Die Anlage des Lexikons ist alphabetisch nach Personen und Themen der klassischen Mythologie, die Namensansetzung (z.B. der Götter) folgt grundsätzlich der griechischen Form mit Verweisung von der lateinischen (Eintrag unter Aphrodite, Verweisung von Venus). Ausgeschlossen sind Personen der antiken Geschichte sowie Allegorien. Der jeweilige Eintrag wird von einer kurzen Themenbeschreibung mit Angabe der klassischen Quellen eröffnet. Es folgen dann in rein chronologischer Abfolge die jeweiligen Themenbearbeitungen von der Frührenaissance (in Ausnahmefällen auch des Mittelalters) bis zur Gegenwart, und zwar im Sinne einer absoluten Chronologie der Einzelwerke, nicht der Künstler und damit des Gesamtoeuvres. Ausschlaggebend für die Einordnung der Werke ist dabei das Aufführungs-, Veröffentlichungs- oder Ausstellungsdatum. Die Angaben führen dabei normiert auf: Künstlername, Werktitel, Medium, Datierung, Lokalisierung; werk- bzw. künstlerbezogene Quellen-, Literaturangaben ergänzen den Eintrag. Es gibt keine künstespezifische Ordnung des Materials. Auch wenn eine rein chronologische Schau der Tradierung mythologischer Stoffe durchaus ihre Reize hat, so wird doch in vielen Fällen das Interesse spartenbezogen eingegrenzt sein. Um dieser Suchstrategie entgegenzukommen hätte es schon genügt, die Kunstwerke der verschiedenen Sparten mit entsprechenden Siglen am Rand zu markieren. Dafür ist die Suche durch die reine Chronologie eher mühselig, zumal die Anzahl der in einem Eintrag zusammengestellten Werke hoch ist und eine thematische Feindifferenzierung nicht immer vorgenommen wurde bzw. werden konnte, so daß selbst in diesen Fällen die Fülle kaum reduziert erscheint. Beispielhaft sei der Eintrag Orpheus genannt, der untergliedert ist in General list mit ca. 350, Orpheus and Eurydice mit über 450 und Death of Orpheus mit weiteren 100 Nennungen von Werken.
Neben der primären themenalphabetischen Ordnung des Lexikons wird über
ein zusätzliches Künstlerregister das Material nochmals dahingehend
differenziert erschlossen, daß zum Künstler (mit Angabe von
Lebensdaten und "Sparte") die mythologischen Themenbereiche, zu denen
Werke ins Lexikon Eingang fanden, aufgeführt werden. Nicht mehr
angegeben werden dann Datierungen für Einzelwerke, die das schnelle
Auffinden innerhalb des Eintrags erst ermöglicht hätten, noch
wenigstens Seitenzahlen, so daß beim Einstieg über das
Künstlerregister immer nur ein ungefähres Orientieren im Artikel
anhand der Lebensdaten des Künstlers möglich ist. Auch wenn es
grundsätzlich durchaus erfreulich ist, daß derartige lexikalische
Unternehmen noch in Buchform präsentiert werden, so wäre im
vorliegenden Fall aber eine größere Investition bei der
Registererschließung mehr als wünschenswert gewesen.[1] Solche
verlegerisch letztlich nicht ausgereiften Projekte lassen den Wunsch
nach einer anderen Angebotsform wie etwa der CD-ROM aufkommen: hier
wären Beschränkungen dieser Art nicht zu erwarten und zudem
weitergehende mehrdimensionale, künste- und gattungsspezifische
Sucheinstiege möglich gewesen.
Bleibt zuletzt die Frage nach Qualität und Umfang der
Materialzusammenstellung. Nicht immer offensichtlich sind dabei die
Auswahlkriterien. So bleibt unklar, ob etwa in Fällen unsicheren oder
komplizierten Werkverbleibs (auch wenn durchaus noch
Abbildungsmaterial zum betreffenden Werk bekannt und vorhanden ist)
auf eine Erfassung bewußt verzichtet wurde,[2], inwieweit sekundäre
Ikonographien von Kunstwerken erfaßt wurden, ob und in welcher Form
Deutungsspektren Berücksichtigung fanden, wie die zeitliche Begrenzung
'Gegenwart' gezogen ist usw. In allen Punkten wäre eine eindeutigere
Darlegung der Kriterien wünschenswert gewesen. Natürlich können über
solche eher grundsätzlichen Anmerkungen zur Materialauswahl hinaus
auch ganz konkret Stichproben zu ihrer Einschätzung gezogen werden,
und man wird dabei auf erstaunliche Fälle von Auslassung stoßen: So
wird etwa von Gustave Moreau zu Jason das 1897 begonnene, aber
unvollendet gebliebene Bild Die Rückkehr der Argonauten (heute im
Mus‚e Gustav Moreau in Paris) aufgeführt; nicht verzeichnet wird
dagegen das 1865 im Pariser Salon ausgestellte und sich heute
ebenfalls im Mus‚e Gustave Moreau befindliche Gemälde Jason und Medea
(auch kein Eintrag unter Medea) usw. Doch letztlich ist es müßig mit
solchen Einzelbeispielen, die sich für jeden Themeneintrag finden
lassen, aufzutrumpfen. Vielmehr muß klar sein, daß Vollständigkeit auf
dieser Ebene nicht mehr möglich ist. Jane Davidson Reid hat mit ihrem
Werk in herausragendem Umfang Material zur Rezeption antiker
Mythologie in den Künsten von Christine de Pizan bis zu John Cranko
und Horst Antes vorgelegt und damit für viele weiterführende Studien
die Basis bereitet; Fülle des Materials und Lebenswerk können hier nur
zugleich gewürdigt werden.
Angela Karasch
Bleibt noch zu prüfen, inwieweit sich dieses neue Werk mit den
wichtigeren anderen Standardwerken überschneidet oder sie gar ersetzt.
Die größte Verwandtschaft besteht zu Hungers bekanntem Lexikon der
griechischen und römischen Mythologie, das die Verfasserin in der
Liste ihrer Quellen zwar zitiert, allerdings in der längst überholten
5. Aufl. von 1959, während die neueste, erweiterte 8. Aufl. von 1988
heranzuziehen gewesen wäre.[3] Schon wegen des viel geringeren Umfangs
hat der Hunger natürlich einen schweren Stand gegenüber dem neuen
Werk, zu dem man künftig immer zuerst greifen wird, nämlich sowohl
wegen seiner größeren Materialfülle als auch wegen der trotz der oben
genannten Mängel leichteren Benutzbarkeit, da die Präsentation der
Information bei Hunger im Falle von langen und komplizierten Artikeln
(z.B. Herakles) überaus unübersichtlich ist. Dagegen vermißt man in
dem neuen Werk die bei jedem Artikel des Hunger gegen Ende
übersichtlich zusammengestellte Forschungsliteratur.
Anders sieht es mit Piglers Barockthemen[4] aus, den Reid gleichfalls
ausgewertet hat und den sie z.T. sogar als Fundstelle zitiert. Eine
Stichprobe mit dem von den Nymphen geraubten Hylas, ergab eine ganze
Reihe von Nachweisen, die wegen Reids vermutlich engerer
Auswahlkriterien nur bei Pigler vorkommen, auf dessen Konsultation man
auch deswegen weiterhin nicht verzichten kann, weil er bei den
Eintragungen häufig die einschlägige Forschungsliteratur zitiert;
letzteres ist übrigens ein ganz besonderer Pluspunkt des Pigler, wobei
zu bedenken ist, daß sich die zitierte Literatur sehr häufig nicht auf
das 17. und 18. Jahrhundert beschränkt. Eine Neubearbeitung des Pigler
wäre wohl gar nicht einmal unter dem Aspekt einer Vermehrung des
Materials erforderlich - schon eher wegen der Registrierung neuer
Zuschreibungen und neuer Standorte -, sondern nicht zuletzt wegen der
Aktualisierung der Literaturangaben.
sh
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