Der Band enthält acht Kapitel: 1. Text und Textausgaben (Bernhard Fabian, bearbeitet von Dieter Kranz, S. 1 - 26); 2. Textverständnis (Ewald Standop, S. 27 - 49); 3. Stilistik, Textlinguistik und Metrik (E. Standop, S. 50 - 80); 4. Text, Gattung, Intertextualität (Ulrich Suerbaum, S. 81 - 123); 5. Die Geschichtlichkeit von Texten (Ulrich Broich, S. 124 - 148); 6. Der Text und seine Analyse (Peter Wenzel, S. 149 - 203); 7. Neuere Literaturtheorien (Gabriele Müller-Oberhäuser, S. 204 - 238); 8. Die wissenschaftliche Literatur und ihre Ermittlung (B. Fabian, bearbeitet von D. Kranz und Marie-Luise Spieckermann, S. 239 - 266). In einer solchen Gliederung mag man zurecht eine "Stufenfolge zunehmender Komplexität" (S. VII) erkennen; daß durch diese Ordnung die Problematik des hermeneutischen Zirkels aber nicht gelöst ist, versteht sich von selbst. So berechtigt das Anliegen des Herausgebers im übrigen auch sein mag, einen anglistischen Grundkurs mit der Frage nach der Zuverlässigkeit literarischer Texte zu beginnen, so stellt sich doch die Frage, ob Studierende, die mit dem ersten Kapitel des Bandes beginnen, hiermit nicht überfordert sind.
Man liest den weitgehend mit didaktischem Geschick konzipierten und formulierten Band mit großem Gewinn, da der für einen solchen Grundriß notwendige Kompromiß zwischen der Darstellung von Fakten und der Vermittlung von Orientierungswissen zu großen Teilen gelungen ist (eine Ausnahme bilden die allzu enzyklopädisch orientierten Ausführungen von Standop). Zu den Vorzügen des Bandes zählen auch die Warnung vor ebenso attraktiven wie gefährlichen Vereinfachungen (etwa am Beispiel der Epochenbegriffe, die für die Literatur einer bestimmten Zeit Einheitlichkeit der Ideen, Stile und Formen vortäuschen, S. 137 - 138), die Besprechung grundlegender epistemologischer Probleme (Beispiele: Einheit/Invarianz vs. Verschiedenheit aller Gegenstands- und Wissensbereiche, S. 152 - 153; die Frage nach dem Wesen von Allgemeinbegriffen, S. 142), der Einsatz für eine Pluralität der Theorien und Diskurse, die nicht notgedrungen zu Beliebigkeit und Willkür führen müsse (S. 236). Angesichts des Zwanges zur knappen Darstellung, bedingt durch die Textsorte des Grundrisses, erklären sich der weitgehende Verzicht auf Beispiele, die vielen Verkürzungen und gelegentlichen Verzerrungen. Beispielweise wird der Abstand zwischen Figurengedicht und konkreter Dichtung zu wenig reflektiert (S. 77), und mit Erstaunen liest man folgendes Statement: "Je älter ein Text ist, um so mehr sind zu seinem Verständnis Informationen über seinen historischen Kontext notwendig" (S. 126). Der Band stellt den hohen didaktischen Wert des Konzeptes der "Intertextualität" (beispielhaft aufgezeigt an der Detektivliteratur, S. 118 - 120) unter Beweis. Er zeugt auch von der unverminderten Attraktivität kommunikationstheoretischer, strukturalistischer, auf linguistischen Prämissen basierender Modelle und Instrumentarien (Beispiele: Grundmodell poetischer Techniken, S. 170; Grundmodell eines Erzähltextes, S. 174). Über weite Strecken belegt der Band auch, wie schwer sich die deutsche, eher konservative Anglistik (s. hierzu z. B. S. 146) im Gegensatz zu anderen neusprachlichen Philologien wie der Germanistik und der Romanistik mit neueren Forschungsrichtungen anfreunden mag (Beispiel: die Verurteilung der Dekonstruktion, S. 27 - 29): sicherlich auch Folge eines mehr oder weniger ausgeprägten, gelegentlich auch eingestandenen Hanges zur Theorieaskese, vielleicht auch -feindlichlichkeit. Um so willkommener ist das Kapitel über neuere Literaturtheorien, das sich vor allem mit dem Dekonstruktivismus, dem New historicism und den Gender studies beschäftigt. Die bemerkenswerten Erkenntnisse, die diese neueren Strömungen gebracht haben, werden fast ausschließlich in diesem einen Kapitel vorgetragen; die wissenschaftlichen Besitzstände der anderen traditionelleren Kapitel sollen wohl weiterhin geschützt werden. Medienwissenschaftliche Aspekte (Stichpunkte: Medialität der Information und Kommunikation, Materialität der Zeichen) werden nahezu vollständig ausgespart. So werden auch die epochalen Veränderungen, die sich durch die Einführung der neueren Medien und Informationstechnologien abzeichnen und auch die Zukunft des traditionsreichen geisteswissenschaftlichen Arbeitsinstrumentes, des Buches, betreffen (Stichpunkte: nicht-lineare, interaktive Speichermedien, Hypertext, Hypermedien) fast vollends vernachlässigt. So fehlen beispielsweise bei der Besprechung des Oxford English dictionary (S. 42 - 45) Hinweise auf die vielfältigen Zugriffsmöglichten, die sich durch das neue Speichermedium der CD-ROM ergeben. Die Bemerkung beispielsweise, man könne das altenglische Wort cempa nur unter dem Lemma kemp finden (S. 44), gilt für die CD-ROM-Version nicht mehr, da man mit Hilfe des Suchbefehls Query text hier fündig werden kann.
Der vorliegende Band ist nicht nur für den Anglisten, sondern auch für den Bibliothekar von Interesse. Insbesondere schätzen wird der Fachreferent für Anglistik
1. die den einzelnen Kapiteln beigegebenen, meist hervorragenden Auswahlbibliographien, mit deren Hilfe sich der unverzichtbare Grundbestand einer anglistischen Bibliothek definieren läßt;
2. die auch für das fachliche Auskunftsgespräch aufschlußreichen Hinweise zum OED und anderen Wörterbüchern (S. 42 - 46);
3. das Kapitel über die neueren literaturtheoretischen Strömungen;
4. das aus fachbibliographischer Hinsicht lesenswerte Kapitel über die
wissenschaftliche Literatur und ihre Ermittlung, das freilich der New
Cambridge bibliography of English literature ein zu großes Gewicht
einräumt, die MLA International bibliography eher vernachlässigt und
zudem suggeriert, letztere habe kein Sachregister (S. 263). Rolf
Kluths Einführung in die Bibliotheksbenutzung von 1971 ist inzwischen
so veraltert, daß sie in einer stark auswählenden, empfehlenden
Bibliographie (S. 266) keinen Platz beanspruchen darf. Im übrigen sind
auch ansonsten die Literaturhinweise nicht immer up-to-date.[1]
Das "Register", ein Sachregister (S. 267 - 271) - ein Autorenregister
fehlt -, überrascht mit dem prophetischen Hinweis, es beschränke sich
"auf solche Stichwörter, die der Benutzer bei der Lektüre und
Repetition vermutlich nachschlagen möchte" (S. 267). Es fehlen z.B.
Stichwörter wie auktoriale Erzählsituation (S. 185) und Lautsymbolik
(S. 76).
Da Fabians anglistischer Grundkurs eine gelungene Standortbestimmung
der zeitgenössischen anglistischen Literaturwissenschaft, zumindest
ihrer immer noch sehr traditionellen mainstreams, darstellt, ist er
für Universalbibliotheken unverzichtbar; eine Aufstellung in Lesesälen
sollte ebenso erwogen werden wie eine Aufnahme in Lehrbuchsammlungen.
Werner Bies
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