Gegenüber der zu ihrer Zeit hervorragenden subjektiven Bibliographie
von Hans Bürgin[2] ist die Zahl der Titelnachweise bei Potempa erheblich
höher. Diese Vermehrung betrifft nicht nur die Titel, sondern vor
allem die nachgewiesenen Drucke, seien sie von Potempa zum erstenmal
überhaupt ermittelt, seien sie erst nach dem Abschluß von Bürgins
Bibliographie erschienen. Freilich, auf die eine oder andere
Überraschung wird man immer noch gefaßt sein dürfen, und niemand weiß
das besser als Potempa.[3]
Die Titelaufnahmen folgen Bibliotheksregeln nur soweit, wie das dem
Zweck der Bibliographie entspricht. Die Aufnahmen sind außerordentlich
genau, aber redundanzfrei; im übrigen dank der vorzüglichen
Typographie ausgezeichnet zu lesen. Bei sehr seltenen Drucken gibt die
Bibliographie auch einen Besitznachweis.
Potempas Bibliographie ist wie folgt gegliedert: Teil 1. Sammlungen
(A. Gesammelte Werke; B. Teilsammlungen; C. Briefsammlungen); Teil 2.
Einzelwerke (D. Romane; E. Erzählungen, Fiorenza, Idyllen; F.
Gedichte; G. Aufsätze, Reden, Miszellen; Appendix: Empfehlungen); Teil
3. Sonstiges (H. Aufzeichnungen; I. Herausgegebene Schriften). Die
einzelne Aufnahme wird gekennzeichnet durch den Buchstaben für den
Abschnitt und eine Numerierung, die Titel und Drucken zugeordnet ist.
Mehrere Register erschließen das Material: Titelregister,
Personen- und Sachregister, Register der Zeitungen und Zeitschriften
und ein Register der Empfehlungen.
Vor allem in der Abteilung Aufsätze, Reden, Miszellen - 1.216 Nummern
bei Potempa mit zumeist durchschnittlich rund fünf nachgewiesenen
Drucken - wird sichtbar, wieviel neues Material in den letzten drei
Jahrzehnten zusätzlich bekannt geworden ist. Diese Abteilung nimmt den
größten Teil der Bibliographie ein (gut 500 Seiten). Die Anordnung
folgt - wie im ganzen Band - der Chronologie, die sich vor allem auf
die veröffentlichten Tagebücher stützen kann. Das in diesem Abschnitt
dokumentierte Material stellt an die Bearbeitung besondere
Anforderungen, die aus dem Problem variierender oder fehlender Titel
resultieren. Wegen der aufwendigen Recherche seien die Nachweise
unselbständig erschienener Vorabdrucke in Zeitungen, Zeitschriften und
Almanachen besonders hervorgehoben. Seine Nachweise annotiert Potempa
aufgrund der von ihm vorgenommenen autoptischen Kollationen durch
Angaben über Kürzungen, Erweiterungen und sonstige Korrekturen. In den
Annotationen laufen die Fäden hin und her zwischen bibliographiertem
Druck, Tagebüchern, Briefen, Kollegheften usw., aber auch den
Manuskripten in den verschiedenen Sammlungen. Das Werk bietet also
über die bibliographischen Informationen hinaus - aber eben gerade auf
der Basis genauester bibliographischer Ermittlung und der Kenntnis der
nachgewiesenen Texte - in solchen Annotationen eine Vielzahl von
Hinweisen darauf, welche Schlüsse zu Genese und Textgeschichte der
nachgewiesenen Veröffentlichungen aus den bibliographischen Daten zu
ziehen sind. Potempas Thomas-Mann-Bibliographie erreicht damit in
selten vollkommener Weise das höchste Ziel, das sich für eine
Personalbibliographie überhaupt denken läßt: mit Bezug auf die Drucke
die textkritische Grundlegung für das Werk eines Autors zu bieten.
- Ein Anhang zum Abschnitt Aufsätze, Reden, Miszellen enthält
Empfehlungen Th. Manns zu Schriften Dritter, die für verlegerische
Werbepublikationen verwendet worden sind. Diese Texte werden hier
- mit den Warnungen zu ihrer Qualität, die sich aus Eingriffen der
Verlage in Manns Wortlaut usw. ergeben können - erstmals
nachgewiesen.
Als Beispiel für die durchdachte Gliederung sei die Anordnung der
Titelaufnahmen im Abschnitt Romane - jeweils im Anschluß an kurze
Angaben zur Entstehungszeit (mit Hinweisen auf
Quellenveröffentlichungen, die zur Datierung relevant sind)
- wiedergegeben: Einzelausgaben; Weitere Ausgaben (Lizenzausgaben);
Teildrucke/Einzelausgaben; Teildrucke/Vorabdrucke;
Teildrucke/Nachdrucke. Die Nachdrucke in den Ausgaben werden nicht
wiederholt, sondern über den Index erschlossen; im Abschnitt
Erzählungen dagegen werden die Nachdrucke in den relevanten Ausgaben
angeführt.
Viel zu selten wird bei der Beurteilung von bibliographischer Arbeit
darauf geachtet, was bewußt ausgeschieden (nicht aus Nachlässigkeit
übersehen) worden ist, und aus welchen Gründen. Man kann Potempa auch
in dieser Hinsicht nur ein außerordentlich überlegtes, der Sache
angemessenes und souveränes Verfahren bescheinigen. Auf wenigen Seiten
werden unter den Briefsammlungen nur die größeren angeführt, diese
allerdings auch mit Inhaltsangaben. Auf den Nachweis der
Veröffentlichung von Einzelbriefen hat Potempa verzichtet - angesichts
der von H. Bürgin und H.-O. Mayer geleisteten Erschließungsarbeit[4] die
einzig richtige Entscheidung. Fortgelassen sind - noch einmal mit
Blick auf die textkritische Orientierung der Bibliographie
- textgeschichtlich irrelevante Nachdrucke. Solche Drucke - z. B. in
Anthologien, Lesebüchern usw. - mögen für die Rezeptionsgeschichte von
Interesse sein, sie gehören vom Konzept her nicht in die vorliegende
Bibliographie, sondern müßten Gegenstand einer eigenen Dokumentation
sein.
Eine kluge verlegerische Entscheidung ist es gewesen, das 46 Seiten
umfassende Heft mit den Konkordanzen der Bibliographien zur
Primärliteratur nicht in Potempas Bibliographie aufzunehmen, sondern
separat zu veröffentlichen. Denn diese Liste stiftet ihren Nutzen,
wenn man sie neben die verschiedenen konkordierten Bibliographien
legt. Das Heft bezieht sich in seinen beiden Teilen Alte
Bibliographien / neue Bibliographie und Neue Bibliographie / alte
Bibliographien auf Bürgins Primärbibliographie, Erich Neumanns
Ergänzung dazu, Potempas Bibliographie zur Beteiligung Th. Manns an
politischen Aufrufen, die Regesten und Register der Briefe Th. Manns
u. a. m.
Verfasser und Verleger verdienen Dank, daß sie jeder Versuchung
widerstanden haben, aus dem einmal gewählten Konzept auszubrechen. So
sind Übersetzungen in andere Sprachen in diesem Band nicht
verzeichnet, sondern einem Folgeband vorbehalten, an dem Potempa zur
Zeit arbeitet. Nach seinem Erscheinen wird für Thomas Mann dann eine
subjektive Personalbibliographie von solcher Gründlichkeit und
Qualität vorliegen, wie noch für keinen anderen deutschen Autor des
20. Jahrhunderts - ein Ruhmesblatt der Thomas-Mann-Forschung, das
freilich von keinem zünftigen Germanisten, sondern von einem
Außenseiter stammt. An den Maßstäben dieses bahnbrechenden Wurfes
werden sich künftige Personalbibliographien messen lassen müssen.
Hans-Albrecht Koch
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