondern auch übersetzen sollte (z. B. polnisch przedmowa = Vorwort usw.). Sehr praktisch ist die Übersicht der Benutzungshilfen in Kurzform auf den hinteren Buchdeckeln.
Die bibliographischen Beschreibungen, aber auch die vielfältigen verbalen und numerischen Eintragungen in die verschiedenen alphabetischen und systematischen Register sind sehr gründlich und zuverlässig. Ganz selten bleiben Fragen offen; so fehlt z. B. bei Nr. 601 der Folge 1989/90 der Hinweis auf P. Bertaux und der Zeitschriftentitel zur Nr. 719 der Folge 1991/92 ist eigentlich nur der Untertitel der Zeitschrift Naucnye doklady Vyssej Skoly.
Mit den nun schon drei nach dem neuen System erarbeiteten Mehrjahresbibliographien in zusammen sechs Bänden für die Jahre 1984 bis 1992 liegt in der IHB ein beachtlicher Informationsfonds zu Hölderlins Leben, Werk und Wirkung in solider Darbietung und vielseitiger Erschließung vor. Für das weitere Fortschreiten der Bibliographie kann diese gediegene Bearbeitung ohne Zweifel erwartet werden, wünschenswert wäre auch das Nachdenken über einige der hier kurz skizzierten Probleme.
Siegfried Seifert